Jahrhundert-Prozess rollt an

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Er gilt als Terrorprozess des Jahrhunderts: Mehr als zehn Jahre nach den Anschlägen vom 11. September 2001 sollen die mutmaßlichen Hauptverantwortlichen vor ein Militärtribunal gestellt werden.

In Amerika nennt man sie die „Guantánamo Five“ – fünf Männer, die als Hauptverantwortliche der Anschläge vom 11. September 2001 gelten. Die vergangenen Jahre haben die mutmaßlichen Topterroristen isoliert hinter den dicken Mauern eines Hochsicherheitsgefängnisses im US-Stützpunkt auf Kuba verbracht. An diesem Samstag (5. Mai) wird die Gruppe um Chalid Scheich Mohammed, der als Chefplaner der Anschläge gilt, zur Anklageverlesung vor einem Militärrichter in Guantánamo Bay erscheinen.

Damit soll zehn Jahre und acht Monate nach dem blutigen Terrorakt mit knapp 3000 Toten endgültig „das Prozedere beginnen, um sicherzustellen, dass Chalid Scheich Mohammed und seine Mittäter ihre gerechte Strafe erhalten“, wie es das Weiße Haus formulierte. Die Anklagepunkte sind laut Pentagon unter anderen Terrorismus, Flugzeugentführung, Verschwörung, Mord, Angriff auf Zivilisten, vorsätzliche schwere Körperverletzung und Zerstörung von Eigentum. Medien sprechen schon jetzt vom Terrorprozess des Jahrhunderts.

Terrorist mockiert Rechtssystem

Zum Auftakt des Militärtribunals steht erst einmal nur die Anklageverlesung an – meist ist das Routine und dauert manchmal sogar nur wenige Minuten. Aber wohl kaum in diesem Fall mit allen seinen Drehungen und Wendungen. Schon einmal, im Juni 2008, standen Scheich Mohammed und die mitangeklagten Ramzi Binalshibh, Ali Abdel Asis, Mustafa Ahmed al-Hausawi und Walid bin Attasch zur Anklageeröffnung vor Gericht in Guantánamo Bay. Mohammed machte die Prozedur zum Drama, indem er sich lauthals über das amerikanische Rechtssystem mokierte und verkündete, dass er zum Tode verurteilt werden wolle.

„Das ist es, was ich will“, sagte er damals dem Militärrichter. „Ich will schon seit langem Märtyrer werden.“ Seinen amerikanischen Anwälten warf der 2003 in Pakistan gefasste Mohammed vor, Agenten der damaligen US-Regierung von George W. Bush zu sein, der einen Kreuzzug gegen die islamische Welt führe. Und überhaupt könne er keine Anwälte akzeptieren, die keine Ahnung vom islamischen Recht hätten.

Neuer Präsident = Prozessverzögerung

Zur Eröffnung des Hauptverfahrens kam es damals nicht, weil 2009 der Demokrat Barack Obama ins Weiße Haus einzog – mit der Absicht, das Gefangenenlager Guantánamo Bay zu schließen und Terrorverdächtigen den Prozess vor Zivilgerichten auf US-Boden zu machen. So setzte Obama denn auch prompt alle anhängigen Militärtribunale aus, die „Guantánamo Five“ wollte er in New York vor Gericht stellen.

Aber all seine Pläne scheiterten an Widerstand im eigenen Land. So wurde im Juni vergangenen Jahres erneut Anklage gegen Scheich Mohammed und seine mutmaßlichen Komplizen in Guantánamo erhoben und im April dann endgültig grünes Licht für den Prozess gegeben.

Keine Märtyrer aus ihnen machen

Mohammed, der sich in den vorausgegangenen Gerichtsprozeduren zum Wortführer der Gruppe gemacht hat, könnte in dem Verfahren sehr wohl seinen angeblichen Wunsch erfüllt bekommen: Die Anklage strebt die Todesstrafe für alle Fünf an. Es ist ein zweischneidiges Schwert für die US-Regierung, die alles andere will als dem mutmaßlichen Topterroristen in den Augen der immer noch gefährlichen Al-Kaida und ihrer Gefolgsleute zum Märtyrerstatus zu verhelfen. Dieses Dilemma, so verlautet aus Kreisen des Justizministeriums, ist mit ein Grund dafür, dass der Prozess so lange verzögert wurde.

Hauptursache sind aber die vielen komplizierten juristischen Fragen des anstehenden Verfahrens – allen voran die, welche Beweise zugelassen werden. Wie aus 2009 veröffentlichen internen Dokumenten der CIA hervorgeht, wurde Mohammed allein im März 2003 in einem Geheimgefängnis 183 Mal der Foltermethode „Waterboarding“ unterzogen, einem simulierten Ertränken. Laut „New York Times“ war er insbesondere bei Vernehmungen durch einen bestimmten CIA-Mitarbeiter äußerst auskunftsfreudig über Terroraktionen und Terrorpläne. Was davon ist zumindest indirekt das Resultat grausamer Behandlung? Nach den unter Obama überarbeiteten Militärtribunal-Regeln sind durch Folter erzwungene Geständnisse unzulässig.

Scheich prahlt gerne

Scheich Mohammed gilt auch als ein Mann, der gern prahlt – vielleicht auch mit Taten, die er gar nicht begangen hat. Auch das, sagen Militärjuristen, galt es auseinanderzusortieren. Anklagevertreter sind nach eigenen Angaben aber völlig überzeugt davon, dass die am Ende zulässigen Beweise für eine Verurteilung ausreichen. Aber in jedem Fall wird nach der Anklageverlesung erst einmal eine Serie von Anhörungen erwartet, bis dann – wohl erst im kommenden Jahr – die Hauptverhandlung beginnt.

Wenn sie überhaupt beginnt. Denn es gilt als möglich, dass sich Mohammed und seine Mitangeklagten am Samstag schuldig bekennen und damit das Verfahren abgekürzt wird. Vielleicht bestehen die Fünf auch darauf, sich selbst zu verteidigen, wie schon 2008. Mohammed, so schilderten Augenzeugen damals nach der Anklageverlesung, liebt das Rampenlicht, die Medienaufmerksamkeit – und könnte versuchen, die Prozedur wie damals zu einem Spektakel zu machen.