Fotovoltaik: Wie groß ist das Potenzial wirklich?

Fotovoltaik: Wie groß ist das Potenzial wirklich?

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Seit nunmehr elf Jahren leitet Susanne Siebentritt das Labor für Fotovoltaik in der Physik und Materialforschungseinheit der Universität Luxemburg. Dem Tageblatt erklärte die Expertin, warum Solarzellen überlebenswichtig für die Menschheit sind und wie es um die Wirtschaftlichkeit der Technik steht.

Tageblatt: Was ist die Bedeutung der Solarindustrie in der Welt?
Susanne Siebentritt: Weltweit steht die Fotovoltaik für zwei Prozent der Stromproduktion. Das ist noch wenig, aber es entwickelt sich ganz schnell. Vor zwei Jahren waren wir erst bei einem Prozent. Und als ich Ende der 1980er im Bereich angefangen hatte, da war es nur etwas für Ökospinner.

Die Produktion und die Installation neuer Anlagen wächst. Letztes Jahr wurde eine Kapazität von 100 Gigawatt (GW) neu installiert. Im Vorjahr waren es 70 GW – und in dem davor 50 GW. Jetzt sind wir nur noch 1.000 Prozent von dem entfernt, wo wir hinwollen.
Traurig ist jedoch, dass Europa derzeit abgehängt wird. Von den 100 GW, die im vergangenen Jahr neu installiert wurden, entfielen nur sechs auf Europa. Der Löwenanteil der neuen Kapazität (50 Prozent) wurde in China installiert.

Bei Windanlagen soll die Schwelle der Wirtschaftlichkeit bereits erreicht sein. Wie sieht das bei Solaranlagen aus?
Lange Zeit war Solarstrom sehr teuer. Erst in den letzten fünf bis sieben Jahren ist der Preis dramatisch gefallen. Und auch wenn man sich oft über China beklagen kann – diese Preisentwicklung ist China zu verdanken. Dort wurde viel produziert –und das setzte die Hersteller im Rest der Welt unter Druck. Die Preise fielen.

… und im Vergleich zu anderen Formen der Stromgewinnung?
Wenn man sich neue Kraftwerke anschaut, dann ist die Fotovoltaik (wie auch die Windenergie) die billigste Form der Energiegewinnung. Dies gilt auch für Europa und Luxemburg. Beide sind günstiger als der Bau eines neuen Kohle- oder Gaskraftwerks – von Atomkraftwerken ganz zu schweigen.

Vergleicht man jedoch die Solarenergie mit (buchhalterisch) bereits abgeschriebenen Kraftwerken, dann ist sie natürlich teurer. Gilt noch zu erwähnen, dass es jedes Mal großes Geschrei gibt, wenn über Zuschüsse für die Solarindustrie geredet wird. Die Subventionen für die Nuklearindustrie hingegen interessieren niemanden. Generell werden an Erneuerbare viel strengere Maßstäbe angelegt.

Wie meinen Sie das? Ein Beispiel?
In Luxemburg ist man am Überlegen, ob besondere Nachweise der Umweltverträglichkeit der Hersteller eingefordert werden sollen. Das ist nicht fair. Bei Uran, Kohle oder Öl wird das nicht gefordert.
Bei dem Bestreben, die Dinge perfekt zu machen, soll man aufpassen, dass man sie nicht ausbremst … und somit dem Schmutz einen Vorteil bietet.

Warum wird Europa abgehängt?
Das ist eine gute Frage. Es sind wohl Unsicherheiten bei der Reglementierung, welche Investoren abhalten. Dass die Wirtschaft Interesse hat, zeigt sich dadurch, dass sich bei Ausschreibungen (in Deutschland und rezent auch in Luxemburg) viele Firmen beteiligen. Jedoch gibt es in Europa viele alte Kraftwerke – wie etwa Cattenom – die bereits seit langem abgezahlt sind. Und wer schon ein Kraftwerk hat, für den ist es attraktiver, dieses weiterlaufen zu lassen.

Und wie sieht es mit Luxemburg aus?
Das ist nicht viel. Insgesamt produzieren wir ja nur 2 bis 4 Prozent unseres Stroms selber.

In den Medien ist regelmäßig von neuen Fortschritten der Technik zu lesen: Solarstrom aus Straßen, Fenstern … Das klingt nach einer sonnigen Zukunft.
Das halte ich nicht für sinnvoll. Das Ziel eines Fensters ist es, Licht in einen Raum zu lassen. Um das Licht in Strom zu verwandeln, müsste es jedoch absorbiert werden. Es stellt sich die Frage, ob sich dieser Aufwand lohnt. Ich halte es für sinnvoller, die Flächen zwischen den Fenstern mit Solarzellen zu füllen.

Und was Solarstrom aus der Straße angeht … Es ist ein Riesenaufwand, die nutzbar zu machen – und auch um darauf fahren zu können. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das irgendwann wirtschaftlich lohnen könnte. Wir haben noch so viele Flächen zur Verfügung (Dächer, Mauern), wo wir ohne großen Aufwand Solarzellen anbringen könnten. Wenn wir das alles nutzen würden …

… und doch schreitet die Technik voran?
Die meisten Solarzellen basieren derzeit auf Silizium. Da passiert zwar sehr viel, aber es ist nicht spektakulär. Jedes Jahr wird der Wirkungsgrad der Solarzellen (wie viel Strom aus dem eintreffenden Licht gemacht wird, Anm. d. Red.) um 0,5 bis 1 Prozentpunkt besser. Das ist die Standardtechnik.

Neu hinzu kommen nun Dünnfilm-Solarzellen. Daran forschen wir auch hier an der Uni. Diese basieren nicht mehr auf Silizium und sind in vielerlei Hinsicht flexibler, auch mechanisch. Sie sind dünn und günstiger bei der Herstellung. Es wird weniger Material und weniger Energie benötigt. Zudem ist ihre Farbe homogen schwarz. Sie können also besser (und ästhetischer) in Gebäude integriert werden als die bisherigen.

Warum dauert es so lange, bis die technologischen Fortschritte, über die man liest, auch in Wirklichkeit umgesetzt werden?
Zum Teil handelt es sich um neue Entwicklungen in der Forschung, die sich so nicht wirtschaftlich umsetzen lassen. Aber in der Forschung müssen wir immer wieder Neues ausprobieren. Viele Wege müssen getestet werden, um dann den richtigen zu finden.

In Luxemburg hat Wirtschaftsminister Etienne Schneider vor kurzem ein neues Gesetz zum Thema Solarproduktion vorgestellt. Was halten Sie von dem Gesetz?
Im Rahmen dieses Gesetzes fällt die Steuer auf dem Eigenverbrauch weg. Zudem kann man sich für die Produktion mit den Nachbarn zusammenschließen. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung – hin zu einer dezentralen Energieversorgung. Jeder soll seinen eigenen Strom herstellen können.

Ich würde mir jedoch mehr wünschen. Im Idealfall sollte Fotovoltaik in jedes neue Gebäude mit integriert werden. Oder die Bebauungspläne könnten große, nach Süden ausgerichtete Fassaden vorsehen. Zur guten Nutzung der Sonne.

Wie viel Potenzial gibt es überhaupt in Luxemburg für die Herstellung von Solarstrom?
Um unseren derzeitigen Stromverbrauch abzudecken, müsste man eine Fläche von 1,3 Prozent des Landes mit Solarzellen bedecken. Das ist in etwa zehnmal die Fläche des Findel. Man könnte den Eigenverbrauch also abdecken. Wenn langfristig der Verbrauch zulegt – es steigt auch der Wirkungsgrad (heute 20 Prozent) der Solarzellen.

Werden wir irgendwann den Aufbau einer neuen Fabrik, eines neuen Start-ups, mit neuesten Erkenntnissen der Universität sehen?
Es dauert lange, bis aus Forschung Produktion entstehen kann. Auch gilt es, einen Investor zu finden. Zudem kann man keine kleine Solarzellen-Fabrik bauen. Sonst kann man mit den Preisen auf dem Weltmarkt nicht mithalten. Zudem ist so eine Fabrik sehr teuer. Und auf etwas neues zu setzen, ist immer mit Risiken verbunden – deshalb dauert es so lange, bis Forschungsergebnisse in der Produktion umgesetzt werden.
Wir hier an der Uni (ein Team von 15 Leuten) konzentrieren uns darauf, die Solarzellen zu verstehen – es ist eher Grundlagenforschung. Wir arbeiten aber auch an neuen Technologien, bei denen wir unsere Erkenntnisse anwenden können. Außer meinem Team gibt es noch zwei Forschungsgruppen an der Uni, die an Solarzellenforschung arbeiten: Prof. Phillip Dale und Prof. Alex Redinger. Eine Solarzellenfabrik in Luxemburg, das ist etwas, von dem wir alle träumen.

Doch auch die Solarindustrie bleibt nicht ohne Auswirkung auf die Umwelt …
Die Herstellung von Energie (egal welche Form) hat immer Folgen auf die Umwelt und verändert die Landschaft. Die Windenergie benötigt Stahl und die Solarindustrie Silizium, welches mittels eines chemischen Prozesses aus Sand hergestellt wird. Das alles benötigt Umweltstandards – sonst wird es eine Riesensauerei.

Man muss sich aber immer die Alternativen anschauen: Wie viel Gift kommt aus einem Kohlekraftwerk? Was sind die Folgen vom Uran-Abbau im Niger? Damit bleibt die Solarindustrie ganz klar das kleinere Übel. Und wenn wir keine „Übel“ wollen, dann müssen wir das Licht und das Telefon ausschalten.

Manche Kritiker behaupten, die Herstellung von Solarzellen verbrauche mehr CO2, als schlussendlich CO2-Einsparungen dabei herauskämen …
Natürlich benötigt man Energie für die Herstellung. Und gerade in China wird ein Energie-Mix benutzt, in dem es viel Kohle gibt. Trotzdem verursachen die Solarzellen immer noch 20-mal weniger CO2-Ausstöße als etwa Gaskraftwerke, 40-mal weniger als Kohlekraftwerke und sogar weniger als Atomkraftwerke.

Im Jahr 2011 wurden diesbezüglich Rechnungen zur „Energierückzahlzeit“ angestellt. Man kam zu der Schlussfolgerung, dass Solarzellen in Ländern wie Luxemburg 14 Monate bis drei Jahre brauchen, um CO2-neutral zu werden. In Südeuropa nimmt dies nur die Hälfte der Zeit in Anspruch. Die Solarzellen „leben“ aber 30 Jahre lang. Die heutigen Solarzellen sind besser als die von 2011. Dieses Gerücht gibt es seit 30 Jahren und es war schon damals falsch.

Wie haltbar sind Solarzellen? Was passiert damit, wenn sie kaputt sind?
Derzeit geben die Hersteller eine Garantie von 25 bis 30 Jahren auf ihre Produkte. In der Branche wird diskutiert, ob diese Garantie auf 40 Jahre ausgeweitet werden soll. Man kann Solarzellen lange laufen lassen – die, die in den 70ern installiert wurden, funktionieren auch heute noch. Kaputte Solarzellen werden recycelt. Die Branche hat aber ein Problem: Es gibt derzeit nichts zu recyceln. Es geht noch nicht viel kaputt. In 20 bis 30 Jahren wird das anders sein.

Wird die Menschheit den Umschwung auf erneuerbare Energien schaffen?
Ich bin der Meinung, dass die Menschheit es entweder schafft, auf Erneuerbare (wesentlich Solarenergie) umzusteigen oder die Gesellschaft wird nicht mehr so sein, wie sie heute ist. Wir verbrauchen enorm viel Energie.

Der Klimawandel wird die Gesellschaft zerstören. Das, was man heute sieht, die Stürme und Überschwemmungen von Inseln im Pazifik, das ist nur Pipifax. Europa ist an einer Million Flüchtlingen aus Syrien fast zerbrochen … Was passiert, wenn 100 Millionen Klima-Flüchtlinge Bangladesch verlassen? Schlussendlich bin ich mir nicht sicher, ob die Menschheit es schaffen wird. Ich hoffe aber, dass wir schnell genug sein werden.

Was kann die luxemburgische Regierung noch tun, um den Bereich zu fördern?
Mehr installieren, mehr benutzen, sich auf EU-Ebene für ambitioniertere Ziele einsetzen …