Ein Hut, etwas „bon sens“ und viel Aufregung

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ESCH - Am Freitag (25.04.14) tagt der Escher Gemeinderat. Die Tagesordnung umfasst dabei nur einen Punkt: die Benennung einer Nelson-Mandela-Straße.

Da der erste Vorschlag des Schöffenrates in dieser Sache eine Umbenennung der Brill-Straße anregte, war die Aufregung groß in Esch. Eine Spurensuche.

Bislang war es ein Hick-Hack, das sich die Entscheidungsträger der Stadt so wohl nicht erwartet hätten. Eine Nelson-Mandela-Straße soll kommen. Das ist schon länger klar. Im letzten Gemeinderat stand der Punkt auf der Tagesordnung. Wodurch auch ersichtlich wurde, welche Straße nach Meinung des Schöffenrates einen neuen Namen bekommen sollte: die Brill-Straße. Und schon war die Aufregung perfekt.

Die öffentliche Meinung in Esch pendelte von stillem Erstaunen bis zum laut geäußerten Verdacht, der Escher Schöffenrat habe sie nicht mehr alle. Die Idee, eine Nelson-Mandela-Straße in Esch zu haben, dagegen hatte ja niemand was (bis auf einige wenige Unverbesserliche vielleicht). Schließlich hat die Stadt bei ihren Straßenbenennungen ja Erfahrung mit Freiheitskämpfern; So gibt es einen Allende-Platz und eine Bolivar-Straße. Wieso es aber die Brill-Straße sein sollte, das stieß mindestens auf Unverständnis, meist sogar auf Ablehnung.

Brill-Straße als Escher Aushängeschild…

Die Brill-Straße, neben der Alzette-Straße die einzige Escher Straße mit überregionalem Bekanntheitsgrad. Die Brill-Straße, Zentrum von zig Einwanderergenerationen, Lebensader der Stadt. Ein Restaurant neben dem anderen. Eine Unikum in Luxemburg; zumindest zu ihren besseren Tagen. Wie gesagt, das Murren war in Esch deutlich zu vernehmen. Und da der Schöffenrat nicht taub ist, wurde der Punkt flugs wieder von der Tagesordnung genommen.

Am Freitag (25.04.14) ist die nächste Sitzung. Auf der Tagesordnung steht ein Punkt: die Benennung einer Nelson-Mandela-Straße. Wer die Dringlichkeit nicht versteht, muss wissen, dass am Dienstag, 29. April, also vier Tage nach der Sitzung, die Mandela-Ausstellung im Nationalen Resistenzmuseum eröffnet wird. Darauf soll, verständlicherweise, kein Schatten aus Streitereien um eine Straßennamensänderung fallen. Und so weit wollen wir uns hier aus dem Fenster lehnen, dass wir folgende Prognose wagen: Die bisherigen Pläne, die alte Brill-Straße umzubenennen, werden ad acta gelegt. Nicht die Brill-Straße wird umbenannt. Dann eher die Buren-Straße, die rue des Boeurs, die parallel zur Brill-Straße verläuft.

Als Alternative ist die Buren-Straße schon länger in den Köpfen drin. Und sorgt für zusätzliche Verwirrung. Die Buren waren nämlich Nachkommen der (zumeist) niederländischen Siedler in der Kapkolonie im Süden Afrikas, die sich gegen die britische Vorherrschaft auflehnten. Sie gründeten Republiken, lieferten sich Kriege gegen die Briten. Diese gingen, ob der britischen Übermacht, verloren. Das ist nur ein sehr kurzer geschichtlicher Exkurs. Aber man sieht, dass die Situation etwas verworren ist. Der südafrikanische Freiheitskämpfer Mandela, Freiheitskämpfer, die gleichwohl übelste Rassisten waren. Und jetzt eine Straße in Esch.

Wieso die Buren-Straße Buren-Straße heißt

Sogar der Rat des Direktors des Johannesburger Apartheid-Museums wurde eingeholt, was er denn davon halte, die Buren-Straße in Mandela-Straße umzubenennen. Nicht viel, sagte er und meinte gleichzeitig, dass so etwas wohl auch nicht im Sinne Mandelas gewesen wäre.

Da ist man dann auch nicht viel schlauer als zuvor. Besonders, wenn in Erinnerung gerufen wird, wie der Name Buren-Straße zustande kam. Joseph Flies schreibt in seinem Buch „Das andere Esch“, dass nicht die Buren an sich der Anlass zur Straßenbenennung waren. Vielmehr war es ein am Rathausplatz ansässiger Feinbäcker namens Scheidweiler, auch Schütze und Jäger, der, einen breiten Hut nach Art der Buren und einen Bart tragend, zudem oft mit einer Flinte unterwegs, sich wohl oft gerne in der Rolle des Burenhelden Ohm Krüger sah. Dazu besaß er im Brill einige Bauplätze … Gleichwohl, durch die Namensgebung wird unweigerlich auch an den Freiheitskampf der Buren gegen England erinnert. Doch sei der Zweifel erlaubt, ob es ohne den Feinbäcker Scheidweiler jemals eine Buren-Straße in Esch gegeben hätte.

Ursachenforschung hin oder her, ihren Namen bekam die Buren-Straße in der Gemeinderatssitzung des 9. Mai 1923. Wo zu gleicher Gelegenheit eine weitere Straße ihren Namen bekam: die rue du Brill. Die hieß davor Alfred-Lefèvre-Straße, zwar nicht offiziell, aber so landläufig, dass auch der Name Brill-Straße Jahre brauchte, um sich vollends durchzusetzen. Dass die Straße „Lefèvre-Strooss“ hieß, geht darauf zurück, dass dies der Name ihres Erbauers war, des Bauunternehmers Alfred Lefèvre.

Mehr Fantasie

Auch damals gab es Diskussionen im Gemeinderat und auch damals berichtete das Tageblatt davon: „Gegen die Umtaufe verschiedener Straßennamen kann man nichts einwenden. Im Gegenteil: in vielen Fällen, wo Bequemlichkeit und Phantasielosigkeit bei der Straßenbenennung Pate gestanden, war die Wiederbenennung schon längst schreiende Notwendigkeit geworden. Wir hoffen, dass mit dem nötigen ‚bon sens‘, mit etwas Geschmack und Phantasie an die Neubenennung der Straßen herangetreten wird. Sonst könnte wieder was Schönes verbrochen werden. – In der letzten Sitzung war ein grimmiger Streit aufgeflackert wegen der geplanten Umbenennung der ‚Hoetterstraße‘ in rue Achille Fournier (Anm.d.Red.: heute die Bessemner-Straße).“ So weit der Bericht im Tageblatt des 12. Mai 1923. Hoffnung auf „bon sens“ also. Aber auch ein Aufruf zu mehr Fantasie.

Von heute aus gesehen: Mit „Brill“ einer Straße einen Flurnamen („Brill“ ist eine nasse, sumpfige Landschaft und sowohl im In- wie im Ausland weit verbreitet) zu geben, scheint wenig fantasiereich. Ob es aber „de bon sens“ ist, eine Marke, wie es die Escher Brill-Straße nun mal (geworden) ist, umzubenennen, steht auf einem anderen Blatt.

Also, das Problem bleibt, dass eine Mandela-Straßen-Umbenennung angekündigt ist, beide bislang präsentierten Kandidaten aber vielleicht nicht die besten sind. Außer man käme auf die Idee – ein Vorschlag, den man hie und da vernimmt –, den unteren Teil der Brill-Straße in rue Nelson Mandela umzubenennen, also den Teil ab dem Brillplatz (offiziell: place de la Résistance) hin zur Kanal-Straße, den alten „Schwaarze Wee“ eben. Oje.