Sozialwesen: Wasser in fremdem Wein

Sozialwesen: Wasser in fremdem Wein
(Tageblatt/© Alain Rischard / Editpress)

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Im schwelenden Konflikt im Sozial- und Pflegesektor (SAS-Kollektivvertrag) hatten die Patronatsvertreter am Mittwoch zu einer Pressekonferenz eingeladen, auf der sie ihre Standpunkte darlegten. Dass sie die Regierung in die Pflicht nehmen, ist dabei eine von nur mehreren Feststellungen, die man treffen kann.

Die einfachste Feststellung zuerst: Das Ganze erscheint sehr kompliziert. Ebenfalls einfach: In der öffentlichen Darstellung wird wohl zu sehr vereinfacht – auch von Regierungsseite –, um der ganzen Problematik gerecht zu werden, und es werden Dinge miteinander verglichen, die eigentlich nicht/kaum vergleichbar sind.

„Wo ist das Geld?“

Die existierende Darstellung – „Das Geld ist bewilligt, es ist da, nun verteilt es auch“ – teilen die Patronatsvereinigungen keineswegs: „Das ist zu einfach. Die Regierung sagt das, aber wir machen uns Sorgen über die reale Verfügbarkeit“, so Michel Simonis. „Ist der Kollektivvertrag in Kraft, und das geht nach der Unterschrift recht schnell, brauchen wir richtige Euros und keine Versprechen mehr.“

Bewilligt ist wie gesagt ein Volumen an Erhöhungen von 5,15%, ab Oktober 2015.

Nun sei die „valeur monétaire“ bei der Pflegeversicherung aber 2015 gar nicht, 2016 um 2,2% und 2017 um 2,5% erhöht worden – finanziert werden müssten aber 5,15%. Die „lettre-clé“ bezüglich Krankenpfleger-Dienste sei heute bereits „largement“ ungenügend und müsste per Gesetz angepasst werden.

Man sei jetzt bei „Maisons relais“ und „Crèches“ bei den Budgets 2017 angekommen: „Und dort arbeiten viele Menschen in zwei der Karrieren, die nun aufgewertet werden sollen. Dort müssten Staat und Gemeinden sofort bei Inkrafttreten des Kollektivvertrags sehr viel Geld locker machen.“ Die Tarife beim „Office national de l’enfance“ würden aktuell keinen 5,15% mehr Rechnung tragen, genauso wenig wie beim Arbeitsministerium (zuständig für „ateliers protégés“) keine 5,15-prozentige Erhöhung berechnet wäre.

Wo das Geld also sei, fragen die Patronatsvereinigungen. (clc)

Die nächste Feststellung ist – wie bereits erwähnt–, dass die Patronatsvertreter von COPAS („Confédération des organismes prestataires d’aides et de soins“), „Entente des foyers de jours“, „Entente des gestionnaires des centres d’accueil“ und „Entente des gestionnaires des maisons de jeunes“ die Regierung in die Pflicht nehmen – denn die Legitimität der gewerkschaftlichen Forderungen stellen sie laut eigener Aussage nicht in Frage. Es geht um bewilligte Gelder und deren Vorhandensein.

Auf Gewerkschaftsseite laufen bekanntlich bereits Streikvorbereitungen (Link) für eine eventuelle Arbeitsniederlegung frühestens im Herbst und hier lautet die Feststellung: Das Patronat ist gewillt, Wasser in seinen Wein zu schütten – nur, dass es eigentlich gar nicht sein Wein ist. Dieser „Vin-Vichy“ kommt am Donnerstag in einer gemeinsamen Verhandlungsrunde auf den Tisch. Unter anderem könnten am Ende dieses Treffens möglicherweise Sektkorken knallen – Einigung gefunden, Streik abgewendet – und anschließend eine gemeinsame „Front“ Patronat-Salariat entstehen, die die Politik in die Pflicht nimmt.

Gesetz und Kollektivvertrag schwer vergleichbar

Soviel zu einer Analyse „à chaud“ einer komplizierten Situation im „Secteur d’aide et de soins“ (SAS) nach der Patronatspressekonferenz.

Es geht um die Anpassung von Laufbahnen entsprechend jenen der „Fonction publique“ sowie um die Aufwertung von verschiedenen Karrieren laut Gehälterabkommen Staat-CGFP. Das resultiert daraus, dass die Laufbahnen laut ASFT-Gesetz – das die Beziehungen zwischen dem Staat und den Organisationen, die im sozialen, therapeutischen und Familienbereich tätig sind, regelt – an diejenigen im öffentlichen Dienst angeglichen sind.

Wobei „angeglichen“ wichtig ist, denn diese Arbeitnehmer sind keine Staatsbeamten: Der SAS-Sektor ist zwar subventioniert, funktioniert aber nach Privatrecht. De facto ist es also schwer, das Gehälterabkommen beim Staat, das für die Staatsbediensteten anschließend in ein Gesetz gegossen wird, mit einem Kollektivvertrag im Privatrecht eins zu eins zu vergleichen.

Voller Effekt nach 25 Jahren vs. Sofortmaßnahmen

Laut Copas und Co. ist es nun so, dass sofortige Karriere-Aufwertungen beim Staat nur bei Neueinstellungen gelten; die bereits dort Arbeitenden fallen in Übergangsbestimmungen, die z.T. erst nach 20 bis 25 Jahren ihre vollen Effekte hätten und zu dem Zeitpunkt als Gesamtvolumen eine Steigerung von 12% bis 13% der Lohnmasse bedeuten würden.

Michel Simonis, Direktor des Roten Kreuzes, führte für die Copas aus, dass die geplanten Erhöhungen laut Kollektivvertrag-Vorschlag im SAS-Sektor aber Sofortmaßnahmen seien – für alle Arbeitnehmer, nicht nur für neu Eingestellte: „Das Gegenteil wäre ungerecht.“ Demnach würden sofort nach Inkrafttreten eines neuen Kollektivvertrags (im Prinzip retroaktiv zum Oktober 2015) die drei hauptsächlich von den Aufwertungen visierten Karrieren – Erzieher, Sozialpädagogen und Krankenpfleger – mehr Geld erhalten. Übergangsbestimmungen gäbe es aktuell nicht.

188 Millionen Euro mehr in fünf Jahren für die Arbeitnehmer

Das Geld für diese Erhöhungen kommt aus einer von der Regierung bewilligten „enveloppe financière“ von 5,15% der aktuellen Lohnmasse des Sektors für fünf Jahre (entspricht ca. 188 Millionen Euro), d.h. bis 2020. Ob der Kompliziertheit der Berechnungen habe man sich darauf geeinigt, in Fünf-Jahresschritten vorzugehen und also alle fünf Jahre neue Berechnungen durchzuführen. Nun würden die Gewerkschaften aber Garantien verlangen, dass man über 2020 hinaus irgendwann beim „staatlichen“ Gesamtvolumen von 12-13% der Anpassungen und Aufwertungen lande.

Besagte 5,15% wurden von der im ASFT-Gesetz vorgesehenen „Commission paritaire“ ausgehandelt oder ausgearbeitet, d.h. hier saßen die Sozialpartner und die Ministerien gemeinsam am Tisch. Der Regierungsrat gab dann seine Zustimmung zu diesen 5,15%. „Das ist demnach die einzige chiffrierte Garantie, die wir haben“, so Simonis. Diese Summe werde im vorliegenden Vorschlag zu einem Kollektivvertrag auch integral verteilt – nur gäbe es keine „Garantien“ über diese Summe und über 2020 hinaus. Hier sieht das Patronat die Regierung in der Pflicht, Garantien – am besten chiffrierte – zu geben, damit die Arbeitgeber ihrerseits diese Garantien „weiterreichen“ könnten.

„Mehr oder weniger ermutigt“ für neuen Vorschlag

In einem Brief an Premierminister Xavier Bettel hatten die vier Patronatsvereinigungen eine Tripartite-Sitzung zur Lösung des Problems gefordert. Eine Zusage gab es in Bettels Antwort vom 5. Mai nicht, dafür aber folgenden Satz: „Il en résulte donc que le financement de la revalorisation des carrières concernées est garanti au-delà de la période de 5 années.“

Eine Garantie also, „wenn auch keine chiffrierte“, durch die man sich „mehr oder weniger ermutigt“ fühle, so Simonis, den Gewerkschaften am Donnerstag einen neuen Textvorschlag zum Kollektivvertrag zu machen. Dieser würde formelle Aussagen über 2020 hinaus enthalten sowie mögliche Übergangsbestimmungen, um zu den 12-13% zu gelangen.

„Denn einen Streik wollen wir definitiv nicht, das wäre nicht gut für den Sektor. Es wäre auch geradezu widersinnig in unseren Augen, wenn es einen Streik gäbe wegen eines Kollektivvertrags, der den Angestellten so viel Geld bringt“, so Michel Simonis.

Zusätzliche Details in der Tageblatt-Ausgabe vom 11. Mai (Print und E-paper).