Luxemburgisch versteht man auch am anderen Ende der Welt

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Heißen Sie Leweck, Mombach, Flammang – oder vielleicht, wie die Autorin dieses Artikels,  Entringer? Dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Sie Verwandte auf der anderen Seite der Welt haben. Ihre Gedanken springen jetzt sicherlich sofort über den Atlantik in die USA – doch damit liegen Sie etwas zu weit nördlich. Die Stichworte lauten Amazonas, Regenwald und Copacabana: Es geht um Brasilien.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts machten sich nämlich auch einige Luxemburger auf eine mehrmonatige, gefährliche Schiffsreise um die halbe Welt. Das Ziel: Südamerika. Sie waren – in der festen Hoffnung, Krankheit, Hunger und Armut zu entkommen – in Richtung Brasilien aufgebrochen, um ein besseres Leben zu finden. Im Gepäck hatten die Auswanderer dabei nicht nur ihr Hab und Gut, sondern auch ihre Traditionen und ihre Sprache.

Im Urlaub am Strand Luxemburgisch sprechen

Stellen Sie sich nun vor, Sie machen heute, 150 Jahre nachdem die Auswanderer Luxemburg verließen, Urlaub in Brasilien und können sich auf Luxemburgisch verständigen. In der Region Rio Grande do Sul im Süden des Landes funktioniert das tatsächlich. Auch in den Regionen Paraná und Santa Catarina hätten Sie keine Probleme, sich zu unterhalten. Denn in den drei Landesteilen gibt es heute noch ca. 800.000 Menschen, die das sogenannte Hunsrückisch sprechen – eine Sprache, die für Luxemburger seltsam vertraut erscheint.

 

Auszug aus der Passagierliste eines Brasiliendampfers: Diese Menschen kamen am 5. August 1871 in Dona Francisca an – darunter auch der Luxemburger Nicolaus Feyler.

 

Luxemburgisch in Brasilien? Wie kommt das denn?

Viele Menschen, die vor 150 Jahren nach Südbrasilien einwanderten, stammten tatsächlich aus der heutigen „Großregion“. Und die Art, wie sie sprachen, nahmen sie mit auf die Reise. In ihrer neuen Heimat verbanden sie die Begriffe und Eigentümlichkeiten ihrer verschiedenen Dialekte zu einer gemeinsamen Sprache. Diese enthält viele Elemente des Moselfränkischen – also des Luxemburgischen und des Rheinfränkischen, das vielerorts im Grenzgebiet in Deutschland gesprochen wird. Dazu gesellten sich mit der Zeit noch portugiesische Wörter und deren Aussprache – denn isoliert blieben die Auswanderer natürlich nicht.

Absolut identisch ist das „Hunsrückisch“, wie es in Südbrasilien gesprochen wird, also nicht mit den heutigen Dialekten und Sprachen der Großregion. Aber: Die Ähnlichkeiten sind nicht zu überhören.

Hörprobe älterer Hunsrückisch-Sprecher

„Heute erkennt man einen Unterschied in der Sprechweise, je nachdem, wo man sich in Südbrasilien aufhält. Einige Kolonien sind moselfränkisch geprägt, andere eher vom Rheinfränkischen“, erklärt Mateusz Maselko, ein Sprachwissenschaftler, der an der Universität Genf über Hunsrückisch in Südbrasilien promoviert.

Hunsrückisch

Der (wissenschaftliche) Name „Hunsrückisch“ leitet sich von dem deutschen Mittelgebirge im Saarland und in Rheinland-Pfalz ab, das viele Menschen in der Mitte des 19. Jahrhunderts verlassen haben. Neben den Vereinigten Staaten war auch Südbrasilien ein begehrtes Ziel für die Auswanderer aus dem Gebiet. Und aus dem Rest der Region – zum Beispiel aus Luxemburg.

Kuk mool: Leit xprësche heit Taytx in Brasil.

Heute wird Deitsch (geschrieben „Taytx“) – so nennen die Brasilianer das Hunsrückisch – immer noch vielerorts gesprochen. Und das nicht nur innerhalb der Familie, sondern auch auf der Straße. „Auch in den größeren Städten wird in den Läden Hunsrückisch gesprochen. Es ist ganz normal, dass man dort auf Deitsch begrüßt wird“, so Mateusz Maselko.

Das war aber nicht immer so: Während des Zweiten Weltkrieges war alles „Deutsche“ verboten. Es war nicht einmal erlaubt, Deitsch zu sprechen – geschweige denn es in der Schule zu lernen. Viele haben zu diesem Zeitpunkt aufgehört, den Dialekt an ihre Kinder weiterzugeben. Das hat sich später aber wieder geändert: Heutzutage versucht man den Jüngeren die Traditionen und auch die Sprache wieder zu vermitteln.

Hunsrückisch als historisches und kulturelles Erbe

Dem hat sich auch das „Projet Hunsrik“ verschrieben. Die Verantwortlichen dieses Vereins sorgten dafür, dass eine offizielle Schrift für die Sprache entwickelt wurde, die ans Portugiesische angelehnt ist. „Wir haben bereits einige Bücher für Kinder (Te Kleene Prins), Wörterbücher und Lehrbücher für den Schulunterricht herausgebracht“, sagt Solange Hamester Johann, Koordinatorin des „Projet Hunsrik“. „Gerade sind wir dabei, die Bibel zu übersetzen.“

Seit einigen Jahren sendet der Verein sogar Radioprogramme auf Hunsrückisch – und bildet Lehrkräfte aus, wie Johann erklärt. Ein wahrer Meilenstein war für den Verein die Anerkennung ihrer Sprache als „historisches und kulturelles Erbe Rio Grande do Suls“. Dafür hatten sich die Sprachfans lange eingesetzt.

In Brasilien werden insgesamt 216 Sprachen gesprochen. 15 von diesen wurden von Einwanderern mitgebracht. Die Regierung erkennt diese nicht-indigenen Sprachen an und erlaubt es den eingewanderten Gruppen, die eigene Sprache in der Schule der jeweiligen Region zu benutzen und zu unterrichten. Auch wenn Unterricht und Förderung von Vereinen – wie dem des „Projet Hunsrik“ – abhängt, zeigt dies den offenen Umgang Brasiliens mit seiner sprachlichen Vielfalt.

Ein Land und 216 Sprachen

Auf die Frage, warum Menschen ausgerechnet Hunsrückisch lernen wollen, meint Johann: „Wayl, noo 193 yoer inwanerung, is tas ti moter xprooch un kultur fon neekst tseen milioone nookhomer, woo noch umkefeyer tray milioone mënxe xpreche. Tas is ti tswet xprooch te meyerxt kexproch im Brasil, ploos hinich português.“

(Wer eine Übersetzung braucht: Nach 193 Jahren Einwanderung ist das die Muttersprache und Kultur von fast zehn Millionen Nachkommen, die noch ungefähr drei Millionen Menschen sprechen. Es ist die Sprache, die nach Portugiesisch in Brasilien am zweitmeisten gesprochen wird.)

Das Internet spielt für die Sprachpraxis und den Austausch der Hunsrückisch-Sprecher eine große Rolle: allem voran Facebook. Hier tummeln sich einige Gruppen, die den Austausch in und über die Sprache fördern. Die größte Facebook-Gruppe hat 19.000 Mitglieder, andere nutzen YouTube oder Weblogs, um ihre Sprache populärerer zu machen. Auf diesen Kanälen bieten Hunsrückisch-Freunde nicht nur Sprach- und Schreibkurse an oder lesen Geschichten vor. Sie laden auch Videos von Sprach-Originalen hoch, die einfach nur Geschichten oder Erlebtes auf Hunsrückisch erzählen.

Nicht nur sprachlich ist das Erbe in den Köpfen der Brasilianer präsent. Viele Brasilianer, die vermuten, dass ihre Vorfahren aus dem deutschsprachigen Raum kommen, suchen neugierig nach ihren kulturellen Wurzeln. Und auf speziellen Internetseiten tauchen bei der Ahnensuche auch immer wieder luxemburgische Namen auf.

Der Blog von ancestryline listet insgesamt 86 Nachnamen auf, die auf Wurzeln im Großherzogtum hinweisen. Darunter neben Leweck, Mombach und Entringer zum Beispiel auch Bertemes, Majerus und Olinger.

Die Suche nach den Wurzeln

Dies ist aber nicht der einzige Dienst, den die Internetplattformen anbieten. Sie informieren auch darüber, dass es mit Vorfahren aus dem Großherzogtum für Brasilianer möglich ist, Luxemburger zu werden. Und zum Beispiel in der EU in jedem Land arbeiten zu können – oder ein Visum für die USA zu bekommen.

Hörprobe jüngerer Brasilianer

Das „Recouvrement“, das als Teil des neuen Nationaliätengesetzes in der letzten Legislaturperiode von Justizminister Luc Frieden (CSV) eingeführt wurde, ermöglicht es den Nachfahren der Auswanderer aus Luxemburg, die luxemburgische Nationalität zu beantragen. Es bleibt noch bis Ende 2018 in Kraft. Das entscheidende Kriterium: Ein direkter Vorfahre muss am 1. Januar 1900 Luxemburger gewesen sein. Da die meisten luxemburgischen Auswanderer im Laufe des 19. Jahrhunderts nach Brasilien übersiedelten, trifft dies vermutlich auf viele Nachfahren in Brasilien zu.

Es bleibt abzuwarten, wie viele Verwandte wir bis Ende 2018 als Mitbürger begrüßen dürfen. Die Kommunikation scheint zumindest unkomplizierter, als es auf den ersten Blick den Anschein hat.

Nathalie Entringer

Carlos Eliseu Ruthes
4. Februar 2020 - 3.31

Moien Ech sinn en Nofolger vun der Ruthes / Grein Famill Ech géif gären wëssen ob ech nach ëmmer fir d'Lëtzebuerger Nationalitéit maache kann. Ech si vu Curitiba - Paraná Brasilien.