Der quakende Politikerschreck „Le Canard enchaîné“

Der quakende Politikerschreck „Le Canard enchaîné“
(dpa)

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Vor 100 Jahren erschien die beliebte französische Satirezeitung "Le Canard enchaîné" zum ersten Mal. Der Geburtstag war im September 2015. Diesen Monat wird mit einer Sonderausgabe richtig gefeiert.

Altersschwach wirkt die wohl bissigste Ente der Welt auch mit 100 Jahren nicht. Die französische Satirezeitung „Le Canard enchaîné“ – übersetzt etwa: Die gefesselte Ente – schnappt immer noch so schnell zu wie in jungen Jahren und lehrt die Mächtigen das Fürchten.

Reihenweise deckt sie Skandale auf, zwingt Politiker mit ihren Enthüllungen zum Rücktritt und bringt zugleich mit ihren Karikaturen Woche für Woche die Franzosen zum Schmunzeln. „Le Canard enchaîné“ ist in Frankreich als Satireblatt und Enthüllungszeitung eine feste Institution, jeden Mittwoch Pflichtlektüre für Politiker, politisch Interessierte und Journalisten anderer Medien.

10. September 1915

Schon im vergangenen September wurde der Wochenzeitung zum 100. Geburtstag gratuliert, sie selbst begeht das Jubiläum aber kommende Woche mit einer Sonderausgabe. Denn „Le Canard enchaîné“ hat zwei Geburtstage: Am 10. September 1915 erschien die erste Ausgabe der vom Journalisten Maurice Maréchal gegründeten Satirezeitung. Aber nach nur fünf Ausgaben war schon wieder Schluss – bis die Ente im folgenden Jahr wiederauferstand.

Diesen 5. Juli 1916 sieht die Redaktion als wahren Geburtstag an. In ihren Anfangsjahren im Ersten Weltkrieg kämpfte die Satirezeitung als pazifistische Stimme gegen kriegsverherrlichende Propaganda und Zensur an. Das macht schon der Name deutlich: „Ente“ ist in Frankreich ein umgangssprachlicher Begriff für eine Zeitung; und mit „gefesselt“ spielte das Satireblatt auf die Zeitung „Der freie Mann“ an, die sich wegen der Zensur in „Der gefesselte Mann“ umbenannte.

Diamanten für Giscard

In den 70er Jahren dann wurde aus der Satirezeitung immer mehr ein Enthüllungsblatt, das mit seinen investigativen Recherchen neue Maßstäbe in Frankreich setzte. 1979 deckte „Le Canard enchaîné“ auf, dass sich Frankreichs Staatschef Valéry Giscard d’Estaing vom zentralafrikanischen Diktator Bokassa wertvolle Diamanten schenken ließ – ein schwerer Imageschaden für den liberalen Politiker, der zwei Jahre später aus dem Elysée-Palast gewählt wurde.

1981 überführte die Zeitung den damaligen Haushaltsminister Maurice Papon als früheren NS-Kollaborateur, Papon wurde später zu zehn Jahren Haft verurteilt. „Le Canard enchaîné“ nimmt Politiker von Regierung wie Opposition gleichermaßen ins Visier, zuletzt traf es den aufstrebenden Wirtschaftsminister Emmanuel Macron: Die Zeitung deckte auf, dass der Jungstar Reichensteuer nachzahlen muss.

Keine Fotos

Kaum eine Zeitung ist so gut vernetzt im politischen Frankreich, hat so viele gut postierte Informanten. Dabei wirkt „Le Canard enchaîné“ ein bisschen wie aus einer anderen Zeit: Auf modernes Layout pfeift die Redaktion, die acht Seiten der Zeitung sind dichtbepackt mit Texten und bissigen Karikaturen, Fotos gibt es so gut wie keine, etwas Rot ist das einzige farbliche Element.

Das Internetzeitalter ist bei „Le Canard enchaîné“ auch nicht wirklich angekommen: Eine App gibt es ebensowenig wie eine Facebook-Seite, auf dem Twitter-Account werden nur die Themen der Druckausgabe angekündigt, und die Internetseite wird ebenfalls höchst stiefmütterlich behandelt. „Das wirkt ein bisschen altmodisch, aber es funktioniert“, sagte Chefredakteur Louis-Marie Horeau einmal.

390.000 Exemplare

Tatsächlich steht „Le Canard enchaîné“ finanziell besser da als die meisten anderen französischen Zeitungen, verkauft Woche für Woche fast 390.000 Exemplare, hat große Finanzreserven und 2014 – für 2015 wurden noch keine Zahlen veröffentlicht – einen soliden Gewinn erwirtschaftet. Und das, obwohl die Zeitung komplett auf Anzeigen verzichtet, um ihre Unabhängigkeit zu bewahren.

Trotzdem kommt „Le Canard enchaîné“ in Bedrängnis: Bei Enthüllungsgeschichten macht ihr die Investigativ-Seite „Mediapart“ Konkurrenz. Und Experten warnen, dass die Leserschaft immer älter wird und junge Leser wegen des fehlenden Online-Angebots nicht angesprochen werden. Vorerst sieht die Redaktion da aber keinen Handlungsbedarf – und Frankreich darf sich noch auf so manchen Skandal gefasst machen, den die Ente in die Welt hinausquakt.