Wird das Urteil „cassiert“ oder nicht?

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Antoine Deltour und Raphaël Halet, beide ehemalige Angestellte von PricewaterhouseCoopers (PwC), wurden im sogenannten LuxLeaks-Berufungsprozess am 15. März 2017 verurteilt: Deltour zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung sowie zu einer Geldstrafe von 1.500 Euro und Halet zu einer Geldbuße von 1.000 Euro. Der Journalist Edouard Perrin wurde freigesprochen. Heute wird der Prozess vor dem Kassationsgerichtshof verhandelt.

Das Urteil war in Berufung milder als in erster Instanz ausgefallen. In zweiter Instanz wurde Antoine Deltour zu zwölf und Raphaël Halet zu neun Monaten Haft verurteilt. Beide Strafen waren zur Bewährung ausgesetzt.

Der Journalist Edouard Perrin wurde damals ebenfalls freigesprochen. Im Strafantrag in zweiter Instanz wurde nur gegen Deltour eine Haftstrafe von sechs Monaten auf Bewährung gefordert.

Die zwei Verteidiger von Antoine Deltour zeigten sich Mitte März nur teilweise zufrieden. Wegen Diebstahls, „fraude informatique“ und „blanchiment-détention“ wurde Deltour verurteilt. Der Vorwurf der Verletzung des Berufsgeheimnisses wurde nicht aufrechterhalten. „Wichtig ist, dass Deltour alle Bedingungen erfüllt, um als Whistleblower anerkannt zu werden. Dies ist ein Schritt in die richtige Richtung“, betonte Me William Bourdon, Verteidiger von Deltour.

Me Philippe Penning, ebenfalls Anwalt von Deltour, sah das Urteil auch positiv. „Deltour als Whistleblower anzuerkennen, war richtig. Warum er trotzdem wegen Diebstahls verurteilt wurde, kann ich mir nicht erklären“, so Me Penning. Und trotzdem haben sie entschieden, in Kassation zu gehen.

Raphaël Halet wurde in zweiter Instanz zu einer Geldstrafe verurteilt. Laut richterlichem Beschluss würde er nicht alle Kriterien erfüllen, um als Whistleblower anerkannt zu werden. Trotzdem ist Halet über das Urteil erleichtert. „Ich bin glücklich darüber, dass am Ende nur eine Geldstrafe übrig bleibt. Und trotzdem hätte ich auch vom Vorwurf des Diebstahls freigesprochen werden müssen. Ich habe schließlich im Dienst der Allgemeinheit gehandelt“, erklärte er damals. Nach Auffassung der Verteidiger von Deltour und Halet wäre ein Freispruch auf der ganzen Linie die einzig richtige Entscheidung gewesen.

Was war passiert?

Die zwei ehemaligen PwC-Angestellten sollen geheime Daten aus der Firma entwendet und dem Journalisten weitergegeben haben. Dabei ging es vor allem um die sogenannten „Tax Rulings“.

Bernard Colin, der Anwalt von Raphaël Halet, hat im LuxLeaks-Berufungsprozess erklärt, „Tax Rulings“ habe es in vielen Ländern gegeben, doch Luxemburg sei das einzige gewesen, in dem sie über keine gesetzliche Grundlage verfügten. Aus diesem Grund sei die Behauptung des Ersten Staatsanwalts John Petry, Raphaël Halet habe keine Gesetzeswidrigkeiten aufdecken wollen oder können, auch nicht zutreffend, weil es keine gegeben habe.

Petry hatte u.a. dieses Argument angeführt, um zu widerlegen, dass Halet sich schon beim Weiterleiten von Steuererklärungen von PwC-Kunden an Perrin als Whistleblower betrachtet habe.

Die fehlende Seite

Für Bernard Colin steht fest, dass die „Tax Rulings“ – entgegen den Behauptungen von PwC – in Luxemburg keine gesetzliche Grundlage gehabt hätten. Er berief sich hierbei auch auf den Bericht des damaligen LSAP-Abgeordneten und späteren Ministers Jeannot Krecké aus dem Jahre 1997. Die Seite, die nur in einer der beiden Versionen dieses Berichts enthalten gewesen sei, danach jedoch laut früherem Premierminister und jetzigem EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker dort gefehlt habe und erst 17 Jahre später wieder aufgetaucht sei, würde eben dies belegen.


 

Jede Menge Unterstützung

Eine große Menschenmenge hatte sich sowohl in erster als auch in zweiter Instanz im Hof der „Cité judiciaire“ versammelt. Alle wollten sie den beiden Whistleblowern Antoine Deltour und Raphaël Halet sowie dem Journalisten Edouard Perrin ihre Unterstützung bekunden.

Es ist schon außergewöhnlich, dass sich vor einem Urteil im Hof der „Cité judiciaire“ eine solche Menschenmasse versammelt. Auch heute hat das Unterstützungskomitee zu einer Unterstützungsversammlung aufgerufen.

Vertreter internationaler Medien, Presseagenturen und jede Menge Unterstützer für die Whistleblower tummelten sich in den zwei ersten Instanzen im Hof der „Cité judiciaire“. „Allerdings ist das Medieninteresse im Kassationsverfahren nicht so groß“, bestätigte die Pressestelle der Justiz gestern auf Nachfrage des Tageblatt.



Was sind „Tax Rulings“?

„Tax Rulings“ sind sogenannte Steuervorbescheide, mit denen der Staat großen multinationalen Firmen niedrige Steuersätze garantiert. Die Praxis war ans Licht der Öffentlichkeit gerückt, nachdem Antoine Deltour, ein früherer PwC-Mitarbeiter, dort rund 45.000 Seiten Dokumente kopiert hatte, die dann später von dem französischen Journalisten Edouard Perrin und einem internationalen Journalisten-Konsortium veröffentlicht wurden.

Im Zuge der „LuxLeaks-Affäre“ wurden Deltour und Perrin angeklagt, ebenso wie Raphaël Halet, der früher auch für PwC gearbeitet hat. Halet hatte mehrere Steuererklärungen an Perrin weitergeleitet, nachdem er dessen erste Sendung zu den Deltour-Dokumenten gesehen hatte. Antoine Deltour und Raphaël Halet betonen beide, dass sie im allgemeinen Interesse gehandelt hätten, und berufen sich auf den Schutz, der sogenannten „Whistleblowern“ durch Artikel 10 der Europäischen Konvention für Menschenrechte zusteht.


 

Handeln ist gefragt

Weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene seien Whistleblower laut dem Urteil aus zweiter Instanz geschützt. Und auch Artikel 10 der Menschenrechtskonvention greife bei Deltour und Halet nicht, so das Gericht. Da nützen auch die Interpretationshilfen des Europarates zum Umgang mit Artikel 10 nicht viel. Doch der Verweis auf den Europarat zeigt die Linie des Gerichts auf. Der Europarat, das ist die Politik. Die Steuer-Rulings, das ist die Politik. Und der Schutz der Hinweisgeber, auch das ist die Politik. Es ist schön für das Europaparlament, wenn es dafür plädiert, dass diese besser geschützt werden sollen. Es ist schön für die EU-Kommission, wenn sie das Gleiche denkt und laut bekundet. Doch den Whistleblowern nützt Gerede wenig. Handeln ist gefragt. Vor allen Dingen politisches Handeln. Nur wenn klar per Gesetz definiert ist, wer sich auf den Status eines Whistleblowers berufen kann, kann ein Gericht überhaupt in diese Richtung aktiv werden. Bis dahin muss für ein Gericht, vereinfacht gesagt, ein Diebstahl ein Diebstahl bleiben.


 

Wie geht es nun weiter?

Der Kassationsgerichtshof ist keine dritte Instanz. Falls ein Urteil in Berufung gesprochen worden ist, ist ein sogenannter „pourvoi en cassation“ möglich. Vor dem Kassationsgerichtshof wird dann verhandelt, ob eventuelle Fehler auf juristischer Basis geschehen sind. Die Fakten werden nicht mehr debattiert. Heute wird vor dem Kassationsgerichtshof verhandelt und erst wenn ein Urteil von dem „Cour de cassation“ vorliegt, weiß man, ob der Prozess erneut aufgerollt wird oder nicht. Wenn der Kassationsgerichtshof entscheidet, dass das Urteil gesetzeskonform ist, ist das Berufungsurteil rechtskräftig.