„Sie haben die Spielregeln geändert“

„Sie haben die Spielregeln geändert“
(Upload)

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Am dritten Verhandlungstag im LuxLeaks-Prozess gab es Einblicke in die direkten Folgen der Veröffentlichung der bei der Steuerberatungsfirma PricewaterhouseCoopers (PwC).

Am dritten Verhandlungstag im LuxLeaks-Prozess gab es Einblicke in die direkten Folgen der Veröffentlichung der bei der Steuerberatungsfirma PricewaterhouseCoopers (PwC) entwendeten Dokumente über die sogenannten „Tax Rulings“, Steuervorbescheide, die internationalen Unternehmen im Voraus extrem niedrige Steuersätze auf ihren Gewinnen garantieren.

Nach Veröffentlichung der von den beiden Angeklagten Antoine Deltour und Raphaël Halet an den Journalisten und ebenfalls Angeklagten Edouard Perrin weitergeleiteten Dokumente wurde neben der Europäischen Kommission auch das Europäische Parlament aktiv. Ein Sonderausschuss wurde mit der Untersuchung der LuxLeaks-Affäre befasst. Initiator und Mitglied dieses Ausschusses war Sven Giegold, ein grüner deutscher Abgeordneter des Europäischen Parlaments, der gestern vor Gerich als Zeuge aussagte.

Direkte Folge

Die Bildung des Ausschusses sei eine direkte Folge der Aufdeckungen von Antoine Deltour gewesen. Steuervorbescheide habe es wohl in fast allen Mitgliedstaaten gegeben. In einigen Ländern, darunter Luxemburg, Frankreich, Belgien und die Niederlande, seien sie doch spezieller Natur gewesen, mit einem größeren Ermessensspielraum.

An und für sich sind solche „Rulings“ nicht illegal. Außer wenn sie den Staaten illegale Vorteile bieten und z.B. gegen das Prinzip der loyalen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten verstoßen. Oder wenn sie als illegale Beihilfen gelten können.

Dies könne man jetzt erst beurteilen, nach Bekanntwerden konkreter Fälle. Rulings nämlich hätten laut einer Direktive aus dem Jahre 1977 automatisch den anderen Mitgliedstaaten mitgeteilt werden müssen. Weil das jedoch bislang keines der Länder gemacht habe, hätten sie alle gegen geltendes Recht verstoßen. Erst nach der Veröffentlichung der Dokumente habe sich die EU-Kommission auf diese berufen, um das Einhalten dieser Direktive anzumahnen. Unter Luxemburger EU-Präsidentschaft sei im letzten Jahr dann vereinbart worden, dass solche Rulings künftig auch wirklich ausgetauscht werden. Weiter sei die EU-Kommission in einigen der analysierten Fällen zum Schluss gekommen, dass es sich um illegale Beihilfen gehandelt habe und dass diese Firmen Gelder zurückzahlen müssten. Luxemburg, wie andere Länder auch, sei sehr unkooperativ gegenüber dem Sonderausschuss gewesen. So habe man weder mitgeteilt bekommen, wie viele solcher Rulings es in Luxemburg gibt, noch erfahren, wie groß ihr wirtschaftlicher Impakt ist.

Grundlage für Gesetzesverstöße

All dies sei auf die Hinweisgeber zurückzuführen. Die europäischen Abgeordneten seien Deltour dankbar gewesen. „Er und die anderen sind die ‚game changer‘, die die Spielregeln geändert haben“, so Giegold.

In seinem Abschlussbericht sei der Sonderausschuss zur Schlussfolgerung gelangt, dass die Hinweisgeber im allgemeinen Interesse gehandelt hätten. Weiter würde im Bericht bedauert, dass die „Whistleblower“ nicht genügend rechtlichem Schutz unterliegen, und würden die Länder aufgefordert, entsprechende Gesetze zu erlassen. Auf die Frage von Deltours Anwalt Philippe Penning, wie er denn die Vertraulichkeit einstufe, der die Dokumente unterlagen, meinte Giegold, dass eben diese Vertraulichkeit die Grundlage für die genannten Gesetzesverstöße gewesen sei.

Gewissenhaft

Als Zeuge der Verteidigung wurde gestern auch der aktuelle, direkte Vorgesetzte von Deltour gehört, der bei einem regionalen Ableger der französischen Statistikagentur Insee arbeitet. Deltour sei sehr gewissenhaft, kein enorm guter Statistiker oder Informatiker, aber mit großen intellektuellen Fähigkeiten und für zahlreiche spezielle Aufgaben der richtige Mann. Bislang sei er jedes Jahr für besondere Leistungen ausgezeichnet worden, was selten vorkomme.

Eine weitere Zeugin der Verteidigung von Deltour, die u.a. mit Tax Justice International zusammenarbeitet, hielt fest, dass die Veröffentlichung der Dokumente sehr wichtig gewesen sei. Deltour habe ganz sicher im öffentlichen Interesse gehandelt. Bislang habe man wohl Kenntnis von den Rulings gehabt, aber hinter den Gesetzestexten habe man die Wahrheit über deren Handhabung nicht erkennen können. Das sei jetzt anders. Durch die Verschiebung von Geldern innerhalb der Unternehmen bis der Gewinn in Luxemburg landete, seien dem öffentlichen Sektor in anderen Ländern wichtige, finanzielle Ressourcen vorenthalten worden.

Heintz vorgeladen

Nach der Anhörung der Zeugen teilte Me Penning mit, dass er für heute den Direktor der Luxemburger Steuerbehörde, Guy Heintz, als Zeugen vorgeladen habe. Von ihm erhoffe man sich Aufschluss darüber, wie denn die Rulings zustande gekommen sind. „Die Rulings sind so kompliziert, dass ich nach dem Lesen der ersten Seite aufgebe“, meinte Penning. Er will wissen, ob wirklich alles habe genau überprüft werden können, angesichts der Tatsache, dass die Rulings morgens eingereicht worden und Abends abgestempelt wieder rausgegangen seien. Heintz wird von Penning vorgeladen, da der eigentliche Verantwortliche für die Rulings, Marius Kohl, der als Zeuge aussagen sollte, für die nächsten 14 Tage krankgeschrieben ist.