Politische Missstimmung

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1992 wurde der Begriff von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum Wort des Jahres erklärt. Seitdem ist die „Politikverdrossenheit“ immer wieder Thema von Medienberichten, Wahlanalysen und Studien. Gemeint ist damit die allgemeine negative Haltung der (nicht nur wahlberechtigten) Bürger gegenüber den politischen Vertretern und deren Handeln. Politische Verdrossenheit kann sich in Desinteresse, aber auch in...

In den meisten westlichen Ländern ist die Bereitschaft, zur Wahl zu gehen, also die Wahlbeteiligung, ein Indikator für die generelle Unterstützung der Politik eines Landes bzw. die politische Verdrossenheit. Denn mit der Wahl findet eine Teilnahme am politischen Prozess statt und das demokratische System sowie die politischen Verantwortlichen werden hierdurch – wenn auch je nach Wahlausgang nur indirekt – gestützt. In Luxemburg kann aufgrund der gesetzlich vorgeschriebenen Wahlpflicht die (mangelnde) Partizipation an den jeweiligen Urnengängen aber nicht als Maßeinheit für das politische Interesse bzw. Desinteresse der Bürger genutzt werden. Neben der Nichtwahl kann auch die Protestwahl ein Zeichen für die gesellschaftliche politische Unzufriedenheit sein. Spektakuläres Beispiel eines solchen Phänomens war z.B. das Erreichen des zweiten Wahlgangs des rechtsradikalen Jean-Marie Le Pen anlässlich der französischen Präsidentschaftswahlen im Jahr 2002. In Deutschland kann man den rezenten Aufschwung der Linken bzw. der NPD in einigen Teilen der Republik wenn nicht ganz, dann zumindest teilweise der Politikverdrossenheit zurechnen. Ähnlich wie die Wahlbeteiligung taugt aber auch die Protestwahl in Luxemburg nur bedingt als Politikverdrossenheits-Kriterium. Grund hierfür ist die hiesige Parteienlandschaft. Die potenziellen protestwahltauglichen Parteien links und rechts der etablierten Parteien sind untereinander zerstritten bzw. inexistent.

Was bleibt, ist die Induktion

Da man sich also in Luxemburg zur Bewertung der Politikverdrossenheit nicht an der Wahlbeteiligung bzw. dem Wahlergebnis extremer Parteien orientieren kann und andere Faktoren wie z.B. die sowieso kaum aussagekräftigen Mitgliederzahlen der einzelnen Parteien nur unregelmäßig oder überhaupt nicht veröffentlicht werden, bleibt zur Abwägung der Situation ein Jahr vor den nächsten Parlaments- und Europawahlen nur die Induktion. Oder anders ausgedrückt: Angesichts fehlender aussagekräftiger Indikatoren oder Studien kann man nur versuchen, aufgrund verschiedener Einzelereignisse auf die allgemeine Stimmung zu schließen. Und diese Stimmung scheint unabhängig von Wahlabsichten und -verhalten gut. Hiervon zeugen die Debatten (sowie die dazugehörigen Unterschriftensammlungen) zum neuen Hundegesetz sowie zur Legitimität des „Roude Léiw“ auf der Fahne – beides Themen, die während Monaten die Öffentlichkeit (und die Medien) bewegten. Auch die Neuberechnung der Autotaxe sowie die Einführung des Rauchverbots in Restaurants blieben nicht ohne Reaktionen und führten zu kontroversen Auseinandersetzungen und Diskussionen. Kritiker mögen jetzt behaupten, bei diesen Themen handele es sich wenn überhaupt nur um „softe“ gesellschaftspolitische Probleme. Nichtsdestotrotz zeugt das jeweilige Aufbegehren davon, dass die regelmäßig beklagte politische Lethargie in der Bevölkerung zumindest nicht so weit verbreitet ist wie vielfach angenommen. Eine Feststellung, die durch die weitaus komplexere, aber nicht minder engagiert geführte Debatte um die Sterbehilfe nur bestätigt wird. Alles in allem kann man sich des Gefühls also nicht erwehren, dass die Politikverdrossenheit, oder besser die Diskussionsverdrossenheit – zu großen Teilen jedenfalls und zumindest nicht nur – weniger auf Seiten der Wähler, sondern vielmehr auf Seiten der Politik zu suchen ist. Die Bürger jedenfalls scheinen bereit, mitzudiskutieren und sich (gesellschafts-)politisch engagieren zu wollen. Wenn die Politiker (aus Koalition und Opposition gleichermaßen) dies nicht erkennen und die entsprechenden Anstrengungen unternehmen, sich also lediglich darauf beschränken, im (Vor-)Wahlkampf mit oder ohne bunt geschmückten Wahlkampfbus durchs Land zu touren und die Auseinandersetzung mit dem Volk nur zeitlich begrenzt zu suchen, riskiert der Schuss über kurz oder lang gehörig nach hinten loszugehen. Für die Politiker.
twenandy@tageblatt.lu