„All we need …“

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Die Gebläsehalle auf Belval ist zum Politikum geworden. Die Denkmalbehörde will
sich nicht für den Erhalt der Halle einsetzen und der Wohnungsbauminister geht bereits mit einem Neubauprojekt hausieren. Doch eigentlich sollte die Halle doch zum Epizentrum der Europäischen Kulturhauptstadt 2022 werden. Und ein nationales Zentrum für Industriekultur war auch einmal dort geplant.

Die „Hall des soufflantes“ ist das letzte noch erhaltene authentische Industriebauwerk der Belvaler Schmelz. Um 1911 von der Gelsenkirchener Bergwerks-AG erbaut, besticht das Gebäude neben seinem hohen Alter vor allem durch seine schiere Größe. Mit 135 Metern Länge, 40 Metern Breite und einer Höhe von 28 Metern findet sich im Umkreis von mehreren Hundert Kilometern kein vergleichbares Bauwerk. Einzigartig ist auch die Stahlkonstruktion aus Eisenträgern und das Dachfachwerk aus Eisenprofilen.

Die enorme Größe der Halle war erforderlich, um die neun riesigen Kolbengasmotoren unterzubringen, die vom Gichtgas der Hochöfen angetrieben wurden. Das Gas wurde in Elektroenergie umgewandelt und diente zum Antrieb der in den Stahl- und Walzwerken erforderlichen Maschinen. Die Motoren waren aber auch mit dem Kolbengebläse verbunden, das Wind erzeugte, der durch anderthalb Meter dicke Stahlrohre in den Hochofen geblasen wurde, um den Schmelzvorgang der Minette zu aktivieren und zu unterhalten.
Viele der Anlagen und Maschinen in der „Hall des soufflantes“ sind heute noch erhalten.

Kein Zugang aus Sicherheitsgründen

Um der Nachwelt die Funktionsweise der Hochöfen auch nach dem Ende der Belvaler Schmelz noch zeigen zu können, setzt die „Amicale des hauts fourneaux A et B de Profil-Arbed Esch/Belval“ sich seit Jahren für den Erhalt der Gebläsehalle ein. Bislang jedoch ohne erkennbaren Erfolg. Die Halle steht zwar noch, doch in den vergangenen Monaten häuften sich die Gerüchte, dass sie abgerissen werden soll. Seit Jahren lässt der Fonds Belval niemanden mehr in die Halle hinein, angeblich aus Sicherheitsgründen.

Seit im vergangenen November entschieden wurde, dass Esch und die Südregion die Europäische Kulturhauptstadt im Jahr 2022 ausrichten werden, ist die Gebläsehalle nun vollends zum Politikum geworden. Die Generalkoordinatoren von Esch 2022 haben eines ihrer zentralen Projekte im Bidbook, den „Remix Culture Club“, in der „Hall des soufflantes“ angesiedelt. Wegen der Bedeutung Belvals für Esch und den gesamten Süden sowie der unmittelbaren Nähe der Gebläsehalle zur Uni Luxemburg sei die Wahl auf dieses Gebäude gefallen, erklärte die künstlerische Leiterin von Esch 2022, Janina Strötgen, dem Tageblatt.

Die Gebläsehalle sei das einzige Gebäude in der „Cité des sciences“, das noch nicht besetzt sei. Zudem eigne es sich wegen seiner Ausmaße und der Zweigliedrigkeit sehr gut für die Veranstaltung großer Ausstellungen, die im Konzept von Esch 2022 eingeplant seien. Ein drittes Argument, das für die Gebläsehalle spreche, sei die Kontinuität mit der Europäischen Kulturhauptstadt 2007, als die überaus erfolgreiche Ausstellung „All we need“ dort organisiert wurde, sagte Strötgen (das Logo von damals prangt übrigens immer noch an der Hauptfassade der Halle).

Noch nichts entschieden, aber…

Und nicht zuletzt habe auch die Uni Luxemburg Interesse an einer langfristigen Nutzung. So könnten dort ein Café und Gemeinschaftsräume für Studenten eingerichtet werden, die eine Alternative zu dem kommerziellen Angebot der Shopping-Mall auf Belval darstellen würden.

Doch der Staat, dem das Gebäude gehört, und Teile der aktuellen Regierung scheinen die Begeisterung der Koordinatoren von Esch 2022 für die Gebläsehalle nicht zu teilen. Max Theis, Regierungsrat im Kulturministerium, erklärte zwar stellvertretend für Staatssekretär Guy Arendt (DP), dass noch keine Entscheidung über Erhalt oder Abriss getroffen worden sei, doch der Escher CSV-Bürgermeister Georges Mischo erzählte am Donnerstag dem Tageblatt, der Minister für Wohnungsbau, Marc Hansen (DP), habe dem Schöffenrat kürzlich ein Projekt vorgestellt, das Wohnungsbau und den Ausbau der Universität auf dem Gelände der „Hall des soufflantes“ vorsehe, was natürlich den Abriss des Gebäudes voraussetze. „Wir haben das zur Kenntnis genommen, doch wir sind zurzeit nicht bereit, mit auf den Weg eines Abrisses zu gehen“, betonte Mischo.

Tageblatt-Informationen zufolge wollen Kulturminister Xavier Bettel und sein Staatssekretär Guy Arendt (beide DP) sich in den nächsten Wochen mit den Bürgermeistern der Südregion treffen, um ein Verzeichnis über mögliche Kulturdenkmäler zu erstellen. Dabei soll geprüft werden, welche Industriegebäude erhaltenswert sind und welche nicht. Der Differdinger Bürgermeister Roberto Traversini („déi gréng“) hatte bereits im Rahmen einer Pressekonferenz im Dezember 2017 verlautbart, Differdingen habe auch solche Hallen und man könne nicht alles im Süden behalten. In eine dieser Hallen soll künftig das „Luxembourg Science Center“ einziehen.

Einzigartig oder entbehrbar?

Gegen den Erhalt der Gebläsehalle auf Belval spricht sich ausgerechnet auch der „Service des sites et monuments nationaux“ (SSMN) aus. „Wir sehen keinen ganz großen historischen und architektonischen Wert in der Halle“, antwortete der Direktor der nationalen Denkmalschutzbehörde, Patrick Sanavia, auf eine schriftliche Anfrage des Tageblatt. Zwar habe sie einen Wert als Zeuge der Entwicklung des Industriestandorts Belval und habe Potenzial für die Zukunft, doch in puncto Authentizität, Originalität und Qualität – sowohl architektonisch als auch baulich – sei es keine Halle, die der SSMN um jeden Preis erhalten wolle. Zudem seien das Dach und die Fassade des Gebäudes in einem schlechten Zustand. Zwischen dem Erhaltungswert und den Erhaltungskosten bestehe kein vernünftiges Verhältnis, meinte Sanavia.

Ganz anders lautet die Einschätzung von Denis Scuto, Professor für Zeitgeschichte an der Uni Luxemburg. „Die Anlagen im Innern und die ganze Struktur der Halle sind vom architektonischen Standpunkt her einmalig“, betonte Scuto, der die Gebläsehalle mit der „Tate Gallery of Modern Art“ in London vergleicht, die in einem umgebauten Kraftwerk eingerichtet wurde. Die „Hall des soufflantes“ sei das letzte Gebäude der Belvaler Schmelz, das noch umgenutzt werden könne, was bislang aber noch nicht passiert sei. „Wir haben lauter Kisten dort errichtet, alle regen sich über das unpersönliche Belval auf und dann gehen wir hin und wollen das letzte Gebäude, das noch seine Identität behalten hat, abreißen“, bedauert der Geschichtsprofessor. Auch das Argument, die Halle sei in einem schlechten Zustand, kann Scuto nicht nachvollziehen. Immerhin habe der Staat im Jahr 2012 rund fünf Millionen Euro zur Instandsetzung der Halle in seinem „Plan pluriannuel“ zum Denkmalschutz vorgesehen.

Doch nicht nur in Luxemburg, sondern auch im benachbarten Saarland lösen die Pläne zum Abriss der Gebläsehalle Empörung aus. Der Architekturprofessor Klaus-Dieter Köehler von der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes bezeichnet das Argument, dass es Probleme mit der Standsicherheit gebe, als „völligen Quatsch“. Natürlich könnten Risse an der Eindeckung entstanden sein, aber das Stahlgerüst sei intakt.

Ideen zur Renovierung

Die Gebläsehalle sei ein wesentlicher Teil, um Belval zu verstehen. „Wenn man Kulturhauptstadt werden will, kann man die Halle nicht abreißen“, sagte Köehler. Die Gebläsehalle habe ihre Berechtigung, genau wie die Gasturbinenzentrale in Differdingen, die das Science Center beherbergen soll und allein schon wegen ihrer geringeren Ausmaße nicht mit der Gebläsehalle zu vergleichen sei. Dabei sei die Nutzung der „Hall des soufflantes“ recht einfach zu bewerkstelligen und sicherlich kostengünstiger als ein Abriss und ein anschließender Neubau, betont Köehler, der dafür plädiert, dass die Politiker sich mit Architekten, Vertretern der Uni und den Verantwortlichen der Kulturhauptstadt noch einmal an einen Tisch setzen und vernünftig über die Gebläsehalle beraten, um Missverständnisse aus dem Weg zu räumen.

Und Missverständnisse scheint es vor allem über eine mögliche Renovierung und Ausstattung der Halle zu geben. Teuer würde es sicherlich werden, wenn man die ganze Halle isolieren würde, weiß auch die Architekturstudentin Noelle Schmitt, die zurzeit ihre Masterarbeit an der HTW Saar über eine mögliche Nutzung der „Hall des soufflantes“ schreibt.

Doch eine komplette Isolierung will eigentlich niemand. „Die Renovierung der Halle wäre im Gegensatz zu vielen anderen Gebäuden auf anderen Industriestandorten relativ günstig, vorausgesetzt man lässt die Halle so wie sie ist und repariert nur das Dach und richtet die vorgeschriebenen Sicherheitsvorkehrungen ein“, erläuterte Janina Strötgen von der Esch 2022 asbl. das im Bidbook verfolgte Konzept.

Noelle Schmitt verfolgt in ihrer Masterarbeit die Idee, die Halle mit mehreren kleineren Kuben auszustatten, die abgeschlossene Räume darstellen und unabhängig von der thermischen Hülle sind, die die Halle darstellt. Dies hätte den Vorteil, dass nicht die ganze Halle isoliert und beheizt werden muss, sondern nur der jeweilige Kubus, in dem eine Veranstaltung stattfindet. Den Rest der Halle will sie als Zeitzeugnis erhalten. Mit den noch vorhandenen Maschinen, damit die Nachkommen noch erkennen können, „wie das früher alles stattgefunden hat“.


Maschinenbestand

In der Gebläsehalle sind noch folgende Maschinen vorhanden:

  • Drei Turbogebläse für Hochofenwind der Hochöfen A und B
  • Eine Dampfkesselbatterie mit fünf sehr großen Aggregaten, die den Dampfbedarf für die Hüttenanlagen sowie für die Beheizung sämtlicher Gebäude lieferten
  • Demontierte Bauteile von Hochofen A und B sowie der Dynamozenrale (die komplette hydraulische Stichlochstopfmaschine, die pneumatische Stichlochbohrmaschine, ein hydraulisch betätigter Kaltwind- bzw. Abgasschieber, ein Bleeder mit Hydraulikantrieb, diverse Heißwindblasarmaturen)
  • Roheisentransportwagen in Torpedoform zum Transport des Gusseisens zu den Stahlhütten Differdingen und Esch/Schifflingen
  • Gebläse oder Elektrogeneratoren mit Gichtgasantrieb (große Kolbenmotoren) sind keine mehr vorhanden. Diese wurden schon vor über 40 Jahren verschrottet.

(Quelle: „Amicale des hauts fourneaux A et B de Profil-Arbed Esch/Belval“)


„Weltweites Wiedererkennungsmerkmal“

Noelle Schmitt (25), Architekturstudentin an der HTW Saar, schreibt zurzeit ihre Masterarbeit über die künftige Nutzung der Gebläsehalle auf Belval. Begeistert ist die Völklingerin vor allem von der Dimension und der damit verbundenen Raumwahrnehmung der Halle. Auch das detailreiche Fachwerk hat sie beeindruckt.

„Für mich ist es wichtig, dass die Halle erhalten bleibt, weil sie identitätsstiftend ist. Sie stammt aus einer Zeit, die unheimlich wichtig für den Süden Luxemburgs war. Wenn die Halle abgerissen wird, wird ein Teil der Identität und Geschichte einfach wegradiert“, erklärt Noelle Schmitt. Die Gebläsehalle könnte für Belval und die Stadt Esch ein „europa- und sogar weltweites Wiedererkennungsmerkmal“ darstellen, sagt Schmitt. Deshalb arbeitet sie im Rahmen ihres Masters an einem Konzept, wie man die Gebläsehalle künftig nützen könnte.

Dieses Konzept sieht vor, dass die Halle in ein Zentraldepot für Kunstwerke umgewandelt wird. Dort könnten die Werke zwischengelagert werden, wenn sie nicht gerade ausgestellt sind, und trotzdem für Forscher und Wissenschaftler zugänglich bleiben. Auf diese Weise könnte auch eine Verbindung zum Universitätsstandort Belval hergestellt werden.
Gleichzeitig soll ein Teil der Halle auch als Ausstellungsort genutzt werden können, was wegen der Größe des Gebäudes kein Problem darstellt. In mehreren beheizbaren Kuben, die im Innern der Halle aufgestellt werden, wären andere Nutzungen wie ein Auditorium oder Seminarräume möglich.

Auch die Maschinen, die noch in der Halle vorhanden sind, will Noelle Schmitt der Öffentlichkeit zugänglich machen. Maschinen aus anderen Hallen von anderen Industriebrachen könnten das Angebot noch erweitern. „Ich sehe in der Halle ein unglaubliches Potenzial. Das Gebäude erzählt schon Geschichten, ohne das man irgendetwas hineinstellt. Das bekommt ein neues Gebäude gar nicht hin“, schwärmt Noelle Schmitt. Die Arbeit soll Mitte März beendet sein.