„Das wurde irgendwann gefährlich“

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Eine 19-jährige Iranerin in Luxemburg erzählt aus ihrem Leben.

Mit neun Jahren kam Solmaz J. Saber nach Luxemburg. Heute spricht sie fließend Luxemburgisch und wird dieses Jahr ihr Abitur ablegen. Den Iran musste ihre Familie verlassen, weil es zu gefährlich geworden war. Während einer Demonstration Anfang der Woche in Luxemburg-Stadt erzählte die 19-Jährige aus ihrem Leben im Iran sowie von ihrer Flucht und den Schwierigkeiten, mit denen sie anfangs in Luxemburg konfrontiert war. Ein Porträt.

„Nieder mit der Diktatur der Mullahs im Iran“, ertönt es durch das Megafon an einem sonnigen, aber kalten Dienstagnachmittag auf der place Clairefontaine. Auf einem der vielen bunten Plakate steht „Unterstützen Sie die Aufstände der Iraner gegen die religiöse Diktatur“. Ein paar Dutzend Iraner waren dem Aufruf zur Demonstration der „Association humanitaire des droits de l’homme et de la démocratie“ gefolgt. Mittendrin steht eine junge iranische Frau. Solmaz J. Saber ist 19 Jahre alt und spricht akzentfrei Luxemburgisch. Das hat sie hier in der Schule gelernt, verrät sie. Bis Solmaz neun Jahre alt war, lebte sie im Iran. Sie ging dort zur Schule und lernte das persische Alphabet. Dann kam sie nach Luxemburg und musste bei null anfangen.

Ihre Familie lebte in Täbris, einer Stadt im Norden des Landes. Die letzten Jahre vor der Flucht ließ sie sich in der Hauptstadt Teheran nieder. „Zurzeit bin ich in der Abiturklasse im klassischen Gymnasium. Nächstes Jahr werde ich studieren.“ Dieser Bildungsweg erscheint angesichts der Startschwierigkeiten der jungen Iraner nicht selbstverständlich. „Der Anfang hier in Luxemburg war sehr schwierig“, gesteht Solmaz. Sie spricht von Mobbing in der Schule, weil sie nur Persisch sprach und nicht mal das römische Alphabet kannte. Jahrelang musste sie dies alles nachholen.

„Mein Vater war im Iran politisch aktiv“

Sie kniete sich richtig rein. „Aber nach drei, vier Jahren ging alles besser. Da kam ich ins Gymnasium. Ich hatte es ins ‚Lycée classique‘ geschafft.“ Dort habe sie neue Freundschaften geschlossen und sich schnell eingelebt. „Die Integration wäre sehr schwierig geworden, wenn ich mir keine Mühe gegeben hätte. Aber jetzt kann ich sagen, dass ich gut integriert bin.“ Auch Solmaz’ Familie hat sich gut integriert. Auch wenn es in puncto Sprache(n) größere Schwierigkeiten gab. „Ältere Menschen tun sich da schwerer als jüngere“, sagt Saber. Aber ihre Mutter habe schließlich eine Arbeit gefunden. „Wir fordern den Sturz der religiösen Diktatur im Iran“, hallt es erneut über die place Clairefontaine.

Die Demonstranten wollen sich mit ihren Landesbrüdern solidarisieren, deren Aufstände in der Heimat auch in Luxemburg Gehör finden sollen. Solmaz erzählt mir von der Flucht ihres Vaters. „Wir sind nach Luxemburg gekommen, weil mein Vater für meinen Bruder und mich eine Zukunft wollte. Mein Vater war im Iran politisch aktiv. Er war gegen das Regime und hat an Demonstrationen teilgenommen. Das wurde irgendwann gefährlich.“ Weil der Vater auch an seine Familie dachte, traf er den Entschluss, wegzugehen. „Heute kann ich sagen, dass ich hier in Luxemburg Rechte habe. Im Iran nicht.“

Mit dem Herzen hängt Solmaz noch sehr stark an ihrer Heimat. „Was ich mit dem Iran verbinde, ist sehr viel Liebe“, sagt sie voller Leidenschaft. „Iran bedeutet für mich Liebe. Das ist meine Heimat.“ Mittlerweile hat Solmaz einen luxemburgischen Pass. Dennoch sieht sie sich nicht als ganze Luxemburgerin. Sie will aus folgenden Gründen weiterhin auch Iranerin bleiben: „Weil das meine Kultur ist. Weil das meine Familie ist, bei der ich gelernt habe, wie man sich um einen anderen kümmert. Dort habe ich gelernt, was Zuneigung bedeutet.“ Ihre ganze Familie – außer die Eltern, der Bruder und ein Onkel (der vor ein paar Jahren ebenfalls nach Luxemburg geflüchtet ist) – lebt noch im Iran.

Regelmäßige Telefonate in die Heimat sind für Solmaz sehr wichtig. Denn außer der Familie hat sie auch noch einige Freunde von früher, die dort leben. Die Aufstände der letzten Tage machen ihrer Familie und ihren Freunden im Iran sehr viel Angst. „Die meisten, die ich kenne, haben sich eingesperrt.“ An den Demonstrationen nehmen fast nur Jugendliche teil, bestätigt Solmaz.

Neun Jahre lang, von ihrer Geburt bis zur Flucht, hatte Solmaz im Iran gelebt. Ob sie noch Erinnerungen an ihre Heimat hat? „Es sind wenige Erinnerungen, dafür sind sie aber noch sehr klar präsent: Ich weiß noch, wie es in der Schule war, wie es in meiner Familie war. Wir waren eine richtige Familie. Wir haben viel zusammen unternommen. Wir sind viel verreist, durch den Iran. Meine Eltern, mein Bruder und ich. Ich kann nichts ‚Schlechtes‘ über diese Zeit erzählen, weil ich – wegen meines jungen Alters – nicht im sozialen Leben integriert war. Ich war noch ein Kind. Ich bin zur Schule gegangen. Und meine Eltern haben versucht, mich zu beschützen, wo sie mich beschützen konnten.“

Eine Begegnung, die Solmaz prägte

Und dann erzählt Solmaz von einer Begegnung, die sie für immer geprägt hat. „Etwas, was mich immer noch verfolgt, passierte etwa zwei Wochen, bevor wir nach Luxemburg kamen. Da war ein Junge, etwa so groß wie ich und auch etwa gleich alt. Zufällig standen wir uns gegenüber, weil ich die Straße überqueren wollte. Ich habe mich in ihm gesehen. Da fiel mir auf, dass seine Kleider zerrissen waren und er keine Schuhe anhatte. Er war dreckig. Ich glaube, er wollte Kaugummis oder Lutscher verkaufen. Das ist das Bild, das mir den Ansporn gibt, hier in Luxemburg an Demonstrationen – wie heute hier auf der place Clairefontaine (Dienstag, 9. Januar, Anm. der Redaktion) – teilzunehmen und die Iraner zu unterstützen, damit dieses Regime aufhört. Es gefällt mir in Luxemburg. Ich bin froh, dass Luxemburg uns aufgenommen hat. Aber ich würde sehr gerne – ohne dass es Probleme gibt – meine Familie wiedersehen. Ich würde gerne dorthin zurückgehen können, wo ich die Liebe kennengelernt habe.“

Zwei Wochen nach Solmaz’ Begegnung mit dem Kaugummi-Jungen im Iran stand die Flucht nach Luxemburg an. Ein Erlebnis, das die junge Iranerin nie vergessen wird. „Mein Vater war etwa zwei Jahre vor uns aus dem Iran geflüchtet. Nun war der Tag gekommen, an dem wir zu ihm nach Luxemburg nachreisen sollten. Meine Mutter, mein Bruder und ich. Mit zwei oder drei Koffern. In den paar Stunden, die wir im Flugzeug nach Europa saßen, habe ich gesehen, wie meine Mutter gealtert ist. Ich habe das regelrecht mitgekriegt. Es war eine derartige Stresssituation. Wir hätten jede Sekunde festgenommen werden können. Weil mein Vater im Iran politisch aktiv war. Und wir nun ebenfalls auf der Flucht waren.“

Auf der place Clairefontaine neigt sich die Demonstration ihrem Ende zu. Aus dem Lautsprecher ertönt ein letztes Mal: „Wir fordern den Sturz der religiösen Diktatur im Iran.“