Die Empörungskultur unter der Lupe

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Angesichts der aktuellen Empörungskultur scheinen sich besonders Journalisten vor ihrer Verantwortung drücken zu wollen. Ein Plädoyer für mehr Selbstkritik.

Nein, dies ist kein Niederknien. Und schon gar kein Einziehen gebrechlicher journalistischer Schultern. Im Gegenteil. Allerdings wirken so manche journalistische Statements momentan doch arg aufgesetzt.

Als Europäer aus dem kleinen Luxemburg ist es zweifellos nur schwer vorstellbar, wie sich Journalisten fühlen, die aus Pressekonferenzen ausgeschlossen werden und deren Kollegen nicht einmal imstande sind, aus Solidarität den Verlautbarungen von US-Präsident Donald Trump fernzubleiben.

Und genau hier beginnt die eigentliche Geschichte. Ein Phänomen wie Donald Trump ist zweifellos das Resultat gesellschaftlicher Ungleichheiten, die sich aus einer aus dem Ruder gelaufenen neoliberalen Wirtschaftsordnung ergeben. Allerdings sind und waren Trumps Sprungbrett seit jeher die Medien.

Je oberflächlicher, desto besser

Als junger Multimilliardär wollte er von allen geliebt werden und füllte mit seinen wilden Stories die Klatschkolumnen und die Talkshow-Slots. Immer wieder war er in den letzten drei Jahrzehnten der von den Medien geliebte Kandidat, der nie antrat. Jeder wusste oder glaubte zumindest, „The Donald“ würde seine Kandidatur nur aus Marketing-Gründen in die Arena werfen.

Das Spielchen verlief bis zu Barack Obamas zweiter Amtszeit glimpflich. Allerdings war die stumpfe mediale Logik die gleiche. Der reiche Milliardär ohne wirkliche Inhalte oder echtes politisches Programm erhielt stets den Vorrang vor Politikern, die sich mühsam mit zentralen Fragen beschäftigt hatten. Je oberflächlicher die Diskussion, desto besser, lautete die Devise, die sich bis heute nicht wirklich geändert hat.

Die Rede ist hier nicht von rechten Spinnerseiten wie „Breitbart News“ oder „Fox News“, sondern von so ziemlich allen etablierten US-Nachrichten-Networks. Obschon die geschriebene Presse teilweise nicht besonders besser abschneidet, gibt es jedoch in diesem Feld Qualitätsjournalismus, der aufgrund solider finanzieller Mittel teilweise die globalen Standards setzt.

Alles außer vorurteilsfrei

Unabhängig und vorurteilsfrei sind jedoch auch diese Medien nicht. Selbst die momentan glänzende New York Times kann einen teilweise nur ärgern. Am Anfang war sie zu feige, Lügen als Lügen zu bezeichnen. Danach sprang sie auf den Hysterie-Zug auf und fokussiert nun ebenfalls jede Anti-Trump-Story – und sei sie auch noch so weit entfernt von jeglicher politischer Relevanz.

Es wäre auch ein No-Go, so zu tun, als sei die Trump-Präsidentschaft normal. Weder der Stil noch die Inhalte sind es. Allerdings bringen Geschichten wie jene, dass seine Beraterin Kellyanne Conway ein Bild von ihm und Gästen im Oval Office kniend auf dem Sofa genommen hat, rein gar nichts.

Sie sind Ausdruck einer falsch verstandenen Kritikfunktion. Wer glaubt, Trump durch solche stumpfen Geschichten etwas anhaben zu können, belügt nicht nur sich selbst, sondern vor allem der Presse wohlgesinnte Beobachter. Menschen, die nach Orientierung suchen. Politisch Interessierte, die längst dieses dümmliche Spiel im Namen der Pressefreiheit durchschaut haben.

Nicht nur Kritik und Besserwisserei

Es wäre jedoch mindestens genauso einfach, an dieser Stelle in die reine Kritik und Besserwisserei zu verfallen. Deshalb folgen einige Vorschläge, die sich auf die Mediensysteme in den USA, in Europa, aber auch auf jenes in Luxemburg teilweise übertragen lassen.

Die seit mindestens zwei Jahrzehnten von Medien vorangetriebene Personalisierung von Politik ist eine Katastrophe. Sie versperrt den Blick für komplexe Zusammenhänge und richtet gezwungenermaßen die Aufmerksamkeit auf jene Akteure, die besonders schrill und medienwirksam rüberkommen.

Oder wann haben sie zuletzt die Einschaltquoten in die Höhe schießen sehen, als ein (echter) Wissenschaftler live über ein komplexes Phänomen debattierte?

Immer die gleichen Politiker und Promis

Gerade dieser Personenkult führt dazu, dass stets die immer gleichen Politiker, Experten und Prominente ihren Weg in die Medien finden. Wer als Politiker differenziert, ist heutzutage langweilig.

Wer als Wissenschaftler unterstreicht, dass es keine einfache Antworten gibt, taugt nichts für die Live-Schaltung 90 Sekunden nach dem Terroranschlag. Wer als Promi nicht wunderbar oberflächlich ist, strengt die Menschen zu sehr im wohlverdienten Feierabend an.

Ist diese von den Medien konstruierte Realität jedoch ein halbwegs repräsentatives Abbild gesellschaftlicher Prozesse und Zusammenhänge? Nein. Kann sie auch nicht sein. Allerdings darf dies nicht dazu führen, dass wir uns gerade in Zeiten, in denen politische Extremismen wieder an Fahrt gewinnen, in eine Berichterstattung verirren, in der sich die Menschen nicht wiedererkennen.

Agenda zurückerobern

Mindestens genauso dringend ist die Rückeroberung des „Agenda Setting“. Gerade hier müssen wir nicht bis in die fernen USA blicken. So zeigten etwa die Diskussionen über das Burka-Verbot in Luxemburg, dass nur jene Stimmen zu Wort kommen, die besonders provokativ sind.

Auch hier sollten sich die Medien an die eigene Nase fassen und die Agenda endlich wieder selbst bestimmen. Statt sich von Politikern vor sich hertreiben zu lassen, muss die Frage nach den zugrunde liegenden Problemen – in diesem Fall der Laizität und der Rolle von Religion im öffentlichen Raum – in den Vordergrund rücken.

Umso mehr dürfen Journalisten, die mittlerweile aus scheinbar jedem einen Populisten machen, nicht selbst der Versuchung der Empörungskultur erliegen.

Herunterspielen geht gar nicht. Übertreiben noch weniger.