Augenwischerei des Justizministeriums?

Augenwischerei des Justizministeriums?
(AFP)

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Der Planning Familial regt sich auf. Die Zahlen des Justizministeriums zu sexuellem Missbrauch seien Augenwischerei, die Wirklichkeit in Wahrheit viel düsterer.

In einer parlamentarischen Frage an Justizminister Felix Braz hatte sich Nancy Arendt nach der aktuellen Gesetzeslage in Vergewaltigungs- und Missbrauchsfällen erkundigt (das Tageblatt berichtete).

Nun meldete sich das „Planning Familial“ ebenfalls zu Wort und präsentiert eine andere Version der Geschichte.„Ein Drittel der Opfer beginnt seine Therapie bei uns in einem Alter, in dem es wegen der Verjährungsfrist nicht mehr möglich ist, die Täter anzuklagen“, beschreibt Catherine Chéry, Direktorin des „Planning Familial“, die Realität.

Kritik an Statistik des Justizministeriums

„Die Statistik des Justizministeriums erfasst leider nur die Fälle, in denen tatsächlich Anzeige erstattet wurde. Doch alleine die fehlenden Erfolgsaussichten halten viele Misshandlungsopfer davon ab, Klage zu erstatten.“ Tatsächlich scheinen die vom „Planning Familial“ im Aktivitätsbericht des Jahres 2015 erfassten Daten der Direktorin recht zu geben. 31,5 Prozent der Betroffenen sind bei Therapiebeginn 30 Jahre oder älter.

Die Therapie stellt zudem meistens den Anfang des Aufarbeitungsprozesses dar, im Verlaufe dessen von den Opfern Klage erhoben wird. „Wir unterstützen die Klageerhebung, allerdings können wir niemanden dazu zwingen“, so die Direktorin.

Nur eine Seite der Medaille

Zur Erinnerung: Die Verjährungsfrist in Luxemburg beträgt bei Missbrauchsfällen zehn Jahre. Diese Frist beginnt allerdings erst ab der Volljährigkeit der Opfer, dauert also bis zu deren 28. Lebensjahr.

Ein Drittel der vom „Planning Familial“ registrierten Opfer haben vor Gericht also kaum Erfolgschancen. Die Motivation, Klage zu erheben, ist demnach fast nicht vorhanden. „Die reelle Zahl, die Zahl der Unsichtbaren, der Opfer, die keine Anzeige erstattet haben, ist weitaus höher als die vom Ministerium erfassten Zahlen“, äußert Catherine Chéry ihre Bedenken.

Rechenbeispiele mit der Dunkelziffer

In der Tat haben nur 31,4 Prozent der Personen, die beim „Planning Familial“ in Therapie sind, überhaupt Anzeige erstattet. Die Zahlen des „Planning Familial“ sind wegen der geringen Anzahl an Therapieteilnehmern zwar nicht repräsentativ.
Dennoch skizzieren sie – verglichen mit den offiziellen Zahlen des Ministeriums – eine viel dunkleres Gesamtbild: 2015 haben insgesamt 128 Personen Anzeige erstattet, sollten diese 128 ebenfalls nur 31,4 Prozent der tatsächlichen Opfer darstellen, käme man auf insgesamt 408 Opfer für das Jahr 2015.

2015 konnten insgesamt 118 neue Gerichtsverfahren aufgerollt werden. Laut offiziellen Zahlen landeten somit 92 Prozent der angezeigten Fälle vor Gericht (Ausgang unbekannt). Ein Vergleich mit der errechneten Dunkelziffer zeigt hingegen: Nur rund 28,9 Prozent der tatsächlichen Misshandlungen wären demnach 2015 vor Gericht gelandet.

Dann sieht alles düsterer aus

Bei diesen Zahlen handelt es sich zwar nur um eine Hochrechnung. Dass bei Misshandlungen von hohen Dunkelziffern ausgegangen werden muss, gilt aber als gesichert. Die Zahlen des Planning Familial lassen die Strafverfolgung viel weniger effizient dastehen, als die offiziellen Zahlen dies tun. Deshalb auch die Forderung des „Planning Familial“, die Verjährungsfrist für sexuelle Vergehen, egal ob an Minder- oder Volljährigen, nach Vorbild der Schweiz oder Großbritanniens komplett abzuschaffen.