Die Angst vor der gezielten Vergewaltigung

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Südafrika hat für Afrika ungewöhnlich liberale Gesetze für sexuelle Minderheiten. Dennoch leben in der patriarchalisch geprägten Gesellschaft vor allem Lesben in Angst vor Gewalt - die von Tätern beschönigend «korrigierende Vergewaltigung» genannt wird.

Millicent Gaika will, dass ihre Alpträume aufhören. Die 34-Jährige möchte nicht mehr an jene Nacht denken, als ein Nachbar ihr stundenlang Gewalt antat und sie fast erwürgte – Stunden, die sie bis heute nicht vergessen kann, obwohl es schon drei Jahre her ist. Erst vor wenigen Wochen wurde ihr Peiniger von einem Gericht in Kapstadt verurteilt. Der 46-jährige Andile N. muss für 22 Jahre hinter Gittern. „Ich fühle mich gut, denn er hat die Strafe bekommen, auf die ich gehofft hatte“, sagte Gaika Lokalreportern. „Ich glaube, jetzt werde ich endlich Frieden finden.“

Der Täter hatte die brutale Tat damit begründet, dass Millicent lesbisch sei und – sinngemäß – deshalb mal einen Mann braucht. „Corrective rape“ (übersetzt etwa: „korrigierende Vergewaltigung“) nennt sich das in Südafrika verharmlosend. Männer vergewaltigen lesbische Frauen, um ihnen eine Art Denkzettel zu verpassen.

Opfer kommen aus den Slums

Die meisten Opfer stammen aus armen Townships, wo Homosexuelle meist diskriminiert und verfolgt werden – selbst in der Nähe der schillernden Metropole Kapstadt, die bei Lesben und Schwulen in aller Welt wegen ihres turbulenten Nachtlebens und der allgemeinen Toleranz sehr beliebt ist. Gaika kommt aus Gugulethu. Das Township ist nur 15 km vor Kapstadt entfernt, aber es ist in jeder Hinsicht eine andere Welt.

Allein in der Region am Kap werden nach Angaben der Selbsthilfe-Organisation „Luleki Siswe“ jede Woche im Durchschnitt etwa zehn lesbische Frauen vergewaltigt. Genaue Statistiken gibt es nicht, weil die Polizei nicht nach den Motiven der Sexualdelikte unterscheidet. Mehr als 30 Lesben seien im vergangenen Jahrzehnt an den Folgen äußerst gewalttätiger Vergewaltigungen gestorben, berichtet «Luleki Sizwe».

Hochburg der sexuellen Gewalt

Südafrika gilt auch laut der internationalen Polizeibehörde Interpol als „Hochburg der Vergewaltigung“. Im Jahr werden etwa 64 000 Fälle von sexuellem Missbrauch gemeldet, Experten schätzen die Dunkelziffer auf das 10- bis 25-fache. „Wenn Lesben, Schwule und Transsexuelle angegriffen werden, erzählen sie es höchstens Freunden oder einer Organisation, aber selten der Polizei“, sagte Professorin Jane Bennett vom Institut für afrikanische Geschlechterstudien der Universität Kapstadt.

„Die Täter handeln aus Hass, weil Homosexuelle die klassischen Geschlechterrollen nicht erfüllen“, erklärt die Rechtsanwältin Sanja Bornman von der Frauenrechtsorganisation „Women’s Legal Centre“ in Kapstadt. Diesem Klischee nach müssten Männer mächtig, Frauen unterwürfig und beide selbstverständlich heterosexuell sein.

Liberale Gesetze

Dabei hat Südafrika im Unterschied zu anderen afrikanischen Staaten gegenüber sexuellen Minderheiten sehr liberale Gesetze, hier dürfen Homosexuelle auch heiraten. In Ländern wie Kenia oder Uganda droht ihnen dagegen Gefängnis, in Mauretanien kann für gleichgeschlechtliche Liebe sogar die Todesstrafe verhängt werden. „Trotz der fortschrittlichen Verfassung bleibt Südafrika eine zutiefst patriarchalische und konservative Gesellschaft“, betont Bornman. „Wir müssen noch lernen, was echte Gleichheit bedeutet, auch zwischen den Geschlechtern.“

Auch Politiker äußern sich oft entsetzt über das Ausmaß sexueller Gewalt. Südafrikas Präsident Jacob Zuma verurteilte im vergangenen Jahr nach einem besonders grausamen Vorfall jede Gewalt an Frauen: „Diese Art der Gewalt ist barbarisch, grausam und unmenschlich, sie muss aus unserer Gesellschaft verschwinden.“ Der überzeugte Polygamist, der vier Ehefrauen hat, forderte die Männer Südafrikas auf, Gewalttäter zu ächten und Frauen mehr zu respektieren.

Eine Frau, die vor Ort gegen sexuelle Gewalt kämpft, ist Funeka Soldaat. Auf dem lila T-Shirt der Aktivistin steht „Homophobie tut weh“. Soldaat weiß, wovon sie spricht: Vor 17 Jahren wurde sie selbst von vier Männern vergewaltigt, weil sie lesbisch ist. Seitdem kämpft sie in Kapstadts Townships gegen „corrective rape“. „Wir müssen nicht korrigiert werden“, sagt die 52-Jährige zornig. „Wir sind, wie wir sind.“ Die Verurteilung von Andile N. sei nicht nur für Gaika ein Triumph, sondern für alle, die wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt und vergewaltigt wurden, betont sie. Denn auch sie weiß, dass die meisten Sexualtäter in Südafrika ohne Strafe davon kommen.