Der Herr des Waldes ohne Wald

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Ein wachrüttelndes Buch. Die Welt nimmt kaum Notiz, dass eine massive Abholzungsoffensive im Amazonasregenwald läuft – Dürren und riesige Wüsten können die Folge sein. Vier Jahre begleitete ein deutscher Journalist einen Indianer, der vom Verschwinden des Waldes erzählt.

Der Begriff der Heimat ist derzeit in aller Munde. In Deutschland wird das Innenministerium mit dem Zusatz Heimat aufgewertet, was immer das bringen mag. Die Zersetzungskraft kapitalistischer Strukturen, das Auflösen traditioneller Milieus und Gewissheiten ängstigt viele Menschen. Die Heimat, das ist für Madarejúwa Tenharim der Wald.

Um seine Heimat herum tobt die Kettensäge, im Amazonasregenwald ist eine rasante Vernichtung im Gange. Der Indianer erzählt auf langen Bootsfahrten und Wanderungen von seiner Welt. Eine Welt, die verschwindet. Das Volk der Tenharim umfasste früher über 10 000 Menschen, nun sind es weit weniger als 1000. „Angst hilft dir nicht im Wald“, sagt er. Stille sei das oberste Gebot, um zu wissen, was hier lauert. Viel Schweigen auf langen Bootsfahrten. Er kennt alle Früchte, weiß, wo die besten Kastanien wachsen, wie man Affen per Pfeil in den Bäumen erlegt.

Aber Madarejúwa ist auch ein Krieger, der nicht tatenlos zusehen will, wie sein Ureinwohnervolk verschwindet. Das Buch des deutschen Journalisten Thomas Fischermann „Der letzte Herr des Waldes“ ist auch ein Weckruf, es erscheint am 15. März im Verlag C.H. Beck. Eigentlich wollte Fischermann, Lateinamerika-Korrespondent der „Zeit“, 2013 über Konflikte zwischen Holzfällern und Amazonasvölkern berichten.

Amazonas-Krieger gegen Waldvernichtung

Dabei traf er das rebellische Volk der Tenharim. Fischermann kam danach vier Jahre lang immer wieder, um mit Madarejúwa zu reden, um viel über Riten, Legenden und die Angst vor dem in ihr Gebiet vordringenden „weißen Mann“ zu erfahren, den „tapy’ynha“, der mit ovevé-ve’e, fliegenden Dingen, hierhin kommt. Erst sollte es ein Sachbuch werden, bis Fischermann sich zur Erzählung aus den Augen von Madarejúwa entschied – dadurch erst kann man tief eintauchen, quasi die Geräusche hören, bei den Expeditionen im Amazonaswald dabei sein.

Fischermann lernte, dass die Tenharim ausgefeilte Kriegstechniken haben – drei Indios können ein so markerschütterndes Kriegsgeschrei entfalten, dass man eine ganze Armee im Wald vermutet. Unzählige Stunden mussten die Gespräche von der Tupí-Guarani-Sprache Kagwahiva ins Portugiesische und anschließend ins Deutsche übersetzt werden.

Der Anbau von Soja, Weiden für Rinder, der Abbau von Gold, gigantische Wasserkraftprojekte: aus der Luft sieht man, wie der Amazonas immer mehr von einer Naturschutz- zu einer Wirtschaftszone verformt wird. Fischermann sprach hunderte Stunden mit Madarejúwa, den Häuptlingen, Heilern und Stammesältesten. Es ist kein verklärter, sondern ein nüchterner Blick, ein Heimatbuch der ganz anderen Art.

Ausgang allen Übels war der Bau der Transamazônica, ein über 4200 Kilometer langes Straßenprojekt durch den Urwald, vom Atlantik Richtung Pazifik. Damit wurden viele Holzfäller und Goldschürfer angelockt. Brasilien ist heute der größte Waldvernichter der Welt, die Amazonasregion ist aber bisher dank der Baumriesen einer der größten Treibhausgasreiniger, durch die Aufnahme von Kohlendioxid durch die Bäume ist von der grünen Lunge des Planeten die Rede.

Nach dem Wald kommt die Wüste

Die funktioniert nicht mehr richtig. Die Wissenschaftler Thomas Lovejoy und Carlos Nobre haben ermittelt, dass bereits 17 Prozent der ursprünglichen Waldfläche verschwunden sind, bei 20 Prozent sei der Kipppunkt erreicht. Riesige Wüsten könnten eine Folge sein – und weltweit könnten Dürren aber auch schwere Überschwemmungen zunehmen.

Die Schnellstraße in der Nähe ihrer Jagdgründe hat zu massiven Veränderungen geführt, auch zum Einzug von Mobiltelefonen, aber hier gibt es keinen Empfang. „Mit meinem nehme ich Fotos auf, zum Beispiel von der Jagd“, erzählt der 32-jährige Madarejúwa. Die Stammesältesten fürchten den Verlust der Traditionen und den Wegzug der Jungen. Auch Madarejúwa ist öfter in der Stadt Humaita, aber er will bleiben und kämpfen. „Geld ist ein großes Problem für die Tenharim. Seit der Transamazônica haben wir Kosten. Wir brauchen Medizin gegen die Krankheiten, die uns die Weißen gebracht haben“, erzählt er.

Eine Fläche zwei mal so groß wie Deutschland ist im Amazonasgebiet bereits verschwunden und nach Jahren einer Trendwende, sieht es nun wieder düster aus. Berichte über Massaker an Ureinwohnern häufen sich. Der konservative Präsident Michel Temer schloss im Kongress einen Pakt mit den „Ruralistas“, dazu gehören Großgrundbesitzer, Soja- und Holzunternehmer, die ihm als Abgeordnete und Senatoren halfen, mehrere Anklageversuche wegen Korruption abzuschmettern. Im Gegenzug haben sie weitgehend freie Hand, der Staat schaut weg – so wurden auch zuletzt viele Stellen gestrichen bei der Schutzbehörde FUNAI.

Was er sich von dem Buch über sein Volk erhofft, hat Fischermann zum Abschluss Madarejúwa gefragt. „Die Menschen sollen verstehen, „dass wir eine lange Geschichte und eine lange Tradition haben“, sagt der Indianer. „Wir beschützen den Amazonaswald. Und deswegen geraten wir in Konflikte mit anderen“. Der furchtlose „letzte Herr des Waldes“, fürchtet, ohne internationale Hilfe bald ganz ohne Wald dazustehen.