Freie Bahn für Killerzellen

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Das Immunsystem des Körpers wehrt Tag für Tag Gefahren für die Gesundheit ab. Mit bösartigen Tumoren aber kommt es nicht zurecht. Im Oktober veröffentlichten Forscher aus Luxemburg und Frankreich eine Arbeit, die beschreibt, wie Mediziner dem Immunsystem bei seiner Arbeit unter die Arme greifen können. Wir unterhielten uns mit Bassam Janji vom Luxembourg Institute of Health über die Ergebnisse und die Forschung in Luxemburg.

Von Yves Greis

Tageblatt: Was ist eigentlich ein Tumor?
Bassam Janji: Ein Tumor ist mehr als nur ein Haufen Tumorzellen. Es ist weitaus komplizierter. Ein Tumor gleicht regelrecht einem Organ. Ein Tumor besteht auch aus Immunzellen, normalen Zellen, Blutgefäßen, Lymphgefäßen usw.

Warum kann sich der Körper nicht selbst von dem Tumor befreien?
Das Immunsystem des Körpers ist sehr wirksam im Kampf gegen Bakterien und Infektionen. Die Frage, warum das Immunsystem einen Tumor nicht entfernen kann, drängt sich auf. Tumorzellen entwickeln Strategien, die es ihnen erlauben, sich der Kontrolle der Immunzellen zu entziehen. Heute kennen wir diese Strategien sehr gut und können dagegen vorgehen.

In Ihrer Arbeit schreiben Sie über die sogenannten natürliche Killerzellen. Worum handelt es sich dabei?
Diese natürlichen Killerzellen sind eine Unterart der Immunzellen. Sie können gegen Bakterien, Infektionen oder auch Fremdkörper vorgehen. Sie sind auch in den Abbau von Krebszellen eingebunden.

Also besitzt der Körper bereits einen Mechanismus, um den Krebs zu bekämpfen?
Ja. Leider entziehen sich die Krebszellen diesem Mechanismus. Heute wird nun viel von Immuntherapie gesprochen. Dabei soll das Immunsystem auf Trab gebracht werden, um die Krebszellen doch anzugreifen. Wir kennen die Chemotherapie, die Strahlentherapie und eben die Immuntherapie. Die Immuntherapie funktioniert unglaublich gut.

Was heißt das, das Immunsystem auf Trab bringen?
Eine Immunzelle kann, wenn sie eine Krebszelle findet, zytotoxische Stoffe in diese Zelle spritzen, um sie zu zerstören. Bösartige Tumorzellen können an ihrer Oberfläche Rezeptoren ausbilden, die eine Immunzelle erkennen und blockieren können. Die Immuntherapie blockiert diese Rezeptoren mit Antikörpern. Jetzt können die Immunzellen wieder aktiv werden.

Nun gibt es allerdings Tumore, in die die Immunzellen nicht eindringen können. Wenn ich sage, dass die Immuntherapie unglaublich gut funktioniert, setzt das aber voraus, dass die Immunzellen in den Tumor eindringen können. Wenn das nicht gegeben ist, dann reichen auch alle Antikörper der Welt nicht aus. Erst muss man also die Immunzellen in den Tumor schleusen, bevor man eine Immuntherapie anwenden kann.

Wie gelingt es, diese Immunzellen in den Tumor zu befördern?
Das war das Thema unserer Veröffentlichung. Uns ist es gelungen, die natürlichen Killerzellen in den Tumor zu schleusen.

Wie funktioniert das?
Wir sind von einem einfachen Prinzip ausgegangen. Wir haben sehr genau studiert, was in einer Krebszelle vor sich geht und haben festgestellt, dass die Krebszelle ein Verteidigungssystem aufbaut: die Autophagie. Diese Autophagie haben wir blockiert und dann überprüft, ob nun mehr Immunzellen in den Tumor eindringen. Wir stellen fest, dass nun viel mehr natürliche Killerzellen in den so behandelten Tumor eindringen.
Die Autophagie ist ein ganz normaler Prozess im Körper. Aber in den Tumorzellen ist dieser Vorgang verstärkt vorhanden. Die Abwehrmechanismen des Körpers üben einen Stress auf die Krebszellen aus, deshalb entledigen sie sich so aller Proteine, die sie nicht brauchen, um in diesem stressigen Umfeld zu überleben.

Das heißt, die Krebszelle wird effizienter?
Sie kämpft und sie gewinnt den Kampf. So lange, bis wir die Autophagie blockieren. Dann steigt die Zahl der natürlichen Killerzellen im Tumor.

Ihre Arbeit wurde im Oktober veröffentlicht. Wie viel Zeit wird vergehen, bis man so Patienten behandeln kann?
Die Forschung, die wir hier machen, beginnen wir mit Zellkulturen (in vitro). Die nächste Etappe sind Tiere – in diesem Fall haben wir Mäuse verwendet. Solche Studien nennt man präklinische Studien. So validieren wir bestimmte Hypothesen. In unserem Fall, dass das Ausschalten der Autophagie zu verstärktem Eindringen von Killerzellen führt. Danach müssen klinische Studien gemacht werden. Die Tests müssen in einem komplexeren Kontext – beim Menschen – getestet werden. Wir müssen zeigen, dass unser Konzept funktioniert, damit es angewandt wird.

Werden diese klinischen Studien auch hier gemacht werden?
Nein. Wir werden Partner in der Industrie suchen, um zu versuchen, dieses Konzept zu validieren.

Wie viel Zeit vergeht in der Regel zwischen diesen präklinischen Studien und dem Einsatz?
Das braucht sehr viel Zeit. Gut zehn Jahre. Das ist ein sehr komplexer Prozess. Es kann sein, dass ein Konzept bei Mäusen funktioniert, aber nicht beim Menschen. Es gibt sehr viele Parameter, auf die Rücksicht genommen werden muss. Allerdings glaube ich, dass unsere Ergebnisse sehr vielversprechend sind und den Patienten sehr viele Vorteile bringen.

In den Wissenschaften gibt es das Konzept der Peer-Review. Wie kam Ihre Arbeit bei Ihren Kollegen an?
Peer-Review bedeutet, dass unsere Ergebnisse von der wissenschaftlichen Gemeinschaft geprüft werden und dann in einer wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlicht werden oder auch nicht. Wir konnten unsere Ergebnisse in einer sehr renommierten Zeitschrift veröffentlichen – der PNAS (Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America; Ausgabe 114/44). Von dem Zeitpunkt, als wir den Artikel eingereicht haben, bis zur Publikation sind immerhin sechs Monate vergangen, in denen die Arbeit genau unter die Lupe genommen wurde.

Sie haben von den unterschiedlichen Therapien gesprochen. Sind diese Therapien in der Regel komplementär oder werden sie einzeln eingesetzt?
Die Immuntherapie kann mit andern Therapien wie der Chemotherapie oder der Strahlentherapie kombiniert werden, um den Wirkungsgrad zu erhöhen. Es ist sehr selten, dass nur eine Therapie eingesetzt wird. Außerdem kann man bei der Immuntherapie mehrere Antikörper kombinieren.

In Ihrer Arbeit haben Sie Hautkrebs untersucht. Lassen sich Ihre Ergebnisse auf andere Krebsarten übertragen?
Natürlich. Diese Studie wurde an Melanomen, also Hautkrebs, durchgeführt. Das ist eine der aggressivsten Krebsarten. Sie entwickelt sich sehr schnell. Aber im Moment weiten wir die Studie auf andere Krebsarten aus: Brustkrebs und Lungenkrebs.

Haben Sie noch weitere Pläne?
Wie ich sagte, gibt es mehrere Unterarten von Immunzellen, neben den natürlichen Killerzellen. Nun wollen wir herausfinden, ob das Unterdrücken der Autophagie es auch anderen Arten von Immunzellen erlaubt, in den Tumor einzudringen oder nur den natürlichen Killerzellen.

Sie sprachen von Versuchen an Mäusen. Tierversuche stehen heute in der Kritik. Wie ist Ihre Position?
Alle Studien, die wir an Tieren durchführen, unterliegen sehr strengen Regeln. Bevor wir irgendetwas machen, reichen wir ein Dossier ein, das sehr aufwendig ist, um die Genehmigung des Ministers zu erhalten. Es gibt einen sehr strengen Rahmen und europäische Gesetze, die Tierversuche regeln. Meiner Erfahrung nach ist Luxemburg sehr erpicht darauf, die europäischen Gesetze bis auf das letzte Komma anzuwenden. D.h. wir dürfen nicht einfach irgendwas machen. Alles ist streng geregelt und es gibt sehr rigorose Kontrollen des Ministeriums. Am LIH haben wir außerdem eine Kommission, die diese Experimente täglich überprüft.

Sie sagten, dass Erkenntnisse die Sie bei Mäusen gewinnen, nicht immer auf den Menschen übertragbar sind. Gibt es keine besseren Methoden? Sind diese Tierversuche tatsächlich notwendig aus Ihrer Sicht?
Als Erstes testen wir an Tumorzellen. Und nur wenn wir hier ein ermutigendes Ergebnis erzielen, gehen wir zu einem komplizierteren System, wie einer Maus, über. Wir werden natürlich nicht sofort alle Tests an Mäusen machen.

Ist Luxemburg ein guter Ort, um Forschung zu betreiben?
Die Forschung in Luxemburg wird immer interessanter. In Luxemburg wird sehr gute Forschung betrieben. Natürlich haben die umherliegenden Länder wie Deutschland, Belgien, England und Frankreich eine sehr viel ältere Forschungskultur als Luxemburg. In Luxemburg tut sich aber im Moment viel und das Land produziert Publikationen von sehr guter Qualität. Für mich ist es ein exzellentes Umfeld, um Forschung zu betreiben.

Forschung braucht viel Geld. Gibt es dieses Geld in Luxemburg?
Es gibt einen immer stärkeren Wettbewerb darum. Vor einigen Jahren war es relativ leicht, eine Finanzierung zu erhalten. Heute wird es immer komplizierter. Die besten profitieren von den Geldern.

Das muss nicht unbedingt etwas Schlechtes sein.
Nein. Es ist ein Ansporn, Forschung auf einem sehr hohen Niveau zu machen.