Merkel versteckt sich hinter dem Vertrag

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Mit der Nominierung des EU-Kommissionspräsidenten beginnt es trotz der Aufstellung von Spitzenkandidaten und dem eindeutigen Resultat, wie so oft in Europa, schwierig zu werden.

Trotz eines eindeutigen Vorschlags aus dem Europäischen Parlament an die Staats- und Regierungschefs, dem Spitzenkandidaten der Europäischen Volkspartei, Jean-Claude Juncker, die Möglichkeit zu geben, bei den Fraktionen in der europäischen Volksvertretung eine Mehrheit auszuloten, haben die 28 beschlossen, ihren Präsidenten auf Erkundungstour zu schicken. Denn der Europäische Rat war am vergangenen Dienstagabend in seiner Gesamtheit nicht gewillt, das Resultat der Europawahlen, das sie bei ihrem Vorschlag für einen Kandidaten für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten laut Lissabon-Vertrag berücksichtigen müssen, in der gleichen Weise zu deuten, wie es die EP-Abgeordneten und auch eine Reihe der Staats- und Regierungschefs tun.

Dass aber der Einsatz mancher seiner Parteifreunde und vor allem -freundinnen für Jean-Claude Juncker offenbar zu wünschen übrig ließ, ist vor allem deutschen Medienvertretern in Brüssel aufgefallen, die nach dem informellen Dinner der 28 kurz vor Mitternacht der Pressekonferenz der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel beiwohnten.

Diese verteidigte das Vorgehen des Rates, Herman van Rompuy damit zu beauftragen, erst einmal Konsultationen bei den 28 EU-Staaten über deren Position zur Kandidatenfrage zu führen. Im Juni soll der Belgier beim EU-Gipfeltreffen Bericht erstatten, wo dann auch eine Entscheidung getroffen werden soll. Ziel sei es, vor der Sommerpause Klarheit über die Personalien zu haben, so die Bundeskanzlerin, für die wieder „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“ geht. Denn es gebe ein „breiteres Personaltableau“ zu diskutieren. Neben dem Kommissionspräsidenten müssen der Präsident des Europäischen Rates sowie wichtige Kommissarsposten, darunter jener für die gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik, neu besetzt werden. Herman van Rompuys Explorationsauftrag wird übrigens auch vom französischen Präsidenten François Hollande unterstützt, bei dessen Pressekonferenz die Personalfrage allerdings kaum eine Rolle spielte.

Angela Merkel wies immer wieder darauf hin, dass sie sich an den Lissabon-Vertrag halten müsse, und dieser sähe nun einmal vor, dass die EU-Staats- und Regierungschefs dem Europäischen Parlament einen Vorschlag für die Kandidatur des Kommissionspräsidenten unterbreiten müssten. Sie werde „nicht wegen eines parteipolitischen Versprechens den Vertrag brechen“, so die deutsche Kanzlerin. Dieser sieht aber auch vor, dass keine Einstimmigkeit erforderlich ist, sondern eine qualifizierte Mehrheit im Europäischen Rat reicht, um die Frage über den Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten zu klären.

Merkel nimmt Rücksicht auf Cameron

Immerhin gehe es auch nicht nur um Personen, so die Bundeskanzlerin weiter, sondern ebenfalls um Inhalte wie Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung Energie, Klimaschutz und Verteidigung, die für die kommenden fünf Jahre diskutiert werden müssten. Auf die Frage, ob Jean-Claude Juncker diese Themen mitgestalten könnte, sagte Angela Merkel: „Die ganze Agenda kann von ihm, aber auch von vielen anderen durchgeführt werden. Daran habe ich keinen Zweifel.“

Die deutsche Bundeskanzlerin nimmt besondere Rücksicht auf den britischen Premierminister David Cameron, der Juncker die Unterstützung verweigert, ebenso wie der schwedische und der ungarische Regierungschef. Wegen dieser Rücksichtnahme meinte der Brüsseler Chefkorrespondent des Ersten deutschen Fernsehens, Rolf-Dieter Krause, könnte sich Juncker aus gesundheitlichen Gründen demnächst zurückziehen.

Auf Nachfrage hin wurde uns gestern jedoch aus dem Umfeld von Jean-Claude Juncker erklärt, dass dies jeder Grundlage entbehre. Der EVP-Spitzenkandidat würde seinen Plan einhalten, auch wenn es derzeit noch keinen Kalender etwa für die Gespräche mit den Fraktionen im Europäischen Parlament gebe. Ohnehin sei nicht viel anderes erwartet worden, so die Reaktion auf das informelle Gipfeltreffen am Dienstag.

Dieses fand der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn in einem Gespräch mit der ARD „erbärmlich“, während sein österreichischer Parteikollege und Fraktionsvorsitzender der Sozialisten und Demokraten im EP, Hannes Swoboda, es „komisch“ findet, dass Jean-Claude Juncker gerade von der sozialistischen Fraktion jene Unterstützung erhält, die ihm Vertreter seiner eigenen Parteifamilie verweigern.

Auffallend ist, dass in den letzten Tagen sowohl der derzeitige deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger als auch aus dessen CDU der Anspruch auf eine weitere Mandatszeit in Brüssel für einen Unionspolitiker erhoben wird. Sollten sich diese in der Berliner Koalition damit durchsetzen, wäre der Weg für einen SPD-Politiker und damit den sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Martin Schulz für einen Kommissarsposten in Brüssel verbaut.