Am Mittwoch war „ATA“-Tag

Am Mittwoch war „ATA“-Tag
(Hervé Montaigu)

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Im LuxLeaksprozess wurde am Freitag der erste der drei Angeklagten, Raphaël Halet gehört. Er erläuterte, wie die Steuervorbescheide (ATA) zustande kamen.

Nachdem vor Halet der Direktor der Steuerverwaltung Guy Heintz sich verständlicherweise nicht allzu viel zum Thema äußern konnte oder wollte (Link), weil verschiedene Vorschriften und Gesetze ihm das verbieten, wurde etwas später dann doch mehr über die so genannten „Advanced Tax Agreements“ – ATA oder „tax rulings“ bekannt.

Die ATA sind Steuervorbescheide, die international operierenden Gesellschaften im Voraus eine niedrige Besteuerung ihrer Gewinne garantieren. Im Prinzip ist das legal. Doch die Art und Weise, wie dies abgelaufen sein soll, solange Raphaël Halet bei der Steuerberatungsfirma PricewaterhouseCoopers – PwC gearbeitet hat (Mai 2015) überrascht den Laien dann doch.

Im Detail kontrolliert?

Zuständig für diese Steuervorbescheide war das Steuerbüro Gesellschaften 6, in dem rund 50 Beamte tätig sind. Ihr Chef war Marius Kohl. Diesen hatte die Verteidigung von Antoine Deltour als Zeugen vorgeladen. Weil Marius Kohl jedoch für vierzehn Tage krankgeschrieben ist, konnte er nicht gehört werden.

Von ihm hatte Anwalt Philippe Penning eigentlich wissen wollen, ob all diese Bescheide, bei denen es um viel Geld geht, auch minutiös und im Detail kontrolliert worden sind. Er selber, so hatte Penning am Donnerstag gesagt, habe es bei dem Lesen der ersten Seite aufgegeben, die hochtechnischen Bescheide durchforsten zu wollen.

Gestern nun befragte der Anwalt von Raphaël Halet, Me Colin Bernard, seinen Klienten zu dessen Arbeit und zu dem Umgang mit den „Advanced Tax Agreements“. Nachstehend dessen Erläuterungen.

Am gleichen Tag zurück

Raphaël Halet war bei PwC Chef einer kleinen Einheit von fünf Mitarbeitern, im Verwaltungsbereich, die für das Erstellen der von anderen Mitarbeitern ausgehandelten Steuervorbescheide zuständig war. Hier wurden die ATA’s in Papierform gedruckt, gescannt und archiviert.

Alle ATA’s passierten dieses Büro. Und dort herrschte am Mittwochnachmittag zwischen 13.30 – 17.30 Uhr Hochbetrieb. Denn dann war Unterzeichnungstag. Will heißen, die Dokumente wurden dem Steuerbüro Gesellschaften 6 zur Unterschrift vorgelegt. Unterzeichner war Marius Kohl.

Bis zu 40-50 solcher ATA habe man am Mittwochmorgen vorbereitet und für 13.30 Uhr zum Büro gebracht. Wenn nicht alle, so seien im Schnitt mindestens die Hälfte bis dreiviertel davon noch am gleichen Tag zurückgekommen. Die anderen am nächsten Morgen.

Einmal habe man 30 ATA hingebracht und alle seien zurückgekommen. Ein anderes Mal, als man viel zu tun gehabt habe, habe man es geschafft, alle drei Minuten ein ATA fertigzustellen, damit sie am Nachmittag vorgelegt werden konnten.

Offizieller Papierbogen

Begleitet werden müssen diese Bescheide auch von einer staatlichen Genehmigung, die auf einem beigefügten Papierbogen stand. Weil es viele solche Bescheide gegeben habe, seien diese Genehmigungen auch von PricewaterhouseCoopers verfasst worden. Auf offiziellem staatlichem Papier mit dem Kopf der Steuerverwaltung.

Und weil das Steuerbüro mit dem Archivieren der ATA überlastet gewesen sei, habe PwC auch diese Arbeit übernommen. In einer ersten Phase habe man dann dem Steuerbüro 6 ein USB-Stick mit den Abkommen drauf zukommen lassen. Weil diese aber auch schon mal verloren gingen, oder das Passwort vergessen worden sei, sei später eine Plattform erstellt worden, zu der sowohl das Steuerbüro als auch PwC Zugang hatten.

Nicht ausgehändigt

Die ATA waren so vertraulich, dass sie nicht einmal an die Kunden selber ausgehändigt wurden. Manche haben vielleicht gar nicht gewusst, dass sie ein solches Abkommen hatten, so Halet weiter. Die Kunden durften die Bescheide wohl einsehen, doch weder fotografieren noch kopieren.

Raphaël Halet hat gestern auch den Journalisten Edouard Perrin entlastet. Er verneinte, dass der Journalist ihn gesteuert und gezielt nach bestimmten Dokumenten gefragt habe. „Ich habe entschieden, was ich ihm geben würde“. Perrin ist u.a. wegen der Anstiftung zum Diebstahl von Dokumenten angeklagt.

Auch dass er dem Journalisten gesagt habe, er solle die Dokumente nicht veröffentlichen, stimme nicht. „Ich habe sie ihm gegeben, an ihm damit zu machen was er will“, so Halet. Vor der Untersuchungsrichterin soll er das Gegenteil ausgesagt haben.

Halet hatte dem Journalisten 16 Steuererklärungen gegeben. Befragt, warum er ihm denn keine Steuervorbescheide weitergereicht habe, meinte Halet, dass Perrin hierüber ja bereits Bescheid gewusst habe, durch die Veröffentlichungen der Dokumente, die der Angeklagte Antoine Deltour einige Zeit vor ihm auch bei PwC entwendet hatte.

Bürgerpflicht nachgekommen

Er selber habe Deltour nicht gekannt und auch nicht gewusst, dass dieser Dokumente entwendet hatte. Als Edouard Perrin die Dokumente von Deltour erhalten und die Praxis der Steuervorbescheide in der Sendung „Cash Investigation“ angeprangert hatte, sei ihm, Halet, erstmals bewusst geworden, wie brisant die ATA sind.

Aus bürgerrechtlichen Gefühlen heraus habe er nach der Sendung entschieden, den Journalisten zu kontaktieren. Er sei seiner Bürgerpflicht nachgekommen, um bestimmte Steuervermeidungsmodelle zu entlarven.