Die Schattenseiten der Hauptstadt

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In der Nacht vom vergangenen Freitag auf Samstag war es eher ruhig im Bahnhofsviertel. Es gab keinen außergewöhnlichen Einsatz, sondern lediglich einzelne Schlägereien und Routinekontrollen.

Um 21.00 Uhr beginnt die Nachtschicht der Polizisten im Bahnhofsviertel. Insgesamt sind 30 Polizeibeamte im Kommissariat, das sich im Bahnhofsgebäude befindet, tätig. Sie werden in drei Schichten eingeteilt. Das Tageblatt hat die Möglichkeit, Pierre und Christophe von der Gruppe „Gare 12“ eine Nacht lang zu begleiten.

Gegen 21.30 Uhr, nachdem geklärt wurde, was während der Mittagsschicht anstand, verlassen die zwei Beamten das Büro und drehen die erste Runde. Die Arbeit der Polizisten besteht vor allem darin, die Sicherheit im Bahnhofsviertel zu gewährleisten. Sie sind unter anderem mit Handschellen, einem Schlagstock, einer Waffe und mit Pfefferspray ausgerüstet.

Zehn Kilo Ausrüstung

Zusammen mit der schusssicheren Weste wiegt die gesamte Ausrüstung rund zehn Kilogramm. „Das ist nicht immer einfach, vor allem im Sommer, wenn es drückend heiß ist. Denn auch bei hohen Temperaturen tragen wir keine kurzen Ärmel. So sind wir besser vor Beißattacken geschützt“, erklärt Pierre. Die schusssichere Weste wiegt rund zwei Kilogramm, nach knappen neun Stunden ist man froh, wieder normale Kleidung tragen zu dürfen. Dies durfte ich hautnah miterleben, denn während der gesamten Schicht trug ich eine solche Weste.

Die Fußpatrouille geht zu Beginn durch die rue Mercier, wo die Beamten die Identität von zwei Prostituierten kontrollieren und sich über Funk bei der Zentrale erkundigen. „Eine reine Routinearbeit, die aber wichtig für die Sicherheit der Damen ist. Im Viertel begegnen wir regelmäßig denselben Leuten, wir kennen die meisten aus der Szene – ob dies nun Prostituierte oder Drogenabhängige sind“, sagt Christophe.

Als wären wir vom Kundendienst

Der Weg geht weiter in Richtung rue de Strasbourg. Bei drei Jugendlichen, die in einer Garageneinfahrt stehen, besteht Verdacht auf Drogenbesitz. Außerdem machen die Beamten sie darauf aufmerksam, dass sie sich dort nicht aufhalten dürfen. Anschließend werden ihre Personalien überprüft. Eines der Mädchen ist 1997 geboren.

„Nichts Ungewöhnliches in der Szene. Die Abhängigen sind noch sehr jung und wissen einfach keinen Ausweg mehr. Solange sich niemand aggressiv verhält, kommen wir alle sehr gut miteinander klar. Sie geben uns manchmal Tipps darüber, wo sich welcher Dealer aufhält“, sagt Pierre. „Ab und an kommen wir uns sogar vor, als wären wir vom Kundendienst, wenn ein Drogenabhängiger sich über die Qualität des Rauschgifts beschwert“, fügt Christophe hinzu.

Zahlreiche Personenkontrollen werden in der Nacht durchgeführt. Vor allem bei Jugendlichen, die durch die Straßen ziehen. Es gilt immer folgendes Prinzip: Die kontrollierten Personen müssen die Hände aus den Taschen nehmen. „Dort könnten sie nämlich ein Messer oder ähnliches verstecken. Oft kommt es vor, dass unserer Aufforderung nicht nachgekommen wird, dann müssen wir den Ton etwas verschärfen. Auch die Provokationen von einzelnen Personen sind nicht zu unterschätzen“, so Pierre. Nach rund zwei Stunden geht es wieder in Richtung Kommissariat. Dort wird eingetragen, wer alles kontrolliert wurde.

Totale Verwüstung im „Squat“

Über Polizeifunk kommt gegen 1.00 Uhr die Meldung, dass es in der avenue de la Gare eine Schlägerei gibt. Die beiden Beamten machen sich sofort auf den Weg. Falscher Alarm, wie sich danach herausstellt. Nur eine Bande, die sich eine hitzige Diskussion lieferte, ohne dass die Situation eskalierte.

Mit dem Polizeiwagen wird die Schicht fortgesetzt. In der rue de Prague wird anschließend ein „Squat“ durchsucht. Dort, wo einst die „Division de l’inspection sanitaire“ ihren Sitz hatte, halten sich nun hin und wieder Obdachlose und Drogenabhängige auf. Im Inneren der Lagerhalle, die sich hinter dem Gebäude befindet, herrscht totale Verwüstung. Ein abgebranntes Auto ist dort abgestellt und auf den ersten Blick ist zu erkennen, dass sich hier Drogenabhängige aufhalten. In manchen Ecken liegen Spritzen herum. In den ehemaligen Büros bietet sich das gleiche Bild. Beim Betreten laufen Mäuse weg. Der Geruch: eine Mischung aus Fäkalien und verdorbenen Lebensmitteln. In den oberen Stockwerken sind volle Bierdosen vorzufinden.

„Bis vor kurzem haben sich hier noch Leute aufgehalten“, sagen die Polizeibeamten. In dem „Squat“ ist aber niemand vorzufinden. Dann geht es wieder zurück zum Wagen, in dem ständig der Polizeifunk läuft. Die Beamten sind somit jederzeit auf dem Laufenden darüber, was sich in der Oberstadt abspielt. „Unsere Arbeit wurde im Laufe der Jahre nicht einfacher. Immer öfter gibt es Angriffe, die gegen uns gerichtet sind“, erklärt Christophe.

Sprint mitten in der Nacht

Gegen 2.00 Uhr geht es erneut zum Kommissariat, um sich eine kleine Pause zu gönnen. Die Patrouille wird anschließend zu Fuß fortgesetzt. Immer wieder geht es durch die rue de Strasbourg und die rue du Fort Neipperg.

Um 2.40 Uhr werden die Beamten über Funk alarmiert, dass es eine Auseinandersetzung in der rue de Strasbourg gibt. Im Sprint geht es von der place de la Gare in Richtung rue de Strasbourg. Es gibt eine Schlägerei zwischen zwei Männern. Vor Ort herrscht Hektik, doch schnell stellt sich heraus, dass es nicht so schlimm ist wie zuvor angenommen. „Zusammen mit den anderen Beamten bilden wir ein Team und greifen auch ein, wenn unsere Hilfe benötigt wird“, sagt Christophe. Mit dem Einsatzwagen geht die Nacht weiter, immer wieder werden dieselben Straßen abgefahren.

In der rue de Strasbourg erklärt ein Mann den Polizisten, dass er einer Frau Geld gegeben hat, um „Küsse“ zu erhalten. „Sie hat mir das Geld geklaut, denn ich habe nichts im Gegenzug erhalten“, meint er. Die Polizisten erklären ihm daraufhin, dass die Frau keineswegs das Geld gestohlen habe, denn er habe es ihr schließlich freiwillig gegeben. Der Mann ist daraufhin sichtlich enttäuscht, denn das Geld ist nun weg und er hat keine „Küsse“ erhalten. „Es ist eher eine ruhige Nacht. Das liegt allerdings auch am leichten Regen“, sagen die Polizisten. Kurz vor 6.00 Uhr informieren sie dann die Beamten der Frühschicht darüber, was sich in der Nacht abgespielt hat. Anschließend haben Pierre und Christophe Feierabend.