Körperkunst mit Kreuz

Körperkunst mit Kreuz
(Stefanie J?rkel)

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Kreuze, Dornen, Jesus oder Maria: Pilger nach Jerusalem und christliche Palästinenser im Westjordanland lassen sich in Bethlehem religiöse Tattoos stechen.

Jesus Christus hängt am Kreuz, mit Bart und Dornenkrone – und ziert den Oberarm von Samer Nasser. Der 24-jährige Palästinenser bekommt sein erstes Tattoo. „Ich wollte etwas Religiöses“, sagt der junge Mann mit der bulligen Figur und einem silbernen Kreuz an der Halskette. „Zum Schutz und weil es beweist, dass ich Christ bin.“

Nasser sitzt auf einem Lederstuhl im Tattoo-Studio von Walid Ajasch, christlicher Palästinenser aus Bethlehem, Spezialist für religiöse Tätowierungen. „Ich bin sehr religiös. Ich habe Jesus in meinem Leben. Ich liebe Tattoos“, erklärt der 39-jährige Ajasch seine Berufswahl. „Wenn man Jesus auf seinem Körper hat, dann beschützt einen das.“

Lernen über Youtube

Das Studio ist in einem Haus in der Altstadt von Bethlehem. „Pain Art Tattoo Studio“ steht an der Tür. Die Decke ist niedriger als zwei Meter, vor den kleinen Fenstern hängen Jalousien. An einer Wand sind Plastikboxen mit Nadeln, gegenüber hängt ein überdimensionaler Computerbildschirm. Irgendwo ruft ein Muezzin zum Gebet, spanischer Hip-Hop erklingt aus Boxen, während der Tätowierer am Jesus auf Nassers Arm arbeitet.

Ajasch, der in jüngeren Jahren den Friseursalon seines Vaters direkt unter dem Studio übernommen hatte, entdeckte vor 13 Jahren das Tätowieren für sich. Erst begeisterte er sich für das Zeichnen unter anderem von Porträts. Anschließend brachte er sich das Tätowieren mit Youtube-Videos selbst bei. Er stach seinem Neffen einen Drachen auf den Fuß, dann sich selbst. „Es ist sehr schlecht, aber ich liebe es“, sagt er heute über die selbst gemachte Körperkunst.

150 Entwürfe

Nach fünf Jahren ließ er sich in Jerusalem ausbilden. Über einen Freund kam er mit assyrischen Christen auf Pilgerfahrt in Kontakt – und mit ihrer Tradition des Tattoo-Souvenirs. „Dies sind Menschen, die die Sprache von Jesus sprechen“, sagt Ajasch über die Iraker, Ägypter, Kopten oder Armenier. „Die müssen ein Kreuz und ein Datum bekommen, wenn sie hier sind.“

Seine Kunden können aus etwa 150 Entwürfen von Kreuzen wählen – und bekommen für umgerechnet knapp 50 Euro das Kreuz und das Datum des Tages auf ihr linkes Handgelenk gestochen. Anschließend, so erzählt es Ajasch, gehen sie zur Grabeskirche nach Jerusalem und berühren mit dem Tattoo die Platte auf dem mutmaßlichen Grab von Jesus.

Tattoo statt Palmwedel

Das Osterfest ist für ihn Hochsaison. „Dieses Ostern hatte ich etwa 1200“, sagt Ajasch, während er eine Zigarette nach der anderen raucht. „Es war verrückt.“ An einem Tag seien es 160 Menschen gewesen, drei bis fünf Minuten hätten er und ein Kollege pro Person gebraucht.

Diese Tattoo-Tradition sei gerade in den Ostkirchen verbreitet, bestätigt Mordechay Lewy, Historiker und ehemaliger Botschafter Israels beim Vatikan. „Ich kann die Pilger-Tätowierung für mindestens 600 Jahre belegen“, sagt Lewy. „Im 11. und 12. Jahrhundert war der Palmwedel das Typischste, was man mit nach Hause genommen hat. Ich glaube, dass die Tätowierungen die Palmwedel ersetzt haben.“

„Ein Stück Kunst“

Dabei verbieten zwar sowohl der Islam, das Christentum als auch das Judentum laut Lewy grundsätzlich Tattoos, allerdings würden sie in der Praxis letztlich doch toleriert. So heiße es beispielsweise im Alten Testament im dritten Buch Mose 19:28: „Für einen Toten dürft ihr keine Einschnitte auf eurem Körper anbringen und ihr dürft euch keine Inschrift machen lassen. Ich bin der Herr.“ Letztlich gehe es allen drei Religionen um die Unantastbarkeit der göttlichen Schöpfung.

Ajasch selbst hat neun große Tattoos auf seinem Körper, darunter auf seiner linken Brust einen leidenden Jesus Christus mit Blutstropfen unter der Dornenkrone. Seine Kunden wollen Kreuze, Jesus Christus und die Jungfrau Maria, erzählt er. Er hat auch muslimische Kunden mit eher weltlichen Wünschen. Gerade eröffnet er einen zweiten Laden in Ramallah.

Das Tattoo von Samer Nasser ist fast vollendet: noch ein bisschen schwarz, noch ein bisschen weiß, fertig. Die Haut ist rot und geschwollen. Doch Nasser lächelt. Sein Urteil: „Ein Stück Kunst.“