„Neue“ Formen der Material-Wirtschaft

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Recyclen ist "in". Müll trennen ist "in". Wegwerfen ist "out". Das sind drei - nicht mehr ganz neue - Erkenntnisse eines Seminar-Abends zur Kreislaufwirtschaft.

„Wir sind heute sieben Milliarden Menschen auf unserem Planeten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren wir 1,5 Milliarden. Seit dem Anfang des vergangenen Jahrhunderts bewegen wir uns in einer Phase in einer zerbrechlichen Phase unserer Gesellschaften und unseres Planeten“, sagt Janez Potocnik. „Wir führen Krieg um Ressourcen“, fügt der scheidende polnische EU-Kommissar an. Potocnik gilt als der Philosoph in der EU-Kommission, deren Amtszeit zu Ende geht. Sein Einsatz für mehr Nachhaltigkeit und den schonenden Umgang mit der Erde, war geschätzt. Nach seiner letzten Rede verabschiedete ihn das Europa-Parlament mit einer stehenden Ovation.

Im großen Saal des Forschungszentrums Tudor setzte sich Potocnik vor gut 170 Zuhörern für einen sorgsameren Umgang mit Ressourcen ein. Nachhaltiges Bauen sei wichtig, Müll müsse überall getrennt werden, das Recycling sei unumgänglich geworden. Das alleine reiche aber nicht fügte er an. Die Menschen müssten sich auch tiefgreifend eine Art des Konsums angewöhnen. Luxemburg sei das Land in Europa mit dem höchsten Autobestand pro Kopf. „Aber es ist ja kaum möglich“ wandte er sich lächelnd direkt an sein Publikum, „dass Sie mit zwei Autos gleichzeitig hergefahren sind“. Potocnik mahnte: Wir müssen mehr Wert aus den Grundstoffen und aus den Materialien gewinnen. Wir müssen Energie besser nutzen. Und wir müssen bei unserem Lebensstandard auch die Grenzen des Planeten berücksichtigen.

Erfolgreicher Abend

Der Europa-Abgeordnete der Grünen, Claude Turmes, hatte zu dem Abend eingeladen. Mit großem Erfolg: Es mussten zusätzliche Stühle in den Saal getragen werden. Unter den Zuhörern befanden unter anderem sich die Wirtschafts-Staatssekretärin Francine Closener, Vertreter von Wirtschaftsverbänden und Industrieunternehmen.

Die Ressourcen-Effizienz müsse sich insbesondere in der Ernährungswirtschaft bemerkbar machen. Gut 30 Prozent des Wasserverbrauches seien Verschleuderung. „Schauen wir nur, in welchem Maße Grundwasser in der Landwirtschaft verschleudert wird durch Irrigation“, sagte der scheidende EU-Kommissar. Dabei wird Wasser in gigantischen Mengen über Felder gespritzt, insbesondere über Maisfelder. „Man kann die Umwelt nicht schützen, ohne fundamentale wirtschaftliche Verhaltensweisen in Frage zu stellen“, mahnte der Politik-Philosoph. Im Süden Frankreichs gibt es derzeit große Proteste gegen einen zu bauenden Staudamm, der Wasser nur für die Irrigation von Feldern stauen soll.

Kreislaufwirtschaft und Wachstum

Turmes hatte den Abend in verschiedene Bereiche aufgeteilt. Der wohl schwächste war der, als es um Chancen für Luxemburg aus der Kreislaufwirtschaft ging. Man könne über die Kreislaufwirtschaft zum Wirtschaftswachstum und zur Schaffung von Arbeitsplätzen beitragen, wie das Valorlux bereits täte. Man könne einen Material Pass oder eine Material Bank einführen. Luxemburg könne ein Testmarkt für die Kreislaufwirtschaft werden und auch der Finanzier oder der Versicherer für diese Art der Wirtschaft. Irgendwie wurde hier der Moment verpasst, der sich als Vorteil Luxemburgs aus seiner Lage zwischen Deutschland und Frankreich ergibt. Wäre der EU-Kommissar nicht gewesen, hätte man glatt verpasst, dass Luxemburg Anfang des vergangenen Jahrhunderts an der Wiege der Stahls stand und durch die Veränderung von Hochöfen zu Elektrostahlwerken Luxemburg zu einem Vorreiter beim Recyclen gemacht hatte. Potocnik erinnerte daran, dass Stahl das klassische Recycling-Produkt sei. Aber in der Veranstaltung wurde nicht davon geredet, dass der größte Schrottsammler Europas – Alba – und europaweiter Zulieferer von ArcelorMittal in Berlin sitzt und sein Netz längst über Europa geknüpft hat.

Bei den Chancen für Luxemburg wurde auch nicht erwähnt, dass Luxemburg zu den eifrigsten Wiederverwertern von Produkten des täglichen Lebens gehört. Man muss nur einmal eine Stunde in einer öffentlichen Deponie wie zum Beispiel in Foetz schauen, wo insbesondere der Elektroschrott sorgfältig gesammelt wird. Warum? Weil sich dort in den Produkten die seltenen Erden finden, für die China ein Monopol hat oder auch Gold. Jedes alte Handy ist eine Quelle für Recycler. Jeder Chip ist im wahrsten Sinne Gold wert. Das alles wird bereits verwertet. Der übliche Verweis auf Finanzen und Versicherungen in Verbindung mit der Recyclingwirtschaft ging meilenweit an der Wirklichkeit vorbei. Er trug auch der mittelbaren Bedeutung nicht Rechnung. In Luxemburg arbeiten bereits Containerfirmen mit modernsten Containern für den Recyclingbereich und die verschiedenen Materialien, die unterschiedlich behandelt werden müssen. Abgesehen von den einheimischen Schrottfirmen. Da blieb das Seminar sehr weit hinter der Wirklichkeit zurück und ließ mit den Referenten Sachkunde vermissen.

Bewusstseinsbildung läuft an

Erstaunlich auch, dass niemand zur Kenntnis nahm, in welchem Maße in Frankreich derzeit in Fernseh-Werbespots mit kleinen Geschichten für das Recycling geworben wird. Dabei hat TF1 in Luxemburg teilweise die ARD entthront. Die Bewusstseinsbildung, die Kommissar Potocnik angemahnt hatte, läuft in Frankreich gerade voll an. Das wohl unrühmlichste Beispiel des Recyclens findet in Deutschland statt. Das Pfand auf Plastikflaschen ist positiv zu bewerten. Aber die Verordnung, dass die Flaschen zu ihren Ursprungsorten zurückgefahren werden müssen, führt zu vollen Frachtzügen mit leeren Flaschen oder zu nicht wenigen Lastwagen gefüllt mit leeren Flaschen, die Europa durchqueren. Eine Absurdität, über die man hätte durchaus nachdenken können. Diese Fakten sind nicht unwichtig, wenn man darüber nachdenken will, wie man Luxemburg im europäischen Recycling-Raum positionieren will.

Ganz aus dem Herzen des EU-Kommissars sprach wohl Karin Basenach, als sie auf die Lebenszeit von Produkten zu sprechen kam. In der Regel gehen sie dann kaputt, wenn die Garantie gerade vorbei ist. Stellt sich ein Fehler innerhalb der Garantiezeit ein, muss man unter Umständen mühselig nachweisen, dass der Fehler wirklich auf den Produzenten zurückgeht oder man wird freundlich gebeten, die Quittung zu finden oder nachzuweisen, dass der Fehler nicht durch mangelhafte Behandlung des Gerätes entstanden ist. Hier muss der europäische Gesetzgeber eintreten, um die Kurzlebigkeit der Produkte über andere Garantieregeln zu verändern und die Lebenslinie von Produkten zu verlängern, forderte sie.

Nachhaltigkeit in der Wirtschaft

An diesem Punkt hatte auch Kommissar Potocnik eingesetzt, indem er Nachhaltigkeit in der Wirtschaft verlangte. Tatsächlich nämlich, so Basenach, werden die Produkte häufig weggeworfen und neue gekauft, weil sich niemand wirklich mit diesen juristischen Feinheiten der Garantien auseinandersetzen will. Auch hier lohnt sich der Blick in die Nachbarländer. In Deutschland und in Frankreich haben sich längst Assoziationen gebildet, die mit Rentnern oder mit Arbeitslosen solche Geräte für einen geringen Preis reparieren und deren Leben verlängern.

In Frankreich beweint in einem Fernsehspot eine Hausfrau ihren Toaster, der einem Kurzschluss zum Opfer fällt. Sie wirft ihn in einen Recyclingbehälter und will später unter Tränen in einem anderen Produkt ihren alten Toaster wiedererkennen. Auch so kann Kreislaufwirtschaft Arbeit schaffen, allerdings überraschende: Für Schauspieler, Werbeagenturen, Kameramänner und Beleuchter, Drehbuchschreiber und Regisseure.

Am 25. Und 26. Juni 2015 soll in Luxemburg ein zweitätiges Seminar zur Kreislaufwirtschaft stattfinden. Hoffentlich tiefgründig, mit dem Blick auf das, was es schon gibt und das, was daraus realistisch werden kann.