Der Mann des Stahls

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Michel Wurth wird am Donnerstag 60 Jahre alt. Er hat entschieden: Er steigt aus. Das operative Geschäft ist Ende April für ihn beendet. Er übernimmt den Vorsitz im Verwaltungsrat von ArcelorMittal Luxemburg.

Michel Wurth ist ein Mann des Stahls. 1979 trat er in die Arbed ein und verlässt Ende April das aktive Geschäft bei ArcelorMittal. Der Mann, der sein ganzes Leben dem Stahl gewidmet hat, kommt aus einer Familie des Stahls. Er ist direkter Nachfahre von Paul Wurth (1863 – 1945). Paul Wurth hat Brücken gebaut, hat Kräne für Stahlwerke gebaut, die bis zu 100 Meter breit waren. Sein Ur-Großvater hat mit dem britischen Ingenieur und Unternehmer Grey verhandelt und das Verfahren für Grey Träger nach Luxemburg geholt, ohne das es heute den Standort Differdingen nicht mehr gäbe. Und: Sein Ur-Großvater hat das Unternehmen Paul Wurth bis 1926 geführt, ehe es dann von der ARBED übernommen wurde und jetzt in die Gruppe SMS übergegangen ist.

1979 war keine gute Zeit für jemanden, der von der Universität kam, Volkswirtschaft studiert hatte und Finanzspezialist war. Die Stahlindustrie befand sich seit Jahren in der Krise. Michel Wurth wollte ursprünglich auch ganz woanders arbeiten und träumte von einer internationalen Karriere. Ein Projekt, das sich zerschlug. Paul Metz öffnete ihm die Tür zu einem Gespräch mit dem damaligen Arbed Finanzdirektor Kunitzki, der ihn nach einem 15-minütigen Gespräch einstellte.

Abenteuer Arbed

Weil aber bei Arbed eine Einstellungssperre bestand, arbeitete Michel Wurth erst einmal beim Groupement des Industries Sidérurgiques luxembourgeoises. Das änderte sich schnell, als die Stahlkrise sich als strukturelle Krise bemerkbar machte. Kunitzki holte sich den 25-jährigen Michel Wurth in seinen Stab, der fortan den Sherpa spielte und im Hintergrund die Zahlenwerke erstellte, die Kunitzki für seine Gespräche benötigte. Heute, wo er 60 wird, klingt das nach Abenteuer gleich zu Beginn des Eintritts in das Arbeitsleben, das nachher nachträglich von Joseph Kinsch sehr beeinflusst wurde.

Michel Wurth hat in der Zeit seines Managements drei verschiedene Arbeitgeber gehabt, die doch immer dieselben waren. Arbed fusionierte mit Aceralia, nahm dann Usinor dazu und wurde zu Arcelor.

Und dann kam 2006: “Ich war gerade zum stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden von Arcelor ernannt worden, sollte mich vom Finanzgeschäft trennen und mich mehr mit dem reinen Stahlgeschäft vertraut machen, als das Übernahme Angebot von Mittal kam.“ „Was wollen Sie in einem solchen Augenblick machen“, fragt Michel Wurth. „Wenn der andere ein Familienunternehmen ist, und der größte eigene Aktionär gerade einmal sieben Prozent hält? Natürlich hatten wir geahnt, dass wir ein Übernahmekandidat sind. Natürlich hatten wir uns Gedanken über Abwehrmaßnahmen gemacht. Aber letztlich bleibt dann nur die Möglichkeit, die Interessen der eigenen Aktionäre zu verteidigen, den Preis so hoch wie möglich zu treiben.“

Hochachtung vor Mittal

Das war seine Aufgabe in den Fusionsgesprächen mit Aditya Mittal, dem er seinen Respekt über dessen Intelligenz, strategische Weitsicht und Entscheidungsreife ausspricht. Hochachtung hat Michel Wurth vor Lakshmi Mittal. „Das ist ein Mann mit klaren Vorstellungen und mit einer Vision von seinem Unternehmen. Man muss nur schauen, aus welcher Situation er sein Unternehmen aufgebaut hat. Das ist schon eine großartige Leistung.“

Jede Krise, jede Fusion hat für Michel Wurth eine neue Erfahrung gebracht und die Stahlwelt verändert. Als er als 25-Jähriger bei der Arbed begann, gab es eine Symbiose zwischen der Arbed und dem luxemburgischen Staat. Die Arbed übernahm seit Anfang des 20. Jahrhunderts viele soziale Aufgaben. Sie baute Hospitäler, sie baute Schulen. Sie trug den gesellschaftspolitischen Geist weiter, den ihr großer, einstiger Chef Emile Mayrisch ihr eingehaucht hatte. Die Regierung hatte stets auch die Arbed und dann ArcelorMittal unterstützt. „Bei der Übernahme durch Mittal verhielt sie sich völlig neutral. Nur bei der Frage des Firmensitzes war sie unnachgiebig.“

Die Fusion zu ArcelorMittal hat bei dem Manager Michel Wurth bis heute ein Bedauern hinterlassen. Bei der deutschen Wiedervereinigung hatte die Arbed die Stahlwerke Thüringen gekauft. Eine Entscheidung, die Joseph Kinsch und Michel Wurth – die sich beide als Teamplayer bezeichnen – zuerst gegenüber den Mitgliedern der Firmendirektion überzeugen mussten. Thüringen wurde innerhalb des Konzerns zu einem Juwel ausgebaut. Und dann kam der Entscheid der Kommission der Europäischen Union: Nach der Fusion musste Thüringen verkauft werden. „Wir hatten zwei Möglichkeiten“, sagt der scheidende Michel Wurth: „Wenn wir Thüringen nicht abgegeben hätten, dann hätte die Kommission gefordert, uns von Belval zu trennen. Das ging nicht.“ Ein leichtes Bedauern zu Thüringen bleibt. „Wir haben sehr viel Arbeit in Thüringen gesteckt.“

Deutliche Veränderungen

Michel Wurth, der sich im Laufe seines Arbeitslebens sehr engagiert hat, hat eine Reihe von Aufgaben im gesellschaftspolitischen und im sozialpolitischen Bereich übernommen. Er ist unter anderem Präsident der Handelskammer, Präsident der Arbeitgebervereinigung, Vizepräsident der Industriellenvereinigung. Hier sind deutliche Veränderungen erkennbar. „Der Drang in die Verwaltung ist groß. Uns fehlt in der Industrie der Nachwuchs zum Engagement in der Gesellschaft. Auch in den Gewerkschaften findet man mehr und mehr Funktionäre, die im Grunde nicht genügend wissen, wie das konkrete Leben in einem Betrieb aussieht. Das verändert den Umgang miteinander.“

Das einschneidendste Erlebnis für Michel Wurth war die Krise Ende der 80er Jahre und zu Beginn der 90er Jahre. „Wir wussten, dass der Stahlanteil in Luxemburg zu groß war. Wir wussten auch, dass die Flüssigphase in Belval keine Chance hatte. Belval hat keinen Hafen, Eisenerz und Kohle hätten dreimal umgeladen werden müssen. Eine moderne Flüssigphase war ohne Chance. Die Hochöfen in Dudelange, in Differdange, in Rodange waren schon außer Betrieb. Wir mussten also eine Strategie für eine moderne Stahlindustrie entwickeln. Wir haben eine neue Stahlindustrie aufgebaut: Elektrostahlwerke, neue Stranggussanlagen. Wir haben Produkte ausgetauscht. Eisenbahnschienen haben wir zum Beispiel gegen Spundwände getauscht. Wir haben uns voll auf die Langstahlprodukte konzentriert und dadurch Luxemburgs Stahlindustrie für die langfristige Zukunft gewappnet.“

Brache in Belval

Was danach blieb, war eine große Brache in Belval. „Wir haben 100 Hektar zur Verfügung gehabt. Unser Ziel war zu verhindern, dass diese Liegenschaft, die ein Teil von Esch und Sanem darstellt, schlussendlich nur eine neue Industriezone sein würde, die maximal bis zu 1000 Arbeitsplätze beherbergen würde, wo die Umwandlung der Stahlindustrie ein Vielfaches an Arbeitsplätzen vernichtet hatte. Wir wollten aus dem Klischee heraus, dass die Industrie solche Flächen hinterlässt und wollten ein neues Viertel für das 21. Jahrhundert schaffen. Denn nur in Belval konnte man Esch aus seiner Enge befreien. Die Regierung lehnte damals zuerst ab. Wir haben zusammen mit der Regierung eine Studiengesellschaft gegründet und ähnliche Flächen besucht, Studien erstellen lassen und ein Prekonzept erstellt. Schließlich entschied die Regierung, die Universität nach Esch zu bringen und das Projekt gemeinsam mit uns in der Agora in Angriff zu nehmen.“

Es ist wichtig für Michel Wurth, die besondere Beziehung des Unternehmens zu Esch über die Zeiten der Arbed, der Arcelor und heute ArcelorMittal zu erklären. „Wir sind mit keiner anderen Stadt so eng verbunden wie mit Esch. Wir haben „Schlassgart“ ausgebaut, wir haben dort die „ArcelorMittal University“ eingerichtet und wir haben dort die Schmelz grundlegend erneuert. Was Belval angeht, muss man sich vorstellen, dass dieses Gelände 100 Jahre industriell genutzt wurde, heute zu neuem Leben erwacht und eine neue Zukunft bringt.“

Michel Wurth feiert am Donnerstag seinen 60. Geburtstag. In den 35 Jahren, die er für Arbed, Arcelor und ArcelorMittal arbeitet, hat er Krisen überstanden, hat den ganz jungen Staatssekretär Jean-Claude Juncker im Arbeitsministerium kennen gelernt, mit ihm zusammengearbeitet mit dem Ziel, dass damit die Stahlkrise bewältigt werde, hat einen sehr engen Kontakt zur ehemaligen Escher Bürgermeisterin Lydia Mutsch aufgebaut und hofft nun auf einen guten Kontakt zu ihrer Nachfolgerin.

Ausstieg aus aktiven Dienst

„Vor etwa einem Jahr habe ich mit Lakshmi Mittal begonnen, darüber zu reden, dass ich mit meinem 60. Geburtstag aus dem aktiven Dienst ausscheiden will. Wir haben vereinbart, dass ich die Kontakte zu Regierung und zum Land für unser Unternehmen weiter halten werde. Ich werde also weiter Ansprechpartner für ArcelorMittal in Luxemburg sein.“

In seinem Büro in der Stadt, das er behält, wird Michel Wurth sich dann neben seinen Mandaten in Verwaltungsräten seinen gesellschaftspolitischen und sozialpolitischen Aufgaben widmen. In der kommenden Woche, so kündigt er an, wird er vor der Hauptversammlung der Handelskammer eine Grundsatzrede halten. Wie es scheint, ist Michel Wurth in seinem neuen Leben bereits angekommen.

Anfang Mai wird er in London noch an seiner letzten Sitzung des Konzernvorstandes teilnehmen. Danach ist er „nur“ noch Mandatsträger in den Verwaltungsräten von Arcelormittal. Einen offiziellen Abschied wird es nicht geben. „Dazu gibt es keinen Grund. Es ist ja nur eine Transition aus der Generaldirektion in den Verwaltungsrat und kein Abschied aus dem Arbeitsleben. . .“, sagt er.

(Helmut Wyrwich / Tageblatt.lu)