Milliardäre und Armut: Der Tech-Boom hat San Francisco (für viele) unbezahlbar gemacht

Milliardäre und Armut: Der Tech-Boom hat San Francisco (für viele) unbezahlbar gemacht

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Der Tech-Boom in San Francisco und im benachbarten Silicon Valley hat der Region zigtausende Arbeitsplätze und viele neue Millionäre beschert. Die Kehrseite: explodierende Mieten und Obdachlose auf den Straßen. Das Leben in der tief gespaltenen Stadt wird unbezahlbar.

„The Big One“, ein großes Erdbeben wie 1906, sagen die Seismologen der Stadt San Francisco seit Jahren voraus. Der gefürchtete Erdstoß ist überfällig, doch ein enormes Tech-Beben hat in der Westküstenmetropole eine große Kluft aufgerissen. Die Folgen des Technologie-Booms sind in der tief gespaltenen Stadt überall zu sehen.

Obdachlose schieben rostige Einkaufswagen mit wenigen Habseligkeiten über die Market Street, vorbei an den Fassaden der Hauptquartiere von Konzernen wie Twitter und Uber. Mit Steuervergünstigungen lockten die Stadtväter Technologie-Firmen in das Herz von San Francisco, nun schießen Luxus-Appartements und teure Bistros aus dem Boden. San Francisco, ehemals das Epizentrum der Hippie-Bewegung, Magnet für Künstler, Aussteiger und Einwanderer, steht nun für junge Multi-Millionäre, explodierende Mieten und steigende Obdachlosenzahlen.

Im weltweiten Vergleich ist San Francisco jetzt die Stadt mit der höchsten Milliardärsdichte. Der jüngsten Studie von „Wealth-X“ zufolge kommt auf gut 11 000 Einwohner ein Superreicher, im Vergleich fällt New York mit rund 81 000 Menschen pro Milliardär weit ab. Nur in absoluten Zahlen hat die Acht-Millionen-Metropole New York bei der Milliardärszählung die Nase vorn, verglichen mit der Westküsten-Stadt mit ihren knapp 900 000 Einwohnern.

In San Francisco und dem benachbarten Silicon Valley, mit Facebook, Google und Apple, wächst mit jedem Börsengang die Zahl der Millionäre weiter an. Nach den Start-ups Pinterest, Zoom und Lyft feierte zuletzt der Fahrdienstvermittler Uber seine Aktien-Premiere, die Büro-App Slack und der Tourismus-Anbieter Airbnb wollen noch in diesem Jahr an die Börse.

Auch Herman Chan profitiert von dem Boom. Der 41-jährige ist Makler bei der auf Luxusimmobilien spezialisierten Firma „Sotheby’s International Realty„. „Ich will nicht klagen, die ‚Tech Bros‘ zahlen meine Rechnungen“, sagt Chan über die Flut der jungen Spitzenverdiener in der Tech-Branche, die sich astronomisch hohe Mieten und teure Häuser leisten können. 5200 Dollar Monatsmiete (rund 4660 Euro) für eine 80-Quadratmeter-Wohnung zahlt man im Luxusneubau „Nema“, gleich neben den Hauptquartieren von Twitter und Uber. Für ein Einfamilienhaus im Raum San Francisco muss man durchschnittlich 1,3 Millionen Dollar hinblättern.

Reich? Ach was!

„Wir nennen sie ‚HENRYs‘, High Earner Not Rich Yet“, erklärt Chan. Also Gutverdiener mit einem Jahreseinkommen um die 200.000 Dollar, die damit noch nicht „wirklich reich“ sind, sich aber Reisen, teure Restaurants, schicke Klamotten und teure Immobilien leisten können.

Der in San Francisco aufgewachsene Makler klagt am Ende doch, dass die Kluft zwischen Arm und Reich in seiner Heimatstadt immer größer wird. „San Francisco hat seine Seele verloren“, lamentiert Chan. Vielfalt und Kreativität sei durch „Sterilität“ ersetzt worden.

„Wir haben nun die teuersten Mieten in den USA, die größte Obdachlosigkeit und die höchste soziale Ungleichheit“, sagt Leslie Dreyer. Die Aktivistin arbeitet beim Mieterschutzverband Housing Rights Committee, nur wenige Straßen und doch Welten von den Tech-Konzernen auf Market Street entfernt. Mieter, die von Räumungen bedroht sind, suchen hier Hilfe. „Wir haben extrem viel zu tun“, sagt Dreyer. Das Team hilft bei Zwangsräumungen, es organisiert Proteste, übt Druck auf die Stadt aus, bezahlbare Unterkünfte zu schaffen. „Es betrifft nun auch die Mittelklasse, wie Lehrer und Krankenschwestern. Spekulanten verdreifachen die Mieten und vertreiben Leute aus ihren Wohnungen“, klagt Dreyer.

Die jüngst veröffentlichten Zahlen einer Obdachlosenschätzung im Januar sprechen für sich. Mehr als 8000 Menschen in San Francisco haben kein festes Dach über dem Kopf, ein 17-prozentiger Anstieg in zwei Jahren. Drastisch zugenommen hat auch die Zahl der Bedürftigen, die in ihren Autos schlafen.

Robin Silver wohnt seit anderthalb Jahren in einer Zeltstadt an Rand einer vielbefahrenen Durchgangsstraße in Berkeley, auf der anderen Seite der Bucht von San Francisco. Fast zwei Dutzend Menschen leben in dem provisorischen Camp, Alkohol und Drogen sind nicht erlaubt. Die Stadt hat eine mobile Toilette aufgestellt, ein Solarmodul liefert Strom für ein Küchenzelt. „Richtig luxuriös“, sagt Silver augenzwinkernd. Der Tod seiner Frau habe ihn aus der Bahn geworfen, erzählt der 63-Jährige Tontechniker. „Ich stehe auf einer Warteliste für eine Sozialwohnung, doch das kann einige Jahre dauern.“

Rund 300 Millionen Dollar gibt die Stadt San Francisco jährlich zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit aus, doch die Betten in den Notunterkünften reichen bei Weitem nicht aus. „Grausam und unmenschlich“ seien die Zustände in den Straßen von San Francisco, wo etwa Menschen in Zelten Hilfe verwehrt würde, hieß es im vorigen Oktober in einem Bericht der Vereinten Nationen. Die Zeltlager wurden mit Slums in Indien und Mexiko verglichen.

Die reichen Tech-Konzerne, die zu der extremen Ungleichheit beitragen, sollen zur Kasse gebeten werden, fordern Aktivisten. Der Milliardär Marc Benioff, CEO des Cloud-Computing-Riesen Salesforce, ist auf ihrer Seite. Die Armut in seiner Heimatstadt San Francisco sei eine Katastrophe, sagte Benioff im Januar in einem Interview des Senders CNBC auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Einige Technologie-Bosse würden die Probleme der Gentrifizierung und Obdachlosigkeit einfach ignorieren.

Im vorigen Herbst stellte sich der Unternehmer hinter das Wählerreferendum „Proposition C“, große Tech-Firmen mit Sitz in San Francisco höher zu besteuern und das Geld in städtische Sozialprogramme zu stecken. Frustrierte Wähler, für die das Leben in der Westküstenmetropole unerschwinglich wird, stimmten mit großer Mehrheit für die Sonder-Steuer.

Doch der erbitterte Klassenkampf zwischen der Tech-Elite und den alteingesessenen Bürgern spitzt sich weiter zu. Nachzulesen etwa in Artikeln, Fotos und Kommentaren auf der Facebook-Seite „VanishingSF“ über das „Verschwinden“ von San Francisco als Folge der „Supergentrifizierung“.

So ließ sich etwa der US-Autor David Talbot (67), ehemaliger Chefredakteur den Online-Magazins „salon.com„, kürzlich über einen Vorfall zwischen einem „Hippie-Kleinbus“ und einem „nervigen Smartphone-Kerl“ aus. In dem Artikel beschrieb er als Augenzeuge einen Streit zwischen einem jüngeren Mann, der mit seinem Smartphone den ergrauten Besitzer eines bunt angemalten Kleinbusses filmte, der am Rande eines Stadtparkes in seinem Fahrzeug übernachtet hatte.

Warum er den Alt-Hippie mit seiner Kamera überwachen würde, mischte sich Talbot nach eigenem Bekunden in den eskalierenden Streit ein. Eine weitere Nachbarin sei dem alten Mann zur Hilfe gekommen, schrieb der Autor. Dies sei die Lektion für „Mr. Smartphone“: Besonders den Menschen, die in ihren Autos schlafen müssen, gehöre San Francisco. Dies sollte ihr Zufluchtsort sein, ohne Störenfriede, die mit ihren Smartphones herumspionieren.

EugeOtto
10. Juni 2019 - 14.35

Die Fakten sind ähnlich denen in Zürich...mit dem Unterschied, dass das Sozialsystem jedem Schweizer ein Dach über dem Kopf grantiert.und wenn da mal kein Platz ist geht man in * D * schon mal über den Winter in eine psychatrische Unterkunft..bis zum Frühjahr...Luxemburg hat da keine Probleme..statt altes Hospital abzureisen..könnte man da Sozialunterkünfte schaffen...

Jacques Zeyen
5. Juni 2019 - 13.23

So ist das mit dem Kapitalismus. Jeder kann reich werden,aber nicht alle. Am besten man ist ein Genie oder rücksichtslos. Ideal wäre ,man ist ein rücksichtsloses Genie. In den meisten Fällen reicht aber Rücksichtslosigkeit. Am einfachsten haben es natürlich die Milchbärte wie Trump oder Bush.Volltrottel aber reiche Eltern.

de Schmatt
5. Juni 2019 - 8.59

Ob es bei uns auch einmal, in ferner Zukunft, aussehen wird? Der eingeschlagene Weg stimmt….

Cornichon
4. Juni 2019 - 20.35

Ja was macht der Trump denn nun? Die Nationalsozialisten haben Sozialismus nie richtig verstanden.