Luxemburgs einzige Pflegestation für Wildtiere geht neue Wege

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Das „Centre de soins pour la faune sauvage“ ist die einzige Pflegestation für Wildtiere in Luxemburg.  Seit vier Monaten arbeitet der neue Direktor Raf Stassen an Konzepten, um die Einrichtung fit für die Zukunft zu machen. Der belgische Umweltaktivist hat internationale Erfahrung und klare Vorstellungen.

Auf dem Weg zum Büro kommt „Billy“ angeflogen. Ganz selbstverständlich lässt er sich auf der Schulter von Raf Stassen nieder und versucht, an dessen Ohr zu knabbern. Der kleine Papagei ist ein Neuzugang im „Centre de soins“. Die Mitarbeiter haben ihn auf den Namen getauft, nachdem er in einer Schule in Esch gefunden und nach Düdelingen gebracht wurde. „Wir suchen den Besitzer“, sagt Stassen. Sollte der nicht gefunden werden, wird der Vogel zur Adoption freigegeben. Währenddessen laufen einen Stock tiefer die Vorbereitungen zur Fütterung. Rund 350 Tiere sind an diesem Tag in den Gehegen der Anlage, die Zahl schwankt ständig. Das Futter verbreitet einen strengen Geruch. Alltag im „Centre“.

Im Büro von Stassen angekommen, fällt sofort das Insektenhotel auf. In dem Holzkasten mit den vielen Röhrchen zum Hineinschlüpfen sollen sich Insekten ansiedeln. Ihr Rückgang und die Folgen für die Umwelt werden gerade viel diskutiert. Der kleine Kasten ist eine Maßnahme dagegen – in Privatgärten wie in großen kommunalen oder staatlichen Anlagen. Wo er dann sinnvollerweise hängt und was der Mensch sonst noch in seinem unmittelbaren Umfeld gegen das Insektensterben tun kann: Anregungen wie diese im Sinne der Umwelterziehung und -bildung sollen zukünftig verstärkt vom „Centre“ kommen. Der Grund ist einfach. „Insekten sind die Nahrungsgrundlage für viele andere Arten“, sagt Stassen. Das ist aber nur eine Facette der Aufgaben, die vor ihm liegen. Er hat einen Berg vor sich.

Nach 30 Jahren Bestehen will sich die Pflegestation auf den Weg machen, professioneller zu werden. Das empfiehlt sich vor allem in einem Umfeld, das ohne Freiwilligenarbeit nicht auskommt. Bis 2015 funktionierte die Anlage fast ausschließlich über das Ehrenamt. Mittlerweile gibt es acht festangestellte Mitarbeiter. Auch sie reichen nicht für das tägliche Pensum. „Manche Vögel, die hier landen, müssen täglich jede halbe Stunde von Hand gefüttert werden“, sagt Stassen.

Unrealistische Vorstellungen zur Arbeit

An mangelndem Interesse von Freiwilligen liegt es nicht, vielmehr herrschen oft unrealistische Vorstellungen über die Arbeit vor. „Wir haben verletzte, schwache und verwaiste Tiere hier, manchmal kriegen wir sie auch nicht durch und sie sterben“, sagt Stassen. Das zu verdauen, ist nicht jedermanns Sache. Hinzu kommt: „Es liegt einfach nicht jedem, Käfige, Stallungen oder Volieren vom Mist der Tiere zu befreien.“

Es gibt aber noch andere Aufgaben wie der Transport der Tiere. „Viele wissen einfach immer noch nicht, dass es uns gibt“, sagt er, „und oft gibt es ein Problem des Transports.“ Das Zentrum besser bekannt zu machen, ist das eine. Dafür zu sorgen, dass die Tiere nicht zu spät oder gar nicht in Düdelingen ankommen, ist das andere. Stassen erwägt, Freiwillige, die nicht unmittelbar mit den Tieren arbeiten, sich aber für Tierschutz engagieren wollen, dafür anzusprechen. Ein landesweites Transportnetz ins „Centre de soins“ soll entstehen.

Außerdem gibt es schon Partner, die das vielleicht noch gar nicht so sehen. Rettungskräfte und Feuerwehr finden oft verletzte Tiere bei ihrer täglichen Arbeit. Stassen strebt eine enge Zusammenarbeit an. Dann werden allerdings noch mehr Tiere kommen. „Das ist unsere Rolle“, sagt Stassen, „dafür sind wir da. Wir sind die einzige Station im Land bis weit in die Großregion hinein.“

Vorerst sieht der neue Direktor sich und das Zentrum aber einem Finanzloch von 65.000 Euro gegenüber. Rund 400.000 Euro beträgt das Budget für 2018. Die beteiligten Ministerien, das für Umwelt und das für Landwirtschaft, steuern 26 Prozent bei. Der Rest kommt von Spendern.

Fundraising wichtiger Punkt

Der Träger „natur&ëmwelt“ hilft zwar aus, wo es geht, zur Gewohnheit soll das aber nicht werden. „Wir können hier nur überleben, wenn mehr Menschen unsere Arbeit unterstützen“, sagt Stassen. Sponsoring mit Material soll das „Fundraising“ ergänzen. Das wird umso wichtiger, wenn die Anlage sich mithilfe der Gemeinde Düdelingen um knapp 100 zusätzliche Are vergrößern wird. „Wir haben Tiere hier, die ihre Muskeln in viel größeren Gehegen trainieren müssen, bevor wir sie in die Freiheit entlassen“, sagt Stassen und ist damit gleich bei der nächsten Herausforderung.

Wie die Tiere anschließend in der Freiheit zurechtkommen, ob sie überleben und Nachkommen haben, diese wissenschaftliche Nachverfolgung ist in den Augen des neuen Direktors überaus wichtig. „Zurück in die Freiheit“ ist das Ziel aller Bemühungen im „Centre“. An der Notwendigkeit einer solchen Einrichtung lässt Stassen keinen Zweifel aufkommen. Das hat auch eine menschlich-moralische Komponente. „Durch die Urbanisierung, den Ausbau der Verkehrsstraßen und den dadurch verursachten Mangel an Nahrung haben wir so viele Tiere in Not, dass diese Station unbedingt notwendig ist“, sagt Stassen. Die menschlichen Eingriffe werden aller Wahrscheinlichkeit nach sogar noch zunehmen. Luxemburg will wachsen.


Kurzbiographie

Der neue Direktor Raf Stassen wurde im belgischen Tongeren geboren. Der 40-Jährige stammt aus einer mit der Landwirtschaft verbundenen Familie. Schon im Alter von zwölf Jahren engagierte er sich bei Freiwilligenorganisationen in Belgien für den Umweltschutz. In seiner Diplomarbeit beschäftigte er sich als angehender Historiker mit den Auswirkungen der europäischen Kolonialisierung in Südamerika und baute später Bildungs- und Dokumentationszentren für bedrohte Naturvölker in Bolivien auf. Von den insgesamt zwölf Jahren in Südamerika verbrachte er die letzten sechs damit, die Tätigkeiten der belgischen NGOs mit denen der Partner vor Ort zu koordinieren und Konzepte dazu auszuarbeiten. Danach leitete er knapp sechs Jahre lang den Naturpark Zuid Hageland.