Gestatten, Navid Kermani

Gestatten, Navid Kermani
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Navid Kermani gilt als einer der letzten deutschen Intellektuellen. Das Tageblatt hat sich mit ihm über Schrifstellertum, Journalismus und den Syrienkonflikt unterhalten.

Hier lesen Sie einen Auszug über den außenpolitischen Teil des Interviews mit dem Mann, der im vergangenen Jahr mit einem Fotografen über die Balkanroute reiste, in Syrien Christen interviewte und 2015 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhielt.

Das Tageblatt hat außerdem noch mit ihm über Schriftstellertum und seine Lektüre geredet und bei ihm nachgehakt, was seiner Meinung nach Medien tun müssen, um das Zeitungssterben zu überstehen.

Vergangene Woche haben Sie in einem Gespräch mit dem französischen Schriftsteller Mathias Énard in der Abtei Neumünster die wirtschaftliche Verbindung Europas zu Saudi-Arabien hervorgehoben. Ein Staat, der Mitschuld an der Entstehung des IS trägt. Wie sieht es mit unserer Verantwortung aus?

Wenn ich auf Reise im Nahen Osten bin und jemandem sage, dass man in Europa Angst vor dem Dschihadismus hat, kommt die Frage: Wieso unterstützt ihr dann Saudi-Arabien? Wir sind eng mit einem Staat verbunden, der maßgeblich für die Ausbreitung des Wahhabismus – und zwar von Zentralasien bis Belgien – verantwortlich ist. Aus diesem sind dschihadistische Ideologien hervorgegangen. Die Saudis haben sogar in Europa Moscheen gebaut, zum Beispiel in Bonn und in Molenbeek. Über Jahre hinweg haben wir das mit angesehen und dazu geschwiegen. Uns stört es offenbar auch nicht, dass saudische Politik im Nahen Osten als westliche Politik wahrgenommen wird. Aber das macht uns im Kampf gegen den radikalen Islam ziemlich unglaubwürdig.

Sie haben lange in Deutschland dafür gekämpft, dass der Irak- und Syrien-Konflikt auch die breite Öffentlichkeit interessiert. Wie kam es zu diesem fehlenden Interesse?

Menschen interessieren sich erst für Geschehnisse, wenn es sie selbst angeht. In vielen Ländern kann beobachtet werden, dass Globalisierung mit Provinzialisierung einhergeht. Je enger wir zusammenwachsen, desto mehr beziehen wir uns auf uns selbst. Wirtschaften verflechten sich, Lebensverhältnisse gleichen sich an. Gerade weil wir uns kulturell annähern und durch die neuen Informationstechnologien untereinander verbunden sind, heben wir die verbliebenen Unterschiede hervor. Der Fundamentalismus ist entsprechend ein Phänomen gerade der Mittelschichten und der Menschen, die an der Globalisierung teilhaben. Vier Jahre lang haben wir zugesehen, wie der Konflikt in Syrien eskalierte.

Erst in dem Moment, als es in Paris zu Anschlägen kam und innerhalb weniger Monate mehr als eine Millionen Flüchtlinge bis nach Westeuropa vorgedrungen sind, begannen ernsthafte diplomatische Bemühungen. Ich bin froh über diese Bemühungen, ich halte sie auch nicht von vornherein für aussichtslos. Aber sie kommen fünf Jahre zu spät. Das ist nicht nur Versagen der internationalen Politik, sondern auch der Weltöffentlichkeit, die sich erst für das Schicksal der Syrer und Iraker interessiert hat, als die Bomben Europa erreichten.

Zu welchem Moment wäre der Konflikt in diesem Ausmaß noch vermeidbar gewesen?

Acht Monate lang waren die Demonstrationen in Syrien friedlich. Schon damals gab es kein Interesse am Konflikt. Es ging nicht darum, Truppen zu schicken, sondern um öffentliche Unterstützung. Aber es gab keine Solidarisierung mit der Protestbewegung, die säkular und demokratisch war und alle Bevölkerungsgruppen einbezog – immerhin waren die Führer der syrischen Opposition Christen, auch das haben wir schon vergessen.

Es gab keinen politischen Druck, keine UN-Beobachter, keine UN-Resolution. Nichts. Selbst als der Krieg bereits ausgebrochen war, hätte man wahrscheinlich noch etwas bewirken können, jedenfalls sehr viel eher als heute, etwa durch eine Flugverbotszone, damit Assad seine Bevölkerung nicht bombardieren kann, vor allem aber durch intensive diplomatische Bemühungen, wie es sie jetzt ja auch gibt, nur unter viel schwierigen Umständen. Die Dschihadisten spielten ja bis vor drei, vier Jahren noch keine Rolle, sie kamen erst durch das Einwirken der Golfstaaten ins Spiel.

Jetzt beherrscht der IS ein riesiges Gebiet, Millionen Menschen wurden vertrieben oder versklavt, und wir sehen dem Ende des christlichen Orients entgegen. Man kann sagen: Hinterher ist man immer klüger. Man kann aber auch sagen: Was immer man anders getan hätte – schlimmer hätte es nicht kommen können. Es ist ein totales Desaster.

Das gesamte Interview lesen Sie in der Dienstagsausgabe des Tageblatts und im E-Paper