Gelenkte Demokratie

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Regelmäßig trifft sich eine Herren- und Damenrunde in einem der Konferenzsäle des Parlaments, um über die Befindlichkeiten des Volkes zu diskutieren.

Anlass sind die neuen Anträge der Bürger für eine neue Bittschrift. Die soll auf die Webseite des Parlaments kommen, damit Gleichgesinnte sie online unterschreiben können.

Lucien Montebrusco lmontebrusco@tageblatt.lu

Die meisten Anträge winkt der Petitionsausschuss durch. Exotisches lässt man beiseite, so geschehen am vergangenen Dienstag beim Petitionsantrag zur Einführung der Vielweiberei für moslemische Großverdiener. Obwohl der Autor wohl auf seine ironische Art zur Entwicklung des Finanzplatzes beitragen wollte. Die High-net-worth individuals aus dem Nahen und Mittleren Osten sollen sich in Luxemburg wohlfühlen, schließlich will das Land zu einem Exzellenzzentrum für islamische Finanz werden.

Der Schritt zur Online-Demokratie im Parlament im April war längst überfällig. Nachdem Abgeordnete und Minister seit Langem schon ungeniert vor laufender Kamera am Smartphone rumfummelten zwecks Verschicken von E-Mails oder um Followers und Freunde auf Twitter bzw. Facebook zu beglücken, war die Entscheidung des Parlaments, den Gang in die Demokratie zu wagen, nur eine Frage der Zeit. Denn in der Zwischenzeit sind die sozialen Netzwerke längst zum neuen bevorzugten Kanal politischer Kommunikation geworden. Erst vergangene Woche gab ein sozialistischer Minister seine Ansichten zur geplanten Abschaffung der Erziehungs- und Mutterschaftszulage über Twitter bekannt. Und eine Gewerkschaft informierte Militanten und Presse via Face-book-Seite über ihre weiteren Schritte im Cargolux-Dossier.

Soziales Netzwerk

Mit ihrer Chamber-Petitionsseite bauten die Volksvertreter das Surrogat eines sozialen Netzwerks auf. Wie auf FB und Twitter können Texte nicht nur gepostet, sondern auch kommentiert werden. Doch anders als im Original bewacht beim Parlaments-Facebook eine Zwischeninstanz, der Petitionsausschuss, den Zugang. Der befindet darüber, ob ein Beitrag gepostet werden darf oder nicht.

Gemeinsam mit dem richtigen sozialen Netzwerk hat der Petitionskanal des Parlaments wiederum, dass weder die empörten Kommentare auf FB noch die virtuellen Unterschriften in der Regel etwas bewirken. Auch wenn 4.500 Personen online unterschreiben und Deputierte und Fachminister die Petitionäre treffen müssen, mehr als Geplauder ist nicht. Das war u.a. der Fall gleich bei der ersten Petition überhaupt, die locker die 4.500-Marke genommen hatte, jene über die Studienbörsen.

Also alles doch nur halbe Demokratie. Zumal Fragen willkürlich von der Debatte ausgeschlossen werden, sei es, weil sie einfach nicht passen oder nicht ernst genommen werden, zugespitzt am Beispiel der Polygamie-Petition illustriert, sicherlich eine nicht alltägliche Frage im katholischen und monogamen Luxemburg. Doch mit seiner rezenten Entscheidung gab der Petitionsausschuss auch unmissverständlich zu verstehen, dass man dem Bürger derlei Fragestellung nicht zutrauen kann. Womit der Bürger quasi entmündigt wurde.

Ähnliches ließe sich zu dem geplanten Vierfach-Referendum im kommenden Jahr sagen. Zwar werden sich die Bürger äußern dürfen, bloß verbindlich wird ihr Urteil nicht sein. Wie bei den Petitionen hat die Volksbefragung lediglich beratenden Charakter. Demokratie geht anders. Die Schweiz lässt grüßen.