Die Politik kann für Schutz nicht garantieren

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Es ist wohl die Tat eines psychisch kranken Einzeltäters und keines Terroristen. Doch der Amoklauf von München erschüttert die Politik nicht weniger als ein Terroranschlag.

Es ist überall im Land zu sehen. Und zu spüren. Bundesweite Trauerbeflaggung steht für den Schock und das Entsetzen nach der schrecklichen Tat eines 18-Jährigen. Neun Menschen hat der Deutsch-Iraner am Freitag in München erschossen und sich vermutlich dann selbst getötet. Aber die Flaggen auf halbmast stehen in dieser Woche des Grauens nicht nur für das beklemmende Gefühl über den Amoklauf von München. Sie schließen ein, was sich noch in die Seele der Menschen innerhalb nur einer Woche eingebrannt hat: Der menschenverachtende Terroranschlag in Nizza mit 84 Toten und das unfassbar grausame Axt-Attentat von Würzburg. So sagt es Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Samstagnachmittag.

Sie tritt um 14.30 Uhr im Kanzleramt vor die Kameras. Kritiker halten diese offizielle Reaktion 20 Stunden nach dem Anschlag eines womöglich psychisch Kranken für zu spät, andere für besonnen. Merkel berät sich erst mit dem eilig zusammengerufenen Bundessicherheitskabinett und den Nachrichtendiensten. Viele mussten aus dem Urlaub kommen – Innenminister Thomas de Maizière (CDU) aus den USA.

Schwer zu ertragen

Merkel versichert mit ruhiger Stimme den Angehörigen der Opfer, „Familien, Eltern und Kinder, für die heute alles leer und sinnlos erscheint“: „Wir teilen Ihren Schmerz, wir denken an Sie, wir leiden mit Ihnen.“ Solche Abende, an denen neun Menschen, die noch Einkäufe erledigen oder rasch etwas essen wollten, getötet wurden, seien schwer zu ertragen. „Sie sind umso schwerer zu ertragen, als wir so viele Schreckensnachrichten binnen ganz weniger Tage hinnehmen mussten.“

Merkel versucht, den Blick nach vorn zu richten. Die genauen Hintergründe und Motive der Taten von Würzburg und München würden aufgeklärt. Sie beschwört: In der Freiheit und Mitmenschlichkeit liege Deutschlands größte Stärke. Viele Staaten kondolieren und bekunden Solidarität, etwa die USA, Frankreich, die Niederlande, Griechenland, Estland und Russlands Präsident Wladimir Putin. Der Iran verurteilt die Tat scharf. Terrorismus und das Töten unschuldiger Menschen seien ein „Schandfleck der heutigen Zeit“.

Zerreißt einem das Herz

Um 15.00 Uhr wendet sich de Maizière an das Land. „Wenn man sieht, wie viele Kinder und Jugendliche verschiedener Nationen unter den Opfern sind, zerreißt es einem schier das Herz“, sagt er. Für die Opfer sei es gleichgültig, welches Motiv der Tat zugrunde gelegen haben mag, betont der Minister. Für die Politik ist es das nicht.

Der junge Deutsch-Iraner hat den ersten Erkenntnissen zufolge keinen islamistischen Hintergrund. Sonst hätte die Sicherheitslage noch einmal anders bewertet werden müssen. Die Ermittler halten einen Zusammenhang mit dem Attentat des norwegischen Massenmörders Anders Behring Breivik für möglich, der am Freitag vor exakt fünf Jahren 77 Menschen getötet hatte. Aber wie de Maizière sagt: Für die Opfer ist es gleichgültig, welches Motiv der Tat zugrunde liegt.

Stunde der Trauer

Für den Innenminister ist es die Stunde der Trauer, des Mitgefühls und des Zusammenhalts. Über mögliche Reaktionen will er nicht reden. „Heute ist nicht die Stunde für Konsequenzen“, sagt er. Muss das Waffengesetz geändert werden? Muss man irgendetwas gegen die Verbreitung gewaltverherrlichender Computerspiele tun? Fragen, die auch nach früheren Amokläufen schon diskutiert wurden, werden sich auch in den nächsten Tagen und Wochen wieder stellen.

De Maizière deutet zumindest an einer Stelle an, dass er Handlungsbedarf sieht. Gegen das „unerträgliche Ausmaß“ von Gewaltverherrlichung in Computerspielen müsse man eigentlich etwas tun, meint er. „Ich weiß da auch keine Lösung“, räumt er allerdings ein.

An diesem Tag gehört seine Aufmerksamkeit aber zunächst einmal den Opfern und der Aufklärung der Tat. Nach der Pressekonferenz macht er sich nach München auf, um sich den Tatort anzuschauen und möglichst auch mit Verletzten zu reden.