Warten auf den erlösenden Anruf

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Eigentlich war es ein Grillfest für die Dialysepatienten des Ettelbrücker Klinikums und dazu die Vernissage einer Wanderausstellung zum Thema „Organspenden“. Es hätte auch mit der Berichterstattung in unserer gestrigen Ausgabe genügt, wäre da nicht die Aussagen der 19-jährigen Michèle Frantz aus Diekirch gewesen. (Aussagen von Michèle Frantz im Originalton zu hören.)

Ettelbrück – Gesundheitsminister Mars di Bartolomeo profitierte von der genannten Vernissage, um erneut die Werbetrommel für Organspenden zu rütteln. In Anwesenheit zahlreicher Ehrengäste, Dialysepatienten und ihren Angehörigen unterschrieben er und weitere Anwesende am Dienstagabend ihren Spenderpass (siehe Kasten).
Viele Redner riefen an diesem Abend erneut die breite Öffentlichkeit zum Organspenden auf. Es waren Reden, wie man sie des Öfteren hört, Reden, die meistens viel zu schnell wieder in Vergessenheit geraten.
Doch plötzlich wurde es sehr ruhig im Versammlungsraum der Ettelbrücker Klinik St. Louis. Den rund 60 Anwesenden stockte der Atem, als die 19-jährige Michèle Frantz aus Diekirch ihr Leben an der Seite eines Dialyseapparates schilderte. Sie sprach für viele. Sie sprach nicht mit vorgehaltener Hand. Sie skizzierte ihr junges Leben, das seit zweieinhalb Jahren von zwölf Stunden Blutwäsche die Woche geprägt ist.
Sie umriss mit deutlichen Worten ein Problem, das allzu oft in der Öffentlichkeit verkannt wird. Deshalb haben wir uns dazu entschieden, mit der Erlaubnis von Michèle, Auszüge aus ihrer Ansprache von Dienstagabend hier wiederzugeben:

Mein Name ist Michèle …

„Ich bin 19 jahre alt und gehe seit 2006 in die Dialyse. Mein Nierenproblem hat eine lange Vorgeschichte: von Geburt an hatte ich Probleme mit der Blase und ich musste in meinen jungen Jahren lange Aufenthalte in einer Klinik in Brüssel sowie mehrere Operationen in Kauf nehmen.
2004 sollte eine Operation alle meine gesundheitlichen Probleme lösen, es sollte endlich die letzte Operation sein und man versprach mir, dass danach alles besser werden würde.
Nach einigen Kontrollen nach der OP kam dann die Ernüchterung: Es habe sich nicht so entwickelt wie geplant, so die Fachleute, da meine Nieren an Funktion verloren hätten und sich auch wohl nie erholen werden. ‚Dat war e Schlag an d’Gesiicht.‘
Wegen der vielen Arzneimittel, die ich einnehmen musste, plagte ich mich zudem noch mit akuten Magenschmerzen herum. Dazu kam der unentwegte Stress, die immer schlechter werdenden Blutwerte und, und, und …
Dann stellten die Ärzte fest, dass meinen Nieren nur noch zu 7% arbeiten würden und die Entscheidung fiel, dass ich in die Dialyse müsste.
Die nächste Operation war angesagt. Man sollte mir die Fistel einsetzen, die für die Dialyse gebraucht wird. Die erste Operation ging schief, also musste ich nochmals unters Messer. Ich kann nur sagen, dass die Schmerzen, die man nach einer solchen OP im Arm hat, unbeschreiblich sind.
Im Alter von nur 17 Jahren erfuhr ich dann meine erste Dialyse, und zwar in Brüssel.

336 Dialysen in 30 Monaten

Seitdem sind zweieinhalb Jahre vergangenen. Zweieinhalb Jahre, das sind 336 Dialysen, das sind 1.344 Stunden, während deren ich an eine Maschine angeschlossen war, das sind ganze 56 Tage oder auch 8 Wochen, die mir verloren gingen.
Sie fragen sich jetzt vielleicht „Warum verloren gegangen?“. Ganz einfach: Wenn ich in der Dialyse bin, kann ich nicht viel tun, ich liege im Bett, kann nicht aufstehen, fühle mich schlecht, zu schlecht um zu lernen, zu lesen … es bleibt lediglich das Schlafen, aber auch das nur, wenn die Schmerzen nicht zu groß sind. Auf diese Weise verliert man dreimal die Woche einen halben Tag.
Mittlerweile gehört die Dialyse zu meinem Leben, das sich aber dadurch sehr verändert hat. Doch nicht nur mein Leben ist anders geworden, sondern auch das meiner ganzen Familie, meiner Bekannten und Freunde.
Man kann nicht mehr tun und lassen, was man will, man kann nicht mehr gehen, wohin man will, man darf nicht mehr essen und trinken, was man möchte.
Ein schwerwiegendes Problem besteht darin, dass mir oft sehr übel wird, dass ich des Öfteren kurzfristig Treffen absagen muss.
Ein weiteres Beispiel ist die Ferienzeit: Wenn Ferien geplant werden, dann muss ich einen Ort aussuchen, an dem ich die Möglichkeit einer Dialyse habe. Um dann in einem ausländischen Dialysezentrum für eine oder zwei Wochen angenommen zu werden, ist eine langwierige Prozedur. ‚An sou eng Vakanzendialyse ass wéi en Iwwerraschungspak, et weess een nämlech meeschtens net, wéi et an där Klinik esou ausgesäit, an net iwwerall ass d’Dialyse esou ewéi hei.‘
Auch mit dem Ausgehen – und das macht man im meinem Alter ja eigentlich gerne – ist das so eine Sache. Mir ist die Lust am Ausgehen vergangen, da mir oft übel wird, wenn ich an Orte komme, wo viele Leute sind bzw. wo es stickig ist. ‚Dat sinn esou Klengegkeeten, déi mech nerven, well wat fir aner banal an normal ass, ass fir mech ustrengend an zimlech kraaftopwändeg.‘

Apropos  Schule

So auch in der Schule. Seit ich Dialysepatient bin, meistere ich die Schule nicht mehr so gut wie vorher. ‚Duerch d’Dialyse ass et mer wéi schon erwähnt oft schlecht, an doduerch fehlen ech ganz oft an der Schoul, ufanks hunn ech dat jo nach gemeeschtert, an ech sinn och komm bis op Première, mee wat ech méi laang an der Dialyse war, waat et fir mech méi schwéier gouf an der Schoul, hunn ëmmer méi gefeelt, an hunn ëmmer méi missen doheem nohuelen, wat mat dräi vu fënnef Schouldeeg, wou ech näischt gemaach kréien, zimlech schwéier war.‘
Dazu kommt dann noch das Unverständnis mancher Professoren und Mitschüler. Es gibt unter ihnen tatsächlich solche, die behaupten, ich käme nur dann zur Schule, wenn ich Lust dazu hätte und dass ich gar nicht so schwer krank sei.
Meine Antwort darauf: Diese Leute können mir gerne einen Besuch in der Dialyse abstatten, damit sie sich ein Bild machen können, was es heißt, Dialyse-Patient zu sein. Bis dato hat mich keiner besucht!
Auch in diesem Jahr habe ich wieder alles Mögliche gegeben, ich wollte doch unbedingt mein Abitur schaffen. Ich bin des Öfteren bis hart an die Grenze des Erträglichen gegangen, und doch …
Als die Resultate in meiner Schule ausgehängt wurden, fand ich meinen Namen nicht unter denen, die es geschafft hatten. Ein herber Schlag, und ich konnte erneut von Glück reden, dass ich um mich herum eine tolle Familie und einen verständnisvollen Freund habe, die mich unterstützen und in solchen Situationen wieder aufrichten.

Seit 18 Monaten auf  der Warteliste

Ich möchte hiermit ganz eindringlich darauf hinweisen, wie wenig die breite Öffentlichkeit über Themen wie z.B. Niereninsuffizienz, Dialyse oder Organtransplantationen zu wissen scheint und dass gegenüber Betroffenen noch immer, trotz vieler Aufklärungskampagnen, großes Unverständnis vorherrscht.
Mich hat kürzlich jemand gefragt, wie oft ich denn noch zur Dialyse gehen müsste. ‚Léiw Leit, an d’Dialyse ze goen ass net wéi e puer Rendez-vouen beim Kiné! An d’Dialyse geet een sou laang bis een eng Alternativ huet, an do gëtt et nëmmen eng: d’Transplantatioun!‘
Ich stehe jetzt seit anderthalb Jahren auf der Warteliste für eine Nierentransplantation. Ich warte wie viele andere auf ein Spenderorgan, ich warte wie viele andere auf den alles entscheidenden Telefonanruf.
‚Zesummegefaasst kann ech soen, dass d’Liewen mat der Dialyse alles anescht wéi einfach ass, an wann ee mech freet, wéi geet et der dann, äntweren ech „Gudd ass eppes anescht“, mä wann et keng Dialyse géif ginn, wier ech wuel längst net méi do!
An dofir sinn ech frou, dat et awer sou eppes gëtt, an wéi meng Boma mer ëmmer sot Et muss een dat Bescht aus dem Schlechten raushuelen, an sou ass et och, a wee weess, vläicht muss ech iergendwann net méi an d’Dialyse kommen …“

Um die Aussagen von Michèle Frantz im Originalton auf unserer Internet-Seite www.tageblatt.lu abzuhören, brauchen Sie nur auf den Link zu klicken.