„Auf einer Stufe mit den Klassikern“

„Auf einer Stufe mit den Klassikern“
(Reuters)

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Eine beißende Satire über ethnische Identität und Klassenfragen wird mit dem Man Booker Prize geehrt. Der Autor von "The Sellout" ist Paul Beatty, der als erster Amerikaner die prestigeträchtige Auszeichnung erhält.

Der renommierte Man Booker Prize für englischsprachige Literatur geht erstmals an einen Amerikaner: Paul Beatty erhielt die Auszeichnung für seinen Roman „The Sellout“, der ethnische Identität und die Klassengesellschaft in den USA auf bissige Weise verhandelt. Prinz Charles‘ Frau Camilla überreichte dem Schriftsteller den Preis am Montagabend bei einer Gala in der Londoner Guildhall. Er ist mit 50 000 Dollar (rund 56 000 Euro) dotiert. Die Preisrichter priesen Beattys Buch als provokative Satire, die „auf einer Stufe mit den Klassikern“ stehe und genauso aktuell wie die Abendnachrichten sei.

Aktuell wie die Abendnachrichten

Das Werk „springt ins Herz der modernen amerikanischen Gesellschaft, und das mit absolut wildem Witz – auf eine Art, die ich seit (Jonathan) Swift oder (Mark) Twain nicht mehr erlebt habe“, ergänzte die Jury-Vorsitzende und Historikerin Amanda Foreman. So vermenge „The Sellout“ Popkultur, Philosophie und Politik mit Humor und Zorn und schicke sich an, „jedes soziales Tabu bedeutungslos zu machen.“ Es sei ein Buch, „das den Leser mit fröhlicher Hemmungslosigkeit ans Kreuz nagelt“, sagte Foreman weiter. „Deswegen funktioniert das Buch – denn während man angenagelt wird, wird man gekitzelt.“

„The Sellout“ erzählt vom Leben in einem heruntergekommenem Vorort von Los Angeles, der sich Dickens nennt. Dort leben ein älterer Herr namens Hominy Jenkins, der einst eine Rolle in der Serie „Die kleinen Strolche“ hatte, und Ich-Erzähler Bonbon, ein Afroamerikaner, der wegen Versuchs der Wiedereinführung von Sklaverei und Rassentrennung vor dem Obersten Gerichtshof der USA landet.

Kompromisslos

Das Buch wurde von Kritikern mit der Komik eines Richard Pryor oder eines Chris Rock verglichen, Beatty geht darin keinem heißen Eisen aus dem Weg. Stereotype anhand der Hautfarbe, anstößige Sprache und Polizeigewalt nimmt der Autor ungerührt kompromisslos auseinander.

Beatty selbst räumte in seiner Dankesrede ein, dass es sich um harten Erzählstoff handele – sowohl zum Lesen als auch zum Schreiben. Es sei gut möglich, dass der Roman Leser aus ihrer Komfortzone bugsiere. „Ich will nicht total dramatisch werden, als ob das Schreiben mein Leben gerettet hätte“, sagte der 54-Jährige weiter. „Aber das Schreiben hat mir ein Leben gegeben. Ich versuche einfach nur mir Raum zu schaffen – hoffentlich schafft das anderen Raum.“ Vor „The Sellout“ hatte Beatty bereits drei Romane verfasst.

Buchmacher hatten Beatty nicht auf der Rechnung

Die fünfköpfige Jury hatte am Dienstag in einer vierstündigen Sitzung den Gewinner aus sechs Finalisten ausgewählt, die zuvor aus insgesamt 155 Bewerbern ausgesiebt worden waren. Die Buchmacher hatten Beatty nicht auf der Rechnung, als Favoritin galt vielmehr die Kanadierin Madeleine Thien und ihr Werk „Do Not Say We Have Nothing“ über zwei Familien im China des 20. Jahrhunderts.

Der Man Booker Prize wird seit 1969 vergeben. Ursprünglich war er nur Autoren aus Großbritannien, Irland und den Commonwealth-Staaten offen. Doch 2014 wurde die Auszeichnung auf alle englischsprachigen Autoren ausgeweitet. Gerade in der Literaturwelt auf der Insel gab es dann die Sorge, dass die Änderung zu einer möglichen US-Dominanz führen könnte. Doch 2014 gewann der Australier Richard Flanagan und im Jahr darauf der Jamaikaner Marlon James.