Kaum Schonfrist

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Die Zeit drängt, dessen ist sich jeder bewusst. Die neue Kommission Juncker wird schnell handeln müssen, dennoch überlegt.

300 Milliarden Euro suchen ihren Platz in einem Investitionsprogramm, das die europäische Wirtschaft endlich wieder in Wachstumsgefilde hieven soll, die höher sind als die 0,1% des letzten Jahres, um so der horrenden Zahl von 25 Millionen Arbeitslosen innerhalb der Europäischen Union wenigstens einen Funken Hoffnung zu bringen.

Serge Kennerknecht skennerknecht@tageblatt.lu

300 Milliarden Euro, das klingt nach viel, wird aber schnell relativiert angesichts der Schätzung der derzeitigen Kommission, dass z.B. alleine beim Knüpfen einer EU-Energie-Union rund 200 Milliarden in Infrastruktur wie Leitungen und Pipelines investiert werden müssten, sollte eine solche Union funktionsfähig sein. Es wird also genau zu analysieren sein, wie die Gelder angelegt werden können. Hilfestellung könnte von der Europäischen Investitionsbank kommen, die gemäß einer Mitteilung der Finanzminister vom Samstag verstärkt bei der Suche nach Förderprojekten eingebunden werden soll. Wobei es zum Ersten darum gehen wird, die 300 Milliarden überhaupt erst einmal zusammenzubringen.

Juncker und seine Mannschaft stehen unter Zeitdruck. Keine einfache Angelegenheit angesichts des Arbeitsmodells, das der neue Kommissionspräsident der Kommission vorgegeben hat. Will man vorankommen, muss die Arbeit reibungslos verlaufen.

Hilfestellung vom EU-Parlament?

Die Idee, sieben Vizepräsidenten zu ernennen und diese mit der Koordination der Arbeit der Kommissare zu betrauen, ist riskant angesichts der Tatsache, dass keines
der drei großen Länder, also weder Deutschland noch Frankreich oder Großbritannien, unter den Vizepräsidenten vertreten ist. Denn selbst wenn das Ganze intern funktioniert und die Kommissare selber sich an das Modell halten, bleibt die Gefahr, dass wichtige Entscheidungen, die z.B. die „vitalen“ Interessen der drei genannten Länder berühren, von diesen (aber auch anderen) verstärkt an sich gezogen und somit im Europäischen Rat (Staats- und Regierungschefs) tranchiert werden sollen. Was zu einer Einschränkung des Handlungsspielraums der Juncker-Kommission führen könnte.

Hilfestellung für Juncker könnte in einem solchen Szenario vom Europäischen Parlament kommen. Gegenüber diesem ist Junckers Position stärker als je bei einem anderen Präsidenten. Er wurde von den Abgeordneten vorgeschlagen, als vorheriger Spitzenkandidat, selbst wenn er selber nicht zur Wahl stand. Dass die Kommission die Anhörungen der Kommissare im Parlament Ende September nicht überstehen sollte, ist unwahrscheinlich. Mit der Arbeit des Europäischen Rates jedoch ist das Parlament mehr als unzufrieden. Zu viel würde hier durch die nationalen Brillen betrachtet, so die Kritik der Luxemburger EU-Abgeordneten am letzten Donnerstag. Zudem sei das Gremium zu träge.

Auch auf außenpolitischer Ebene ist Eile geboten. Es wird Zeit, dass eine neue Kommissionsspitze den Blick auf Russland zurechtstutzt. Die Außenbeauftragte Federica Mogherini und Juncker haben andere Ansichten zu dem Land als die alte Kommission. Das wird ebenfalls dem neuen Ratspräsidenten Tusk nutzen, selbst wenn es nicht schwer ist, vernünftiger gegenüber Russland zu argumentieren als der Tusk-Vorgänger Van Rompuy. Den konnte man letzte Woche noch bei dem hahnebüchenen Politmanöver ertappen, die Verzögerung bei den Russland-Sanktionen wegen eines internen EU-Streits als durchdachte Abwartehaltung zu verkaufen, die Russland großzügig Zeit geben sollte, im Konflikt abzuschwächen. Eine Lachnummer.

Juncker, Mogherini, Tusk und auch ab dem 1. Oktober Jens Stoltenberg als neuer NATO-Generalsekretär bergen die Chance auf andere Beziehungen zu Russland.

Sollte Juncker denn überhaupt dazu Zeit haben. Vielleicht wird er, der keine weitere Erweiterung der EU will, dann vollauf mit eben diesem Thema beschäftigt sein.

Dann nämlich, wenn Schottland diese Woche für eine Loslösung von London stimmt. Wird Schottland als neues Land aufgenommen? Also doch eine Erweiterung? Basken, Flamen, Norditaliener usw. lassen grüßen. Die Barroso-Kommission hat zu diesem Thema kein Konzept erarbeitet und auch „so viel wie fast wenig“ gesagt, wie der Luxemburger EU-Abgeordnete Charles Goerens Heinz Erhardt bemühte. Für Juncker gibt es nicht nur in diesem Fall kaum Schonfrist.