Liebäugeln mit Ilva

Liebäugeln mit Ilva
(AFP/Mario Laporta)

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ArcelorMittal legt ein Übernahmeangebot für das italienische Stahlwerk Ilva vor.

ArcelorMittal will seine Präsenz in Europa verdichten. „ArcelorMittal soll besser auf dem zweitgrößten europäischen Stahlmarkt vertreten sein“, sagt der Chef der europäischen Flachstahlsparte Geert von Poelvoorde. Der Konzern interessiert sich für Europas größte Dreckschleuder, das Stahlwerk Ilva in Süditalien. Das Stahlwerk beschäftigt nach unterschiedlichen Angaben zwischen 11.000 und 14.000 Menschen. Die Jahreskapazität soll bei zwölf Millionen Tonnen liegen. Nach Angaben von ArcelorMittal würden derzeit allerdings nur 4,5 Millionen Tonnen Rohstahl produziert.

ArcelorMittal hat sein Angebot gekoppelt an eine Kooperation mit dem italienischen Stahlhersteller und Verarbeiter Marcegaglia. Die Gruppe beschäftigt 6.500 Mitarbeiter. Sie stellt jährlich 5,4 Millionen Tonnen Produkte aus der Stahlverarbeitung her. Es handelt sich dabei um Coils, um Röhren, um Bleche und Stahlplatten, um nicht rostenden Stahl. Die Gruppe stellt aber auch Teile für die Automobilindustrie her, wie zum Beispiel Achslenker. Mit 43 Werken weltweit trifft Marcegaglia stets auch auf AcelorMittal. Beide Unternehmen kennen sich.

Reprivatisierung und Restrukturierung

Ilva ist ein Stahlwerk, das ursprünglich ein Familienbetrieb war. Der Familie wird vorgeworfen, dass sie das Stahlwerk nicht auf den neuesten Stand der Technik gebracht hat. Ilva gehört zu den schmutzigsten Stahlwerken Europas. Die Luftverschmutzung rund um das Werk soll verantwortlich für den Tod von 400 Menschen sein. Deswegen laufen Verfahren.

Der italienische Staat hatte das Werk übernommen und vor Jahren bereits ArcelorMittal kontaktiert, um in einer Reprivatisierungsaktion eine Restrukturierung einzuleiten. Der Stahlkonzern hatte damals geraten, dass zunächst die Regierung einen Zustandsbericht erstellen und prüfen sollte, was sie von einem privaten Interessenten erwarten würde. Die Regierung unter Matteo Renzi hat nun eine Privatisierung des Konzerns eingeleitet. Beworben haben sich 29 Unternehmen.

Bessere Umweltbedingungen

Italien will vor allem die Umweltbedingungen verbessern. Eine maximale Zahl von Arbeitskräften soll bei der Restrukturierung erhalten bleiben und die Produktionsmethoden sollen modernisiert werden.

Neun Bewerber erfüllen mit ihren Vorschlägen die Bedingungen. Darunter befindet sich auch der brasilianische Staatskonzern CSN, der bereits in Europa vertreten ist. CSN war nach 2007 bereits auf ArcelorMittal in Europa getroffen und hatte von dem Konzern profitiert. Die europäische Kommission hatte Arcelor bei der Gründung von AcelorMittal verpflichtet, sich von dem Elektrostahlwerk im thüringischen Unterwellenborn zu trennen. Das tat weh.

Konkursmasse der DDR

Arcelor hatte das Werk aus der Konkursmasse der DDR gekauft und es zu einem Vorzeigewerk mit der besten damaligen Technik ausgestattet. Alle anderen Werke von Arcelor, insbesondere die Elektrostahlwerke in Esch-Belval und in Differdingen, hatten sich an der Leistung von Unterwellenborn ausrichten sollen. Den Brasilianern fiel ein Juwel in die Hände, als sie Unterwellenborn kauften. Mit Ilva würden die Brasilianer einen mächtigen Schritt in die europäische Stahlindustrie machen.

Die Aufgabe, Ilva zu restrukturieren, entspricht für ArcelorMittal ungefähr der, die der Konzern bei der Restrukturierung der schlesischen Stahlindustrie zu erledigen hatte. ArcelorMittal und Marcegaglia haben der italienischen Regierung einen Plan in mehreren Schritten vorgeschlagen. Es sollen die besten Umweltstandards erreicht werden.

Produktion erhöhen

Die Produktion soll von derzeit 4,5 Millionen Jahrestonnen auf sechs Millionen erhöht werden. Mindestens drei Hochöfen sollen erhalten bleiben. Das Konsortium plant umfangreiche Investitionen, um die Produktionskapazitäten besser nutzen zu können, und um die Gesundheit- und Sicherheitsstandards zu verbessern. Der Mitarbeiterbestand wird in Relation zu modernen Produktionsmethoden zugesichert.

ArcelorMittal und Marcegaglia wollen Ilva in ihre Unternehmen einbauen. ArcelorMittal will den Konzern in seine Forschungs- und Entwicklungstätigkeit einbinden, will ihn in seinen Einkauf einbeziehen, seinen Stand der Technik zugänglich machen und mit seinen Produkten auch in sein Verkaufs- und Marketingnetz. Antonio Marecgaglia zeigt sich zuversichtlich, dass das Konsortium Ilva neu aufbauen und über sein Netz lebensfähig gestalten kann.

Bereits jetzt Überkapazität

Die beiden Interessenten wollen sich zunächst 120 Tage lang mit den Umweltproblemen in Tarento auseinandersetzen und danach mit der Regierung in einen Diskussionsprozess eintreten, um mehr Klarheit über den Verlauf des Angebotsprozesses zu erlangen. In der europäischen Stahlindustrie wird diese Entwicklung wenig Freude auslösen. In Europa besteht eine Überkapazität zusätzlich zum Preiskrieg , den die chinesische Stahlschwemme auslöst.

In Frankreich löst das Überleben von Ilva überdies Sorgen am Mittelmeer-Standort Fos-sur-Mer aus, wo man die Konkurrenz von Ilva im eigenen Konzern fürchtet.