Cattenom, das AKW aller Mängel

Cattenom, das AKW aller Mängel
(Pierre Heckler)

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"Der technische Zustand der Anlage von Cattenom lässt zu wünschen übrig", so der zuständige Ingenieur, der die Untersuchungen des französischen AKW begleitet hat.

Dieter Majer, zuständiger Ingenieur für Rheinland-Pfalz, das Saarland und Luxemburg beim AKW-Stresstest in Cattenom sagte, dass der technische Zustand des Kraftwerkes zu wünschen übrig ließe. Den Parlamentariern, die am Montag in Saarbrücken seinen Vortrag hörten, blieb das Wort im Halse stecken.

Irgendwann fühlte man sich nicht mehr wohl in dem kleinen Sitzungssaal im saarländischen Landtag. Irgendwann stand jeder einmal auf und ging raus. Nicht, um zur Toilette zu gehen, sondern um Luft zu schöpfen. Was Dieter Majer den Mitgliedern des Katastrophensausschusses im interregionalen Parlamentarierrat erzählte, war eine Katastrophe an sich. Er wolle und könne das seiner Bevölkerung nicht mehr zumuten, sagte der Abgeordnete der Grünen, Henri Knox und erntete Zustimmung von seinen Kollegen Negri und Spautz. Was aber führte zur Empörung und zur Bedrückung gleichermaßen?

Mängelliste

Schluderei, mangelnde Wartung, Nicht-Erkennung von Risiken, Vertuschung durch falsche Untersuchungsansätze: So kann man zusammenfassen, was der Maschinenbau-Ingenieur und Kernphysik-Ingenieur erzählte. Der Ministerialrat im Ruhestand, der für Cattenom reaktiviert wurde, hatte einst in Hessen das Kernkraftwerk Biblis abschalten lassen, weil es den Sicherheitsanforderungen nicht mehr entsprach. Ohne sich derartig zu äußern, wurde klar, dass Majer mit Cattenom wohl nicht anders verfahren würde, so viele Änderungen seien dort nötig, um Sicherheit herzustellen.

Cattenom hat zwei Wasserstellen: Die Mosel und den See von Mirgenbach. An der Wasserübergabestelle des Sees zum Kernkraftwerk hat Majer festgestellt, dass es Rost an Leitungen gab, dass Schrauben korrodiert waren und nicht mit Steckbolzen gesichert waren. Dass die Gegenstände im Raum nicht gesichert waren und bei einem Erdbeben durch den Raum hätten fliegen können. Und schließlich: Dass das Dach nicht dicht und es hereinregnete, was den Rost erklärte. Diese Feststellungen sind Anfang August gemacht worden, als Inspektoren der Sicherheitsbehörde aus Straßburg das Atomkraftwerk inspizierten.

Kein Systemschaltplan

Majer darf bei solchen Inspektion als Besucher dabei sein. Fragen stellen darf er nicht. Aber das hindert ihn nicht, zu schauen und zu sehen. Seinen Wunsch, einen Systemschaltplan von Cattenom zu bekommen oder eine probabilistische Untersuchung – eine Untersuchung, aus der hervorgeht, unter welchen Umständen es eine Kernschmelze, also den Super-Gau wie in Fukushima geben könnte – wurde nie erfüllt. Majer: „Eine solche Untersuchung muss es für jedes Kernkraftwerk geben. Denn: Die Kernschmelze ist in einer Anlage, die gekühlt werden muss, nicht auszuschließen. Man muss sie annehmen. Deswegen gibt es die probabilistische Untersuchung.“

Der europäische Stresstest bezog sich nur auf Fragen, die sich nach der japanischen Katastrophe ergeben konnten. Nach dieser Katastrophe durfte man alles denken, was in Zusammenhang mit einem Kernkraft möglich sein könnte. Majer stellte fest, dass Frankreich im Bezug auf seine Kernkraftwerke so mutig nicht war, sondern Fragen ausschloss, die den französischen Sicherheitsexperten nicht probabel genug erschienen. Darunter sollen auch Anforderungen der Europäischen Union gewesen sein.

Flugzeugabsturz nicht geprüft

Majer stellte fest, dass die Frage eines Flugzeugabsturzes für Cattenom nicht geprüft wurde, nicht einmal der Unglücksfall wurde angenommen. Sollte es bei einem Unglück in Cattenom nötig sein, den Druck dadurch zu senken, dass wie in Fukushima aus der Ummantelung Luft und Gase und damit Radioaktivität ausweichen, dann ist der Notsteuerstand, der sich derzeit am Eingang des Kernkraftwerkes in einem von Erde teilweise bedeckten Betonbunker befindet, nach Ansicht des Experten nicht benutzbar. Majer plädiert daher für einen entfernten Notsteuerstand.

Nach den vorliegenden Untersuchungen ist die Ummantelung der Reaktoren nicht für stärkere Erdbeben ausgerüstet. Auch ist nicht ermittelt worden, bei welcher Erdbebenstärke die Sicherheitssysteme ausfallen. Nach Tageblatt-Information ist Cattenom für Erdbeben der Stärke 6,4 auf der Richterskala ausgelegt. Beim Bau der Anlage war erforscht worden, dass das heftigste Beben vor über 200 Jahren im Raum Saarlouis eine Stärke von 5,9 hatte. Eine Anpassung der Anforderungen ist trotz der rezenten Erfahrungen nicht erfolgt.

Überflutung möglich

Cattenom muss damit rechnen, dass bei starkem Hochwasser der Mosel die Pumpen und Rohre an der Mosel überschwemmt werden. Dann steht nur noch der Mirgenbachsee zur Verfügung. Dort herrscht jedoch das Rostproblem. Was funktioniert da noch? Außerdem muss man sich fragen, was im Falle eines Erdbebens mit der Staumauer geschieht und was passiert, wenn im Falle eines Erdbebens der See die Kernkraftwerksanlage überflutet. Majer sieht hier Fragen ohne Antworten. Bei einem Besuch der Anlage hat der Ingenieur Leitungen gefunden, die im Mauerwerk nicht nachzuvollziehen waren. Auch sah er geplatzten Beton, bei dem der Draht sichtbar war.

Kritisch sieht der Ingenieur auch die Tatsache, dass es gerade zwei Notstrom-Aggregate pro Reaktor gibt. Am besten wären acht. In der deutschen Industrie stellt man derzeit – in Fukushima waren alle Diesel-Generatoren ausgefallen – einen derart hohen Ansturm auf diese Geräte fest, dass man sie gerade noch verteilen kann und mit der Fertigung nicht nachkommt.

Erst 2015 wird gehandelt

Diese Liste ist nicht vollständig. Der Kernkraftexperte, der im hessischen Umweltministerium und im Bundes-Umweltministerium in Sachen Kernkraft tätig war, bemüht sich, seinen Vortrag so schlicht wie möglich zu halten. Aber am Ende klingt dann doch Erstaunen durch. Der französische Betreiber EDF will sich erst 2015, also in drei Jahren, daran machen, das Kraftwerk auf den Stand der Technik zu bringen. 2015 soll auch erst ein Papier erstellt werden, was zu tun ist, wenn es in Cattenom einen Stromausfall gibt.

Der LSAP-Abgeordnete Roger Negri meinte dazu: „Zunächst einmal müssen wir EDF und die französische Atomaufsicht dazu bringen, nicht ihre eigenen Kriterien aufzustellen, sondern sich nach den europäischen zu richten. Ich bin überdies jetzt ingenieurstechnisch davon in Kenntnis gesetzt worden, dass eine Verlängerung der Laufzeit nicht zu verantworten ist. Man muss Cattenom abschalten.“