In einer anderen Welt

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(Tageblatt)

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Man glaubte, der britische Premierminister hätte sich am vergangenen Donnerstag mit seinem gewohnt kurzen Statement, das er bei der Ankunft zu den Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs gibt, in der Veranstaltung geirrt. Oder im Datum.

Auf jeden Fall hatte man den Eindruck, der Mann lebe in einer anderen Welt. Selbst beim Verlassen des Ratsgebäudes, kurz vor Beginn der Dämmerung, sprach David Cameron weiterhin von seinem Referendum und den Neuverhandlungen, die er mit der EU über die Mitgliedschaft Großbritanniens führen wolle. Dabei hatten die 28 beileibe über dringendere Themen zu diskutieren. Nicht nur können sich die EU-Europäer nicht zusammenraufen und wenigstens in würdiger Weise tausenden Menschen in Not Hilfe anbieten. Sie hatten auch die griechische Schuldenkrise zu bereden, die, sollte sie nicht beigelegt werden, ungeahnte Folgen haben kann. Doch Cameron beschäftigte sich mit einem Problem, das so überflüssig ist wie ein Kropf. Die von ihm angeleierte Volksentscheidung ist ein rein innenpolitisch motivierter Winkelzug, dem jegliche Basis fehlt. Was etwa daran deutlich wird, dass der britische Regierungschef bislang nur vage Aussagen darüber machen konnte, wo den Briten denn eigentlich in Bezug auf die EU der Schuh drückt. Und noch weniger konnte er deutlich machen, dass die Briten mit der Union in solchem Maße über Kreuz liegen, dass ein Austritt wirklich gerechtfertigt wäre. Wenn man einmal bedenkt, dass Großbritannien bislang das einzige Mitgliedsland ist, das mehrmals versuchte, der europäischen Gemeinschaft beizutreten, und dies später auch noch einmal mit einem Referendum bestätigt hat.

Guy Kemp gkemp@tageblatt.lu

David Cameron konnte sehr wohl in einem kurzen Auftritt vor den versammelten Kollegen aus den EU-Staaten sein Anliegen vorbringen, wobei er selbst nicht auf Details einging. Doch mehr hatte es damit nicht auf sich. In den letzten Zeilen der Schlusserklärung des EU-Gipfels heißt es lapidar, dass sich die Runde im Dezember wieder dem Thema annehmen werde. Was aber will Cameron? Weniger und bessere Gesetze. Das wird er haben können und war auch schon geplant. Wie dies umgesetzt werden soll, dazu wird der luxemburgische EU-Ratsvorsitz in den kommenden sechs Monaten auf der Grundlage eines Vorschlags der Kommission eine Einigung mit dem Rat und dem Europäischen Parlament aushandeln. Den von Cameron geforderten digitalen Binnenmarkt wollen alle, das ist längst keine britische Eigenart. Dass die nationalen Parlamente ein Vetorecht gegen europäische Gesetze erhalten sollten – womit die EU gesetzgeberisch quasi gelähmt wäre –, wird der britische Premier ebenso wenig durchsetzen können wie die Einschränkung der Personenfreizügigkeit. Die Briten haben bereits eine Reihe von sogenannten Opt-outs, also Politikbereichen, an denen sie sich nicht beteiligen müssen. David Cameron hätte diese längst ins Feld führen können, um seinen Briten den Sonderstatus, den die Insel in der Union hat, vor Augen zu führen. Die von ihm gewünschte Vertragsänderung wird er ohnehin kaum erhalten. Schon gar nicht vor dem anvisierten Referendumsdatum 2017. Unter Umständen muss er dieses sogar absagen wegen fehlender Grundlage, über die abgestimmt werden könnte.