Kritik an Xavier Bettels Israel-Politik

Kritik an Xavier Bettels Israel-Politik
(dapd/Abir Sultan)

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Der israelische Historiker Ilan Pappé hält Luxemburgs Israel-Politik und die Kooperation der Uni.lu mit der hebräischen Universität von Jerusalem für einen Fehler. Ein Interview.

Israel plant derzeit den Bau von zusätzlichen 2.500 illegalen Siedlungen im besetzten Westjordanland. Die Ankündigung ist die zweite, seit US-Präsident Donald Trump letzte Woche sein Amt angetreten hat. Umso interessanter ist die Analyse des israelischen Historikers Ilan Pappé. Während die Zwei-Staaten-Lösung populär bleibt, glaubt Pappé, die Ein-Staaten-Lösung sei bereits Realität geworden.

Zur Person

llan Pappé wurde 1954 in Haifa, Israel, geboren. Er ist Professor am Institut für Arabische und Islamische Studien an der britischen University of Exeter, Direktor des Europäischen Zentrums für Palestine Studies in Exeter und Co-Direktor des Zentrums für Ethno-politische Studien. Er war der akademische Leiter und Gründer des Instituts für Friedensforschung in Givat Haviva, Israel, (1992-2000) und Vorsitzender des Emil-Touma-Instituts für palästinensische Studien in Haifa (2000-2008). Seine Forschung fokussiert die Zeitgeschichte des Nahen Ostens. Sein Schwerpunkt ist die Geschichte Israels und Palästinas. Relevante Arbeiten sind „Die ethnische Säuberung Palästinas“ (2006) und „The Modern Middle East“ (2005). Er beschäftigt sich auch mit Multikulturalismus, kritischer Diskursanalyse und Macht sowie Wissen im Allgemeinen.

Er kritisiert, dass westliche Politiker die Unterdrückung der Palästinenser nicht verstehen. John Kerry habe nie begriffen, worum sich der Nahostkonflikt wirklich drehe. Pappé sieht zudem Luxemburgs Israel-Politik vor diesem Hintergrund mit kritischen Augen. Im Tageblatt-Interview beschreibt der Historiker, weshalb man Politik und Wissenschaft nicht trennen kann.

Tageblatt: Luxemburgs Premier Xavier Bettel war vergangenen September auf Staatsbesuch in Israel. Kooperationen im akademischen Bereich und in Sachen Fintech standen im Mittelpunkt; Ramallah wurde der Form wegen und erst nach massivem diplomatischem Druck in das offizielle Programm aufgenommen. Die Kooperation zwischen den Unis wurde als unpolitisch dargestellt. Augenwischerei des Großherzogtums?

Ilan Pappé: „Sie können Israels akademische Welt nicht von der Politik trennen. Sie trägt Mitschuld an dem, was passiert. Sie bringt jene Richter hervor, die Menschen ohne Prozess ins Gefängnis steckt. Sie bildet die Geheimdienste aus, die Palästinenser foltern. Sie liefert die Expertise in Sachen Orientalismus und Technologie, um die Palästinenser zu ‚verwalten‘. Und selbst wenn Forscher angesichts der Gräueltaten nur schweigen, müssen sie dafür kritisiert werden. Wir haben es auch nicht gemocht, dass die Wissenschaft während der Nazi-Zeit oder in Chile unter Pinochet schwieg.“

(…)


Die internationale Gemeinschaft setzt sich für die Zwei-Staaten-Lösung ein, während in den Nachbarländern die Kolonialgrenzen immer poröser werden. Glauben Sie noch an die Zwei-StaatenLösung?

„Sie haben recht, was die anderen Staaten und die künstlichen Grenzen betrifft. Demnach ist die Frage nicht mehr, ob die Zwei-Staaten-Lösung funktioniert oder nicht, sondern, wann jene Menschen, die einen Einfluss in der Region haben, einsehen, dass die Zwei-Staaten-Lösung gescheitert ist. Es ist noch nicht passiert. Wir müssen uns die Frage stellen, was passiert, wenn die Menschen letzten Endes verstehen, dass die Zwei-Staaten-Lösung nicht mehr möglich ist. Dies gilt auch für die jüdischen und christlichen Gemeinschaften im Ausland, die Israel unterstützen.“

Welche Szenarien halten Sie für realistisch?

„Es gibt zwei Szenarien: Entweder wird Israel ein Apartheidstaat oder ein demokratischer Staat. Das ist eine wesentlich wichtigere Diskussion als jene über die Zwei-Staaten-Lösung.“

Israel ist doch bereits teilweise ein Apartheidstaat.

„Ja, man verwandelt sich in etwas und behauptet, etwas anderes zu sein. Ihre Fähigkeit, diese Scharade am Leben zu erhalten, hängt nicht von ihnen, sondern davon ab, wie die Welt sie wahrnimmt. Die politischen Eliten akzeptieren die israelische Wahrnehmung – wieso auch immer –, dass die Zwei-Staaten-Lösung in greifbarer Nähe liegt. Ich glaube, dass dieses Spannungsverhältnis zwischen Schein und Sein so schnell wie möglich verkleinert werden soll. Es gab hierzu Ansätze in US-Außenminister John Kerrys letzter Rede zu Israel.“

Stimmt. Gleichzeitig hat er sich ständig widersprochen. Mal sprach er vom jüdischen Staat, mal forderte er gleiche Rechte für alle Bürger Israels. Er streute immer wieder den zionistischen Grundgedanken ein, obschon seine Kritik an Israels Kolonialpolitik deutlich war. Die UN-Resolution spiegelt diese politische Schizophrenie deutlich wieder.

„Ja, das stimmt. Was einem auffällt, wenn er dies tut, ist Folgendes: Das Ganze ist ein Prozess. Sie können nicht zu jemandem wie Außenminister Kerry sagen: „Hören Sie mal, Secretary of State, Sie verstehen gar nicht, worum es in diesem Konflikt geht. Das hier ist eine Siedlerbewegung, die Kolonialmethoden im 21. Jahrhundert weiterhin verwendet. Das Problem des Kolonialismus ist nicht, wie viel Territorium den Palästinensern einst gehörte oder welche Autorität oder Souveränität sie dort ausübten.“ Mit ihm oder Präsident Jimmy Carter, der Israels Politik mit dem Apartheidsystem vergleicht, ist diese Form von Dialog nicht möglich.“

(…)

Es scheint nicht wirklich besser zu werden. US-Präsident Donald Trump will die amerikanische Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen. Geht er damit in eine Logik der Konfrontation und Provokation über?

„Trump hat zwei mögliche Konsequenzen für uns. Die eine ist sehr gefährlich. Die Botschaft in Jerusalem und eine Carte blanche für die Siedlungen wären aus kurzfristiger Perspektive ein Desaster. Es würde zur nächsten Intifada führen. Wer weiß, was die Israelis den Palästinensern in dem Fall antäten. Sie würden einen unvorstellbar hohen Preis bezahlen.“

Und die andere Konsequenz?

„Seine isolationistischen Ideen könnten dazu führen, die USA aus dem Nahen Osten herauszuführen. Die Menschen verstehen das nicht. Das wären gute Nachrichten. Das Engagement der USA im Nahen Osten war schrecklich. Besonders in den letzten 25 Jahren. Je weniger die USA involviert sind, desto besser. In dieser Hinsicht wird Trump Menschen wie John Kerry helfen, die Realität ein wenig mehr zu sehen, wie sie sie eigentlich sehen sollten. Aber es geht nicht um die Grenzen zwischen beiden Staaten, sondern um die Beziehung zwischen dem Siedlerstaat und der einheimischen Bevölkerung. Die Frage ist, wie man eine neue Beziehung zwischen beiden bauen kann.“

Lesen Sie das vollständige Interview in der Mittwoch-Ausgabe des Tageblatt (25.1.2017).