Fahndungserfolg verdeckt Pannen der Ermittler

Fahndungserfolg verdeckt Pannen der Ermittler
(dpa)

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Ein 19-Jähriger, der aussieht wie ein Junge, fordert die USA heraus. Nach der Terroristenjagd von Boston präsentiert sich Präsident Obama als erfolgreicher Krisenmanager - doch es bleiben offene Fragen.

Es war die Stunde des Präsidenten, die Stunde des Krisenmanagers. „Wir lassen uns nicht terrorisieren“, rief Barack Obama den Amerikanern aus dem Weißen Haus zu. Gerade war eine der größten Verbrecherjagden in der US-Geschichte zu Ende gegangen: der 19-jährige mutmaßliche Bombenleger von Boston schwer verletzt gefasst, der zweite Verdächtige, sein 26 Jahre alter Bruder, erschossen. Noch in der Nacht auf Samstag trat Obama vor die Kameras.

Die rasche Festnahme war ein Glücksfall, auch für den Präsidenten. Der Terroranschlag war eine der schwersten Herausforderungen seiner Amtszeit – und sie hätte ganz anders enden können. Der schnelle Fahndungserfolg war nichts als reiner Zufall.

Ermittler hatten Versteck bereits durchsucht

Das Foto des 19-jährigen Dschochar Zarnajew zeigt einen Jüngling mit dunklen Locken und sanftem Blick – eher ein Junge als ein Mann. Ist das wirklich ein Gegner, der die USA herauszufordern vermag? Ein Mega-Aufgebot von 9000 Polizisten war mobilisiert, um ihn zu fassen – und wäre doch beinahe grandios gescheitert.

Nicht nur Obama, auch das FBI und die Medien breiten gnädig einen Mantel des Schweigens über die Fahndungspanne. Denn das Grundstück, auf dem der Gesuchte am Freitagabend schließlich umzingelt und nach einem Feuerwechsel festgenommen wurde, war bereits zuvor durchsucht worden – ohne Ergebnis.

Der entscheidende Tipp

Die Polizei hatte praktisch im gesamten Großraum Boston den Ausnahmezustand verhängt: Es herrschte Ausgangssperre, der Verkehr war lahmgelegt. Doch erst ein Hausbesitzer, der nach Aufhebung der Sperre in seinem Garten Blutspuren entdeckte, setzte die Polizei auf die richtige Spur. Wieder einmal war es „Kommissar Zufall“, der eine Blamage der Behörden verhinderte. Der junge Zarnajew, der sich unter einer Plane in einem Boot versteckte, war bereits derart schwer verletzt, dass er sich praktisch nicht mehr wehren konnte.

Trotz Jubel und Erleichterung: Obama ist sich bewusst, dass viele Fragen offen bleiben. „Warum haben junge Männer, die hier aufgewachsen sind und studiert haben, zu so starker Gewalt gegriffen?“, fragte der Präsident noch in der Nacht.

FBI findet nichts Verdächtiges

Irritierend ist nicht nur die Tatsache, dass die Justizbehörden dem älteren Bruder Tamerlan bereits 2011 auf der Spur waren. Moskau habe damals um Überprüfung des in Kirgistan geborenen Mannes gebeten. Der russische Geheimdienst befürchtete, Tamerlan habe sich dem radikalen Islam zugewandt, könnte sich einer Untergrundorganisation anschließen, um Terrorakte in Russland zu verüben. Doch das FBI habe nichts Verdächtiges entdeckt. Dabei heißt es jetzt, der heute 26-Jährige habe sich seinerzeit radikalisiert, sei zum islamistischen Eiferer geworden. War auch das schon eine Ermittlungspanne gewesen?

Doch Obamas Frage zielt tiefer. 2,6 Millionen Muslime leben in den USA, die meisten sind Einwanderern aus dem Nahen Osten und anderen muslimischen Ländern. Ihre Zahl hat sich seit den Anschlägen vom 11. September 2001 mehr als verdoppelt. Reibereien mit der übrigen Bevölkerung oder gar schwere Spannungen werden zwar eher selten publik. Doch Obama weiß, dass nach Terroranschlägen Konflikte über Nacht ausbrechen können. Nicht umsonst warnte er noch in der Nacht vor voreiligen Schlüssen. Bisher hatte Obama Fortune: Seit dem 11. September ist es zu keinem größeren Bombenattentat islamistischer Extremisten in den USA mehr gekommen.

Image als Krisenmanager aufpollieren

Obama im Glück? Tatsächlich hat der Präsident erst vor Tagen eine Mega-Schlappe erlitten, die seine gesamte zweite Amtszeit überschatten dürfte. Die Niederlage in Sachen Waffenkontrollen war eine Warnung – die Kräfte, die gegen Obama mobilisieren, sind präsent und stark. Vor allem: Nicht einmal die demokratischen Senatoren, also seine eigene Mehrheit, standen hinter ihm. Was bleibt Obama jetzt noch zu tun? Er hatte das Thema Waffen zur Chefsache gemacht.

Die Terroristenjagd bot Obama kurzzeitig Gelegenheit, sich als erfolgreicher Krisenmanager zu präsentieren. Doch die Erfahrung zeigt: Solche Erfolge halten nicht lange vor. Selbst der Tod von Terroristenführer Osama bin Laden vor zwei Jahren brachte dem US-Präsidenten nur ein ganz kurzes Hoch ein. Und war schnell vergessen.