Zwei kleine Wörter sollen aus der Verfassung gestrichen werden, und schon hat der Großherzog einen Großteil seiner Macht verloren. Das Staatsoberhaupt wird in Zukunft nicht mehr in das gesetzgebende Verfahren eingreifen können. Er wird die Gesetze lediglich verkünden. Der Großherzog selbst habe diesen Vorschlag unterbreitet, so Premierminister Jean-Claude Juncker gestern Abend in einer Erklärung. Abgeändert wird Artikel 34 der Verfassung (siehe Kasten).
Das bleibt |
Auslöser für die Änderung ist die bevorstehende neuerliche Abstimmung über den Gesetzesvorschlag zur Legalisierung der Sterbehilfe.
Großherzog Henri weigere sich, das Gesetz, sollte es denn dazu kommen, zu unterschreiben, sagte Juncker. Eine Ansicht, die der Premierminister nicht teilen könne. Ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz müsse umgesetzt werden, habe er, Juncker, dem Großherzog gesagt.
In dieser Frage gebe es eine ernsthafte Meinungsdifferenz zwischen ihm und dem Großherzog, so der Premierminister weiter.
Die zuerst von RTL Radio Lëtzebuerg verbreitete Nachricht über die ablehnende Haltung des Großherzogs zum Euthanasiegesetz schlug gestern Morgen wie eine Bombe ein. Der Gesetzesvorschlag von Jean Huss („déi gréng“) und Lydie Err (LSAP) sollte kommende Woche erneut im Parlament zur Debatte stehen.
Damit Gesetze umgesetzt werden können, müssen sie vom Großherzog als Staatsoberhaupt unterzeichnet und anschließend veröffentlicht werden. Lehnt der Großherzog die Unterschrift ab, kann das lang erwartete Gesetz über Sterbehilfe nicht in Kraft treten.
Eingriff in die politische Debatte
Mit seiner Unterschriftsverweigerung griff Großherzog Henri in eine politische Debatte ein, die seit über einem Jahr die Gesellschaft entzweit. Weder Großherzogin Charlotte noch Großherzog Jean mischten sich in politische Fragen ein, indem sie ihre Unterschrift unter Gesetze verweigerten oder dies androhten. 1912 hatte Großherzogin Marie-Adelheid unter dem Druck des Klerus die Unterschrift zum Schulgesetz von 1912 über Monate hinweg verweigert.
Während Premierminister Jean-Claude Juncker seit längerem über die Einstellung des Staatschefs zur Frage der Sterbehilfe informiert war, wurden die Präsidenten der Parlamentsfraktionen am Montag informiert. Auf seine Initiative hin, präzisierte Juncker.
Die Parlamentsgruppen selbst tagten gestern ab 11.00 Uhr. Ein Thema stand auf der Tagesordnung: Auswege finden aus der institutionellen Krise, in die der Großherzog das Land gestürzt hätte. Das eigentliche Thema der anschließenden Parlamentssitzung, die Haushaltsvorlage 2009, rückte in weite Ferne.
Kurz vor Beginn der Plenarsitzung um 15.00 Uhr war die Stimmung bei der CSV bedrückt. Es sei nicht an der CSV, in dieser Frage die Führung zu übernehmen, sagte uns Fraktionschef Michel Wolter. Man warte ab, was bei der Sitzung mit den anderen Fraktionschefs und dann mit Premierminister Jean-Claude Juncker herauskomme.
Sein LSAP-Kollege Ben Fayot wurde expliziter und deutete bereits die am frühen Abend zurückbehaltene Lösung an. Man werde wohl zuerst die Verfassung ändern und dann über den Gesetzesvorschlag zur Sterbehilfe abstimmen. Durch eine Verfassungsänderung würde das Vetorecht des Großherzogs im legislativen Prozess beschnitten. Das Euthanasiegesetz würde gleichzeitig mit dem Gesetzesentwurf über Palliativmedizin verabschiedet. Darauf bestand die LSAP.
Wie gestern bekannt wurde, soll das Parlament bereits kommende Woche in erster Lesung über die Änderung von Artikel 34 der Verfassung abstimmen. Wenige Tage später dann würden die Abgeordneten über die Texte zur Palliativmedizin und zur Sterbehilfe entscheiden.
Eine Entbindung vom zweiten parlamentarischen Votum ist bei Verfassungsänderungen nicht möglich. Die zweite Lesung kann frühestens drei Monate nach der ersten erfolgen.
Das soll den Worten der Fraktionschefs zufolge reichen, damit die Verfassungsänderung in Kraft tritt, noch bevor das Euthanasiegesetz nochmals zur Abstimmung ins Parlament käme. Laut dem noch gültigen Artikel 34 der Verfassung hat der Großherzog eine Bedenkzeit von drei Monaten zur Annahme des Gesetzes. Lässt er diese verstreichen, ist die Verfassungsänderung bereits in Kraft und er spart sich damit jede Äußerung zum Euthanasiegesetz.
Premierminister Juncker stand die Anspannung der drohenden institutionellen Krise ins Gesicht geschrieben. Es wäre schlecht gewesen, der aktuellen wirtschaftlichen noch eine institutionelle Krise hinzuzufügen, sagte er nach der Sitzung mit den Fraktionschefs im Staatsministerium.
Längst überfällige Reform
Über die Vollmachten des Großherzogs wird nicht erst seit gestern diskutiert. Der Parlamentsausschuss Institutionen hatte bereits früher eine mögliche Verfassungsänderung erörtert. In der Vergangenheit fehlte jedoch der politische Wille für derlei Reformen. Es bedurfte des Sterbehilfegesetzes als Beschleuniger.
Wer zum Auftakt der Parlamentssitzung gestern Nachmittag stürmische Debatten zur drohenden institutionellen Krise erwartet hatte, irrte. „Hat die Regierung eine Mitteilung zu machen?“, fragte Parlamentspräsident Lucien Weiler nach dem Glockenschlag. „Nein“, antwortete Familienministerin Marie-Josée Jacobs. Und Weiler ging zur Tagesordnung über. Zuerst verlas er die Liste der deponierten Gesetzesentwürfe, dann gab er seinem CSV-Kollegen Norbert Haupert das Wort für den Bericht über die Haushaltsvorlage für 2009.
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