Zeugnis von Armut

Zeugnis von Armut
(dpa)

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Sommerzeit, Zeit der Zeugnisse. Die Schüler haben sich ihre Sommerpause verdient. In diese Zeit platzt nun, von offizieller Seite aus, ein Armutszeugnis. Ausgestellt hat es das Unterrichtsministerium.

Nur, an wen es sich richtet, wer sich angesprochen fühlen soll, das steht nicht drin. Schönfärberei möchte das Ministerium nicht betreiben. Vielmehr heißt es, man sei schwer besorgt und strebe tiefer gehende Analysen an.

Armand Back aback@tageblatt.lu

Es geht um die Verteilung der Schüler auf die verschiedenen Schulformen nach der Grundschule. Also darum, wohin die Reise nach dem „Primaire“ geht. Und für immer mehr geht die Reise nicht sehr weit. 17,6 Prozent wechseln ins „Régime préparatoire“. Ein Anteil, der seit Jahren kontinuierlich steigt. 2010 waren es noch knapp 13 Prozent.

Anders gesagt: Der Staat traut immer weniger Kindern eine Schulform zu, die ehrliche Hoffnungen auf ein ordentliches Berufsleben gestattet.
Weil sie den Anforderungen des „Secondaire“ oder des „Secondaire technique“ nicht gewachsen sind. Weil sie angesichts ihres Bildungsstandes in diesen Schulformen den Betrieb stören, ihn unmöglich machen, da sie dem Lehrplan nicht folgen können. Was sie zum Kollateralschaden einer ungesunden Entwicklung in der Luxemburger Schullandschaft werden lässt. Es bleibt ihnen nichts anderes als die stellenmarktliche Abschiebehaft, die der „Préparatoire“ leider geworden ist.

Richtige Schlüsse für richtige Abschlüsse

Ein Forscher der Universität Luxemburg sagte dieser Zeitung vor einer Weile und hinter vorgehaltener Hand, dass man im Süden des Landes gar nicht so viele Frittenbuden bauen könne, wie es Schulabgänger gebe, die zu nichts anderem befähigt seien, als eben hinter der Theke einer Frittenbude zu stehen. Es war eine zynische Aussage, die damals nicht den Weg in die Zeitung fand. Es bleibt darüber hinaus – und deshalb findet die Aussage nun doch den Weg in diese Zeitung – die traurige Beschreibung einer sich weiter verschärfenden Lage:

Die Abschlüsse, die an Luxemburgs Schulen erzielt werden, entsprechen immer weniger den Wünschen eines sich kontinuierlich spezialisierenden Stellenmarktes. Wenn das mal kein dringendes Problem ist.

Was für Schlüsse das Unterrichtsministerium aus den jüngsten Zahlen zieht, darauf darf man gespannt sein. Dass nur ein Ministerium sich angesprochen fühlt, das kann nicht sein. Betroffen ist jeder, der hier lebt. Unerheblich, ob er nun selber schulpflichtige Kinder hat oder nicht.

Die Schule, die reformiert sich gerade selbst. Doch eine Reform des Schulwesens braucht Zeit, viel Zeit, mehr Zeit sogar als vieles andere. Vor allem, da es sich bei der Reformanstrengung um die erste substanzielle seit dem 1912er Schulgesetz handelt.

Doch nicht nur die Schule, sondern die Gesellschaft in ihrem Ganzen ist betroffen. Denn es geht noch um mehr, nämlich um: Sprache. Im Luxemburger Kontext gilt sogar der Plural: Sprachen. Und damit einhergehend um Identität, um Zusammengehörigkeit, um das Dazugehören oder eben nicht; um Faktoren, die für die Lebensqualität, die Zufriedenheit einer Gemeinschaft unabdingbar sind.

Das Problem der Sprachkenntnisse ist in Luxemburg ein zwar altbekanntes, gleichwohl aber immer drängender werdendes. Die einen, die Luxemburger, tun sich eher schwer mit dem Französischen. Die frankofonen Zugezogenen, durch ihre Anzahl in besonderem Maße die Portugiesen, scheitern reihenweise an den geforderten Deutschkenntnissen. Die restlichen, die schlagen sich irgendwie durch oder besuchen, so sie es sich leisten können, einfach gleich eine oft englischsprachige Privatschule.

Bislang läuft besonders eine Bevölkerungsgruppe Gefahr, so als sprachpolitischer Kollateralschaden zu enden. Ändert sich nichts, könnte eine weitere hinzukommen. Und diese Tendenz besteht schon. Denn wer es sich leisten kann, zieht in die Peripherie der Ballungszentren, wo Grundstücke teuer und Grundschulen luxemburgischer sind.
Der nächste logische Schritt der Abkapselung von diesem demografischen Istzustand ist die Privatschule. Eine schleichende Privatisierung des Schulwesens zum einen. Eine weitere Spaltung der Gesellschaft zum anderen.
Wie gesagt, nicht nur in einem Ministerium sollte man schwer besorgt sein, dass aus einem Armutszeugnis kein Zeugnis von Armut wird.

(Armand Back/Tageblatt.lu)