Der neue Feind der Linken

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Emmanuel Macron ist 36 Jahre alt. Er ist der neue Wirtschaftsminister in Frankreich und eher ein Sozialliberaler. Er ist ein Schock für Frankreichs Linke, ein Signal für Europa.

Emmanuel Macron hat Erfahrung im Theoretisieren von Wirtschaft. Er ist ein Assistent eines Philosophen gewesen. Er war der Redakteur in einem Ausschuß, der für den früheren Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy 374 Vorschläge zur Liberalisierung der französischen Wirtschaft erarbeitete. Er war Gesellschafter in der Investmentbank Rothschild und leitete die Übernahme einer Tochtergesellschaft des Chemiekonzerns Pfizer durch Nestlé. Den Posten des Bankiers gab er auf, um Wirtschaftsberater von Staatspräsident François Hollande zu werden. Für ihn konzipierte er die aktuelle reform-orientierte Angebotspolitik, die von Ministerpräsident Valls durchgesetzt werden soll.

Für die Linke Frankreichs ist der 36 Jährige, der lässig souverän wirkt, bereits ein rotes Tuch. Er wäre vor 147 Tagen in der ersten Regierung des Ministerpräsidenten Manuel Valls gerne Finanzminister geworden. Er wurde es nicht. Seine Konsequenz: Er verließ den Präsidentenpalast. Mitglied der zweiten Regierung Valls wurde er – wird in Paris kolportiert – auf Wunsch des Regierungschefs.

Dass ein 36jähriger Ex-Bankier das Wirtschaftsressort übernimmt, ist für Frankreichs Linke nicht akzeptabel. Sie erinnert an die Aufraktrede von François Hollande im Wahlkampf um das Präsidentenamt, in dem der sozialistische Kandidat die Finanzwelt als seinen Gegner dargestellt hatte. Macron ist außerdem derjenige, der ein 50 Milliarden Sparprogramm entworfen hat, mit dem François Hollande hausieren geht. Allerdings sind seit der Vorstellung des Programms die Konturen nicht entwickelt worden. Niemand weiß auch genau, wo denn konkret gespart werden soll, weil derzeit die Regierung Valls die Einnahmen für den Staatshaushalt reduziert. Gut vier Millionen Franzosen sollen vom kommenden Jahr an weniger Steuern oder gar keine Einkommensteuer mehr bezahlen.

Fehlstart

Macron wird Reformen durchführen müssen im Arbeitsrecht, wird Reglementierungen aufheben müssen, die die Unternehmen begrenzen. Er hat dabei gleich zu Beginn einen Fehlstart hingelegt. Drei Tage nach seiner Ernennung erschien in dem politischen Magazin „Le Point“ ein Interview mit Macron, in der er die Abschaffung der 35 Stunden Woche forderte. Macron hatte das Interview zu einem Zeitpunkt geführt, zu dem nicht absehbar war, dass er Wirtschaftsminister werden würde. Dennoch führte das zu einem Proteststurm im linken Spektrum nicht nur bei den Linksaußen oder den Kommunisten sondern auch im linken Flügel der Sozialisten, der so stark ist, dass von ihm die Parlamentsmehrheit der Sozialisten abhängt.

Macron wird es nicht leicht haben, eine Angebotspolitik zu verwirklichen. Ministerpräsident Manuel Valls lehnt es umgehend ab, dass die 35-Stundenwoche zur Disposition gestellt werden sollte. In seiner Abschlussrede auf der Sommerakademie der Sozialisten in La Rochelle betonte er, dass Frankreich keine Austeritätspolitik betreibe. Man habe gerade die Stipendien für Studenten erhöht. Man schaffe 60.000 neue Lehrerstellen im Land. Man bewahre das Kulturbudget. Man erhöhe die Anzahl der Polizisten und Gendarmen. Man erhöhe die Zahl der Gefängniswärter. Man habe gerade einen Plan gegen die Armut entworfen und werde auch die Sozialhilfe erhöhen. Die Finanzhilfen für die Familien schulpflichtiger Kinder zur Ausstattung zum Schuljahresbeginn seien erhöht worden. Dies alles, so Valls, zeige, dass Frankreich keine Austeritätspolitik betreibe. Und als i-Tüpfelchen setzte der Regierungschef noch diese Aussage auf seine Aussagen drauf: „Die Reduzierung des Budget-Defizits ist keine Aufgabe an sich“. Mit anderen Worten: Emmanuel Macron hat alle Chancen, ein gutes Aushängeschild zu werden.

Liberalere Wirtschaftspolitik

Ob Macron eine liberalere Wirtschaftspolitik mit Reformen überhaupt verwirklichen kann, hängt von dem Haushalt für das Jahr 2015 ab, den Finanzminister Sapin am 12. September vorlegen wird. Der Haushalt wird zeigen, wie die Regierung Valls es schaffen wird, mehr Beamte einzustellen und zu bezahlen und gleichzeitig die Steuereinnahmen zu senken. Von staatlichen Investitionen ist bei Valls schon nicht mehr die Rede. Die sollen von den regionalen Einheiten wie etwa den Départements geleistet werden. Die aber sind bereits überschuldet und können sich Investitionen nur leisten, indem sie weitere Kredite aufnehmen.

Der Haushalt 2015 aber ist der letzte „normale“ Haushalt. Im Jahre 2016 ist Wahlkampf, im Frühjahr 2017 wird ein neuer Staatspräsident gewählt. Die Aussage, dass die Reduzierung des Defizits keine Aufgabe an sich sei, lässt erkennen, dass Emmanuel Macron es als „Sozial-Liberaler“ in der französischen Regierung nicht leicht haben wird.

(Helmut Wyrwich / Tageblatt.lu)