Das Schweigen brechen

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Gemeinsam eine Bestandsaufnahme machen und ein gesellschaftliches Tabuthema in den Vordergrund rücken. Das hat Großherzogin Maria Teresa mit einer Gesprächsrunde bezweckt, in der sie eine Reihe von Expertinnen zu ihren Erfahrungen mit Gewalt befragt hatte. Mit ihrem persönlichen Engagement will sie der aktuellen „Orange Week“ mehr Sichtbarkeit geben.

Die Feststellung ist immer die gleiche! „Wir können die Gewalt, die Menschen anderen Menschen antun, nicht von heute auf morgen ausmerzen. Aber wir können gemeinsam mithelfen, sie zu verringern“, so das Fazit von Großherzogin Maria Teresa und den Experten, die sie zur aktuell veranstalteten „Orange Week“ um sich versammelt hatte, um eine Bestandsaufnahme der Gewaltopfer und der Hilfen, die ihnen gewährt werden, zu machen.

Die Regierung setzt zurzeit große Hoffnungen auf das Gesetz, mit dem die Konvention von Istanbul umgesetzt wird, weil es ihr erlauben wird, sich mehr und besser für Gewaltopfer einzusetzen. Im Blickpunkt stehen dabei ganz besonders die Kinder, die als Opfer betrachtet werden sollen, ganz gleich, ob sie selbst geschlagen werden oder ob sie Zeugen der körperlichen oder psychischen Gewalt sind, denen ihre Mutter oder ihr Vater ausgesetzt sind. Ihr Schicksal wurde bislang nur wenig beachtet.

In Körper und Geist

Häufig wird beim Stichwort Gewalt gegen Frauen (oder Männer) lediglich die körperliche Gewaltanwendung angesprochen. Dabei gehen die Leiden dieser Menschen häufig weit darüber hinaus. Die Opfer stehen auch psychisch und moralisch unter Druck, vor allem wenn sie aus ihrem familiären Umfeld herausgenommen werden und ihrem Partner dadurch auch ökonomisch völlig ausgeliefert sind. Diese Situation wird noch dramatischer, wenn die Opfer aus einem anderen kulturellen und geografischen Umfeld kommen. Hilfe holen ist noch schwieriger, wenn man der Sprache nicht mächtig ist. Die Frauen ermutigen, das Tabu aufzubrechen und von der Gewalt zu sprechen, der sie ausgesetzt werden. Das war eine der Forderungen der Experten. Parallel dazu sollen aber auch Ärzte und Sozialarbeiter so ausgebildet werden, dass sie selbst unausgesprochene Zeichen körperlicher oder psychischer Misshandlung deuten und gegebenenfalls ansprechen können.

Tatsächlich ist das Erkennen eines Gewaltopfers bereits ein erster Schritt. Ein zweiter ist die Unterstützung der Opfer, die allzu häufig in einer ersten Reaktion ihren Peiniger anprangern, ihre Anschuldigung dann aber wieder zurückziehen. Selbst auf die Gefahr hin, nochmals durch die gleiche Hölle der Gewalt gehen zu müssen, kehren viele Gewaltopfer in ihr gewohntes Umfeld zurück, nicht zuletzt, weil sie ihre Kinder nicht im Stich lassen wollen.

Es ist noch Aufklärungsarbeit fällig

„Das Schweigen brechen, den Frauen Mut machen und sie immer wieder unterstützen“, darin waren sich alle engagierten Sozialhelfer einig. Allerdings wollen sie auch den Tätern unter die Arme greifen.

Das beginnt bei der Unterbringung der Männer (oder Frauen), die seit dem Gesetz über die Wegweisung der gewalttätigen Ehepartner die gemeinsame Wohnung verlassen müssen.
Das geht weiter mit einer obligaten psychologischen Betreuung. „Männer haben in unserer Gesellschaft bislang nicht gelernt, Gefühle zu zeigen, eventuelle Unsicherheiten einzugestehen. „Männer weinen nicht“, wird den kleinen Jungen heute häufig noch eingebläut. Schwäche gilt als unmännlich.

Und so schlägt die eigene Unsicherheit häufig in Gewalt um, in Druck gegenüber einem Unterlegenen. Hier ist noch sehr viel Aufklärungsarbeit fällig“, lautete eine weitere Forderung.

Ein Fazit haben die Teilnehmerinnen aus ihrem über einstündigen Austausch nicht ziehen können. Dafür haben sie sich gegenseitig das Versprechen gegeben, weiterhin aufmerksam zu bleiben und das Schweigen zu brechen, damit niemand in seiner Not allein gelassen wird.


Orange Week

Das Gleichstellungsministerium und die Luxemburger Abteilung des internationalen Frauen-Serviceclubs „Zonta“ organisieren dieses Jahr erstmals gemeinsam eine Woche, mit der das Publikum auf die Gewalt gegen Frauen und sexuelle Gewalt aufmerksam gemacht werden soll. Die „Orange Week“ gibt es bereits seit 2008, sie geht auf eine Initiative des Generalsekretariats der Vereinten Nationen zurück.

Seit dem 19. November und noch bis zum 26. wird eine ganze Reihe von Veranstaltungen auf die Thematik aufmerksam machen. Dazu gehören Konferenzen, Filmvorführungen, ein Atelier zur Selbstverteidigung, aber auch spektakuläre Aktionen wie die Beleuchtung von öffentlichen Bauwerken in Orange.

Den Höhepunkt bildet ein Marsch, der die orangefarben bekleideten Teilnehmerinnen am Samstagmorgen um 11 Uhr vom Glacis bis vor das Parlamentsgebäude führen soll.
Fast 40 Unternehmen, allen voran der großherzogliche Hof sowie Verwaltungen, Organisationen und Institutionen sind hierzulande mit unterschiedlichen Initiativen an der Aktionswoche beteiligt.


Istanbul-Konvention

Die Istanbul-Konvention ist ein Übereinkommen der 47 Mitgliedstaaten des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Sie wurde 2011 ausgearbeitet und schafft verbindliche Rechtsnormen gegen Gewalt an Frauen und häusliche Gewalt. Sie trat am 1. August 2014 in Kraft.

Die Konvention, die bislang von 45 Ländern unterzeichnet und von 27 ratifiziert wurde, will die Gleichstellung der Geschlechter in den Verfassungen und Rechtssystemen der Unterzeichnerstaaten verankern und sämtliche diskriminierenden Vorschriften abschaffen. Außerdem sollen die Hilfsangebote für Frauen verbessert und die Menschen über Bildungsangebote für das Problem sensibilisiert werden.

Die einzelnen Maßnahmen sehen eine Rechtsberatung, psychologische Betreuung, finanzielle Beratung, Hilfe im Zugang zu Unterbringungsmöglichkeiten (Einrichtung von Frauenhäusern), Aus- und Weiterbildung sowie Unterstützung bei der Suche nach Arbeit vor. Luxemburg ist dabei, die Konvention in seine nationale Gesetzgebung einzufügen. Es ist das erste internationale Abkommen, das die Gewalt gegen Frauen thematisiert und als Verstoß gegen die Gleichstellung der Geschlechter und gegen Menschenrechte anerkennt.