Befeindet, verachtet

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„Ist denn da was dran?“, fragt der französische Kollege beim europäischen Branchentreffen in Paris. Er grinst, aber seine Augen lachen nicht. Und es scharen sich die anderen um den Luxemburger; auch sie haben den kalten Blick. Er kommt sich vor wie der gerade ertappte Dieb. Richtig ungemütlich ist das. Gestern geliebt und geschätzt, heute befeindet und verachtet.

Luxleaks!

Auf der großen Bühne passiert, was auf der kleinen grassiert: Man beneidet den Nachbarn, man will, dass auch er kürzertrete, weil man es ja selber musste.

Europa, EU-Europa, scheint im globalen Wettbewerb um Geld- und Investitionsströme, welcher im neoliberalen Denken und Handeln wurzelt und allein den höchsten Eigentümerprofit anpeilt, nicht „kompetitiv“. Insbesondere die Lohnkosten müssen runter. Das bedingt die schrittweise Zerschlagung des Sozialstaats mittels Reformen zulasten des Salariats sowie budgetärer Rosskuren.

Dass die politische Macht sich der finanziellen unterordnet, wird an den EU-Prozeduren bei der Erstellung der Jahreshaushalte ersichtlich. Die Mitgliedstaaten haben sich, bei Strafe, den Regeln zu unterwerfen, die aus einem Lehrbuch der Rating-Agenturen stammen könnten.

Der solchermaßen entstandene Druck mündet in Austeritätsprogramme, die man im gängigen Newspeak als „Zukunftspaket“ verkauft. Nie wurde so viel über die Verantwortung gegenüber den kommenden Generationen geredet wie jetzt, nie wurde so wenig für sie getan: Siehe die fürchterliche Jugendarbeitslosigkeit, die weit und breit in Europa zur Norm wurde!

Schleichend verbreitet sich der Sozialneid in allen Schichten der Gesellschaft. Anstatt Anpassungen nach oben zu fordern und den Begriff Reform an positive Novellen zu koppeln, werden die vermeintlichen Privilegien dieser oder jener Berufsgruppe kritisiert, als wären sie schieres Unrecht, wie heute bei uns die Arbeitszeiten und die Löhne der Lehrer. Morgen sind die Bankangestellten dran, übermorgen die Staats- und Gemeindebeamten generell, dann die Ärzte, die Pfleger, die Handwerker, alles mögliche Personal, die Rentner und schließlich die Mindestlohnempfänger.

Und die Deutschen fordern, dass die Griechen „sparen“, usw. usf., und jeder haut auf den andern, dass die politischen Fetzen nur so fliegen, während an den Börsen irre Spekulationsgewinne eingefahren werden, zur Freude der Milliardäre und Millionäre, deren es laut Statistik immer mehr gibt.

Wegen der Luxleaks, welche die beanspruchten und (legal? clever? schamlos?) genutzten Steuersouveränitäten wie ein Verbrechen aussehen lassen, gelten wir Luxemburger nun in Europa als schlitzohrige Profiteure – bestenfalls.

Das ist unangenehm, sollte aber nicht von der Tatsache ablenken, dass der freie Staat Luxemburg seine Souveränitätsrechte behaupten muss, auch in Steuerdingen, passe es den Nachbarn und Partnern oder nicht.

Wie er, wie seine Regierung mit diesem Recht umgeht, ist eine innenpolitische Frage höchster Brisanz. Sie ist so brisant, wie sie auch anderswo sein könnte, sollte, müsste, in allen 28 EU-Staaten und auf der ganzen Welt.

„Ja, es stimmt, dass große und kleinere Konzerne in Luxemburg Steuervorteile finden. Wisst ihr, was sie mit dem gewonnenen Geld machen, liebe Kollegen?“, fragt der Luxemburger zurück.

Ja, was eigentlich?

Alvin Sold