In Aleppo tobt der Krieg, im UN-Sicherheitsrat der Streit

In Aleppo tobt der Krieg, im UN-Sicherheitsrat der Streit
(AFP/Karam Al-masri)

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Heftiger Streit um Syrien im UN-Sicherheitsrat: Die USA und Russland haben sich bei Beratungen zum Leid in Aleppo gegenseitig die Schuld zugeschoben. UN-Chef Ban Ki-Moon spricht von "Barbarei" und "Kriegsverbrechen". Derweil setzen das syrische Regime und seine Verbündeten die Bombardements fort.

Schlagabtausch im UN-Sicherheitsrat: Nach den heftigsten Bombardierungen Aleppos im gesamten syrischen Bürgerkrieg haben sich Russland und die westlichen Staaten am Sonntag in New York gegenseitig die Schuld für die Eskalation der Gewalt vorgeworfen. Am Rande der Sondersitzung nahm der als zurückhaltend bekannte UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon kein Blatt mehr vor den Mund. Was in Aleppo geschehe, sei „Barbarei“ und „Kriegsverbrechen“, sagte er vor Journalisten.

„Noch nie so viele Menschen an einem Ort sterben gesehen“

Aktivisten und lokale Vertreter berichteten, dass am Sonntag etliche von Rebellen kontrollierte Stadtteile in Aleppo aus der Luft bombardiert worden seien. Die Beobachtungsstelle vermutete, dass die Opferzahl am vierten Tag der Regierungsoffensive noch steigen werde. Ibrahim Alhadsch von der Syrischen Zivilverteidigung erklärte, seine Freiwilligengruppe habe bislang den Tod von 43 Menschen dokumentiert.

Krankenhäuser in der Stadt meldeten, sie seien wegen der hohen Opferzahlen überfordert. Wegen mangelnder Behandlungsmöglichkeiten wurde befürchtet, dass viele Verwundete an ihren Verletzungen sterben könnten. Mohammed Sein Chandakani, ein Mitglied des sogenannten Medizinischen Rates, sagte in einer der Kliniken: „Ich habe noch nie so viele Menschen an einem Ort sterben gesehen.“

Die Beobachtungsstelle hatte zuvor am Sonntag berichtet, dass 213 Zivilisten seit dem Zusammenbruch der Waffenruhe am Montagabend durch Luftangriffe und Beschuss in und um Aleppo getötet worden seien.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon verurteilte vor allem den mutmaßlichen Gebrauch von sogenannten bunkerbrechenden Bomben, der syrischen und russischen Kräften nachgesagt wird. Man solle sich daran erinnern, dass die Gefechte in Aleppo Krankenhäuser und Schulen dazu gezwungen hätten, ihren Betrieb in Kellern fortzusetzen, sagte Ban. „Diese Bomben sprengen keine Bunker. Sie vernichten normale Menschen, die eine letzte Zuflucht und Sicherheit gesucht haben“, so Ban. „Das internationale Recht ist eindeutig: Der systematische Gebrauch von rücksichtslosen Waffen in dicht besiedelten Gebieten ist ein Kriegsverbrechen.“ dpa

Vorangegangen war in den vergangenen Tagen ein Bombenhagel des syrischen Regimes und seiner Alliierten auf die Rebellengebiete der belagerten Stadt. In Aleppo und seinem Umland wurden mehr als 230 Zivilisten getötet. Moskau ist ein einflussreicher Verbündeter von Machthaber Baschar al-Assad.

„Als naiver UN-Vertreter …“ sagt der Vermittler

„Glaubt Russland wirklich, dass es Vertrauen gewinnen kann, wenn es auf der einen Seite über Waffenruhe verhandelt und auf der anderen das Regime unterstützt, das Aleppo bombardiert?“, fragte der französische UN-Botschafter Francois Delattre in New York. „Frieden nach Syrien zu bringen, ist inzwischen fast unmöglich“, entgegnete sein russischer Kollege Witali Tschurkin. Er beschuldigte Washington „nicht ausreichend Einfluss auf die mit ihnen verbündeten Gruppen auszuüben“ und damit seine Verpflichtungen für die Waffenruhe nicht zu erfüllen.

Bans Sonderbeauftragter für den Syrien-Konflikt, Staffan de Mistura, appellierte an die USA und Russland, dem gebrochenen Waffenstillstandsabkommen noch eine Chance zu geben. „Als naiver UN-Vertreter hoffe ich, daran glauben zu dürfen, dass ihre Zusagen ernst gemeint waren“, drängte er die beiden Vetomächte.

„Geduld … nicht unbegrenzt“

Bereits am Samstag hatten die Außenminister unter anderem der USA, Deutschlands und Großbritanniens laut offizieller Übersetzung heftige Kritik an Moskau geübt. Die Geduld sei „im Hinblick auf Russlands fortgesetzte Unfähigkeit oder die fehlende Bereitschaft, seinen Verpflichtungen nachzukommen, nicht unbegrenzt“, betonten die Minister nach einem Treffen in Boston. Moskau wies die Kritik zurück.

Nach dem Dauerfeuer der Vortage setzten die syrische und russische Luftwaffe am Sonntagvormittag ihre Angriffe für einige Stunden aus. Die Bombardements gingen nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte im Tagesverlauf aber weiter. Am Sonntag seien wieder mindestens 23 Menschen in Aleppo getötet worden, darunter wenigstens zwei Kinder.

Westen: Moskau hat den Schlüssel

Das syrische Regime hatte vor Wiederaufnahme der Luftangriffe am Donnerstag eine Bodenoffensive angekündigt, um die Stadt vollständig zurückzuerobern. Aleppo ist die letzte verbliebene Großstadt in Syrien, in der Rebellen noch größere Gebiete kontrollieren. Mindestens 250.000 Menschen harren im belagerten Ostteil der Stadt trotz widrigster Lebensumstände aus. In ganz Aleppo sollen zwei Millionen Menschen von der Trinkwasserversorgung abgeschnitten sein. Regierungstruppen und Kämpfer der mit ihnen verbündeten Milizen verloren das am Samstag eroberte Flüchtlingslager Handarat im Norden der Rebellengebiete am Sonntag allerdings wieder an die Aufständischen. Assads Truppen werden neben Russland auch vom Iran und der Schiitenmiliz Hisbollah unterstützt. Auch Milizen aus Afghanistan und dem Irak sollen unter den Unterstützern sein.

Die westlichen Außenminister forderten von Russland ein Ende der eskalierenden Gewalt. Es liege an Moskau, die diplomatischen Bemühungen zu retten. Die Ereignisse in Syrien, insbesondere in Aleppo, stünden im eklatanten Widerspruch zur russischen Behauptung, eine diplomatische Lösung in Syrien zu unterstützen. Neben den USA, Deutschland und Großbritannien unterstützen auch Frankreich, Italien und die EU-Außenbeauftragte die Forderungen. Frankreich teilte zudem mit, Russland und der Iran könnten sich „Komplizen der in Aleppo begangenen Kriegsverbrechen“ machen.

Zudem kritisierte die Erklärung der Außenminister die wiederholten Berichte über eingesetzte Chemiewaffen durch das syrische Regime und den verheerenden Angriff auf einen UN-Hilfskonvoi vor einer Woche. Die USA und Russland machen sich gegenseitig für den Vorfall verantwortlich, bei dem am Montag 21 Zivilisten getötet worden waren.