„Wer mal da war, kommt immer wieder“

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Krebs betrifft viele, sei es als Angehöriger eines Patienten, sei es als davon Betroffener. Seit 24 Jahren engagiert sich die „Fondation Cancer“ für Prävention, Hilfe und Forschung auf diesem Gebiet. Beim „Relais pour la vie“, der an diesem Wochenende zum 13. Mal über die Bühne geht, stehen die Patienten im Rampenlicht. Ein Gespräch mit Direktorin Lucienne Thommes (60) über ein langatmiges Tabu, Patientensorgen und „Gesundheitserziehung“.

Tageblatt: Rund 3.000 neue Erkrankungen jährlich in Luxemburg: Ist Krebs eine Zivilisationskrankheit?
Lucienne Thommes: Ja, klar. Wir leben anders als früher, bewegen uns nicht so viel, und wir ernähren uns anders. Oft wird auch vergessen, dass das Risiko, an Krebs zu erkranken, im Alter steigt. Und wir werden alle älter als früher. Ab 60 Jahren steigt statistisch gesehen das Risiko.

Gibt es denn wirksame Präventionsmaßnahmen?
Es gibt drei Faktoren, die das Krebsrisiko erhöhen. Das sind Rauchen, Übergewicht und Alkohol. Korrektes Essen gehört beispielsweise zur Prävention.

Was heißt „korrektes Essen“?
Viel Obst und Gemüse, wenig Fleisch, möglichst keine Fertiggerichte essen. Natürlich ist das beruflich bedingt nicht immer möglich, da muss man realistisch bleiben. Das entbindet aber nicht von der Eigenverantwortung, abends Obst und Gemüse zu sich zu nehmen. Viele sind sich heute einfach nicht mehr bewusst, was sie essen und trinken. Nach dem Genuss einer 50-Gramm-Tüte Chips müsste derjenige, der sie verzehrt hat, 38 Minuten Fahrrad fahren, um es auszugleichen. Das schockiert viele, wenn wir das in unseren Food-Labs anhand von Zuckerwürfeln demonstrieren.

Was sind denn Anzeichen, die mich alarmieren müssten?
Unerklärlicher Gewichtsverlust, starker lang anhaltender Husten, besonders bei Rauchern, Blut im Urin oder Stuhl, Schleimauswurf, Spucken, verstärktes Nasenbluten, andauernde Müdigkeit oder chronische Veränderungen der Darmfunktion. Wir stellen allerdings in eigenen Studien fest, dass viele keine Symptome kennen – vor allem in der Altersklasse, wo das Risiko steigt. Für mich fehlt es an einer „Gesundheitserziehung“, wo auch immer sie stattfinden kann – vor allem im Hinblick auf Prävention.

24 Jahre „Fondation Cancer“: Was hat sie erreicht bis jetzt?
Ohne unsere Lobbyarbeit gäbe es das Tabakgesetz in der aktuellen Form nicht. Wir haben viel dazu beigetragen, das Tabu rund um die Krankheit zu brechen. Der „Relais pour la Vie“ ist das beste Beispiel. Das hat vielen Patienten aus der Isolation geholfen und ihre Lebensqualität verbessert. Die Diagnose ist auch heutzutage noch immer ein Schock, da geraten Familienkonstellationen ins Wanken. Der Betroffene selbst muss damit zurechtkommen. Und wir haben seit unserem Bestehen mit rund 10 Millionen Euro die Forschung unterstützt.

2018 verdoppelt sich der Etat, den die „Fondation Cancer“ an die Forschung vergibt, auf rund zwei Millionen Euro. Warum?
Gestiegene Nachfrage. Und viel förderungswürdige Projekte hier in Luxemburg. Wir wissen, ohne Forschung gibt es keine erfolgreiche Behandlung. Das kommt ja den Patienten zugute. Dafür setzen wir dieses Jahr eigene finanzielle Reserven ein.

Was sind Probleme, mit denen Patienten hierher kommen?
Ein großes Problem ist das „Loch“ nach der Behandlung. Nach der Zeit im Krankenhaus, wo die Patienten versorgt werden, kommen sie nach Hause und das Umfeld denkt: Es ist ja wieder gut. Ist es aber nicht. Viele können dann nicht in den Trott zurück oder wollen es auch nicht. Sie müssen das erst verarbeiten. Da tut sich dann ein „Loch“ auf, in das sie hineinfallen. Da hilft die Stiftung auch.

Es mangelt oft auch an einer einfühlsamen Kommunikation zwischen Ärzten und den Patienten …
Das Problem ist bekannt. Das wissen wir auch von unseren Patienten. Das ist eine Charaktersache und man muss auch wissen, dass die Ärzte unter großem Zeitdruck stehen.

Das wäre ja auch eine Chance für den neuen Medizinstudiengang in Luxemburg …
Warum nicht? An der Universität München beispielsweise werden Schauspieler engagiert, um mit den Studenten solche Situationen einzuüben.

Es gibt ja aber auch administrative Hürden für Patienten, Stichwort 52 Wochen krankgeschrieben …
Das belastet viele Patienten sehr – neben der Krankheit. Wenn die Betroffenen entweder ein Jahr lang durchgehend krankgeschrieben sind oder über zwei Jahre verteilt auf die 52 Wochen kommen, fallen sie aus allen Rastern raus. Die ersten drei Monate zahlt der Arbeitgeber, dann übernimmt die Krankenkasse. Nach 52 Wochen zahlt die Kasse aber nicht mehr, dann bleiben die Möglichkeiten: Wiedereingliederung, Invalidenpension, gegebenenfalls RMG. Der Patient kann auch nicht warten, bis die Zeit abgelaufen ist. Er muss sich parallel zur Krankheit auch noch darum kümmern. Wir versuchen im Rahmen des „Plan national cancer“ etwas daran zu ändern.

Rund 10.500 eingeschriebene Teilnehmer, zwei Tage im Zeichen des Krebs, die 13. Auflage des „Relais pour la vie“ steht vor der Tür. Wie erklärt sich dieses riesige Interesse?
Es betrifft einfach so viele. Es gibt kaum jemand, der nicht in der Familie, im Freundeskreis oder am Arbeitsplatz jemanden kennt, der davon betroffen ist. Deshalb kommen so viele. Das ist eine Solidaritätsaktion für die Patienten. Wir haben dieses Jahr bei der „Survivor und Caregiver Tour“ deren Teilnehmer die „Tour d’honneur“ bestreiten, erstmalig über 300 angemeldete Personen. Das hatten wir noch nie. Das sind Krebskranke, die es geschafft haben, und ihre Helfer. Im Jahr davor waren es 160 Teilnehmer.

Das heißt, das Thema verliert nicht an Aktualität?
Nein. Gerade bei der Eröffnung kommt es zu sehr emotionalen Szenen. Das lässt niemanden kalt. Jeder, der das erlebt hat, sagt anschließend: Wenn du einmal da warst, kommst du immer wieder.