„Bin Laden-Tötung gegen das Völkerrecht“

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Die Tötung Bin Ladens ist nicht mit dem Völkerrecht vereinbar. Das sagt der stellvertretende Direktor des Zentrums für Völkerrecht der ULB Olivier Corten in einem Tageblatt.lu-Gespräch.

Tageblatt.lu: Gibt es völkerrechtliche Gründe, die den Tod Osama Bin Ladens Tod rechtfertigen?

Olivier Corten ist Professor für Völkerrecht an der „Université Libre de Bruxelles“.

Olivier Corten: „Die Lage ist etwas unübersichtlich, weil es in meinen Augen keine zuverlässigen Informationen über die Operation in Abbottabad gibt. Es gibt zwei Probleme im Zusammenhang mit der Tötung des Top-Terroristen. Erstens wurde die Operation in Pakistan nicht von den dortigen Autoritäten genehmigt. Die USA haben die nationale Souveränität des Landes verletzt, als sie mit einem Spezialkommando in das Anwesen Bin Ladens eindrangen.

In der Vergangenheit wurde schon einmal ein Staat von den Vereinigten Nationen verurteilt. Israel hatte 1960 den NS-Kriegsverbrecher Adolf Eichmann aus Argentinien entführt, ohne die nationalen Behörden darüber in Kenntnis zu setzen. Sich auf die ‚moralische Pflicht‘ zu berufen reicht nicht.

Zweitens wirft der Tod Bin Ladens Fragen auf, was die Menschenrechte betrifft. Zuerst sagte Obama, das Ziel sei gewesen, Bin Laden festzunehmen. Die Aktion sei jedoch misslungen. Bin Laden hätte sich gewehrt und so habe man ihn erschießen müssen. Auch wenn es Notwehr gewesen wäre, hätte sich noch immer die Frage des Fehlens eines gültigen Mandats durch die Pakistani für die Operation gestellt. Nachdem dann bekannt wurde, dass Bin Laden unbewaffnet war, ist für mich klar, dass hier das Völkerrecht verletzt wurde.“

Was halten Sie von den Jubelszenen in Amerika und woanders nach der Ankündigung des Todes des Al-Kaida-Chefs?

„Nach den Anschlägen vom 11. September auf das World Trade Center in New York wurde Osama Bin Laden als Ausgeburt des Teufels hochstilisiert, die man beseitigen müsste. In den USA saß der Schock des Attentats sehr tief. Deshalb war zu erwarten, dass der Tod des Terroristen Freudenstürme provozieren würde.

Die Reaktion der Politiker auf der Welt werte ich dagegen eher als zynisch und populistisch. Sie wissen ganz genau, dass hier geltendes Völkerrecht verletzt wurde. Aber die Öffentlichkeit wollte den Tod des Al-Kaida-Führers. Deshalb applaudieren sie und sprechen von einer „besseren Welt“. Sie sagen das, was die Leute hören wollen.

Die USA sagen, sie befänden sich im „Krieg gegen den Terrorismus. Kann man in einem solchen Fall das Völkerrecht durch das Kriegsrecht ersetzen?

„Keineswegs. Das Kriegsrecht kann nur angewendet werden, wenn zwei oder mehr Länder sich im Krieg gegeneinander befinden. Bei der Tötung Bin Ladens handelte es sich aber vielmehr um eine teilweise misslungene Polizeiaktion, die ohne Mandat durchgeführt wurde. Das Kriegsrecht kann hier nicht bemüht werden. Und sogar in Kriegszeiten kann man nicht einfach so jemanden exekutieren, ohne Prozess. Darum bin ich mit Obamas Aussage, dass ‚der Gerechtigkeit genüge getan wurde‘, nicht einverstanden.

Die richtige Vorgehensweise wäre gewesen, die Pakistanis zu informieren, Bin Laden festzunehmen und vor einem amerikanischen Gericht für die Anschläge vom 11. September 2001 den Prozess zu machen. Vom Menschenrechtsgerichtshof von Den Haag hätte er nicht belangt werden können, da es erst für Straftaten kompetent ist, die nach 2002 passiert sind. Man kann aber auch nicht von einem ‚Mord‘ an Bin Laden sprechen, da man dann beweisen müsste, dass die USA die klare Absicht hatten Bin Laden umzubringen. Das dürfte aber sehr schwer sein.“