Florange, fünf Jahre danach

Florange, fünf Jahre danach
(AFP/Jean-christophe Verhaegen/AFP)

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Ohne Hochöfen geht es dem Standort besser denn je

Ex-Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg war schon da. Staatspräsident François Hollande wird in der nächsten Woche am Montag, kommen. Der Stahlstandort Florange
ist wieder gesucht: Der Wahlkampf ist ausgebrochen.

Hochöfen stehen still

Die Hochöfen stehen auf dem Gelände von Hayange, still, dunkel, ohne Leben, umzäunt. Sie müssen dort stehen, weil Lakshmi Mittal, Chef des Weltkonzerns in Sachen Stahl, das so mit Frankreichs Staatspräsident vereinbart hatte. Als (vergebliche) Hoffnung, dass aus ihnen eines Tages wieder Roheisen zur Stahlveredlung fließen könnte. Aber dieser Traum ist ausgeträumt. Das Stahlleben findet wenige Hundert Meter weiter in Florange statt. Dort arbeiten die Walzstraßen unentwegt.

Vor fünf Jahren sah die Situation ganz anders aus. ArcelorMittal hatte beschlossen, die Hochöfen auszublasen. Es war wirtschaftlich nicht zu vertreten, Eisenerz über den Atlantik nach Rotterdam, dann über Rhein und Mosel nach Florange zu verschiffen. Die große Zeit von Florange war längst vorüber, hatte eigentlich bereits mit dem Ende des lothringisch-luxemburgischen Eisenerzbergbaus geendet.

Ein im Wesentlichen von Guy Dollé und Michel Wurth ausgearbeiteter Plan zur Optimierung des Arcelor-Konzerns hatte schon nach der Arcelor-Gründung vorgesehen, Florange Ende des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrhunderts zu schließen. Wesentlicher Grund war der Mangel an Eisenerz. Und: Die Altersstruktur in Florange würde wenige Entlassungen bedeuten, da viele Beschäftigte nahe dem Vorruhestand sein würden.

Geschlossene „Dreckschleuder“

Nach der Gründung von ArcelorMittal hatte Lakshmi Mittal den politischen Instanzen wie Regionalrat und Departementalrat Moselle schriftlich zugesichert, dass er das Elektrostahlwerk Gandrange, bei der Fusion bereits altersschwach, und auch die Hochöfen in Hayange so lange betreiben würde, wie es wirtschaftlich zu vertreten war.

Als Gandrange dann geschlossen wurde, stand die Politik in Lothringen kopf. Nicht wenige Mitarbeiter von Gandrange aber waren froh, dass die „Dreckschleuder“ geschlossen wurde, und redeten offen darüber, dass die Arbeitsplätze in diesem Stahlwerk zu den gefährlichsten in Lothringen gehört hätten.

Auch beim Ausblasen der Hochöfen stand Lothringen kopf. Denn hier standen Symbole zur Disposition. Es waren die letzten noch arbeitenden Hochöfen einer großen Stahlzeit im nördlichen Lothringen. Lokalpolitiker, Regionalpolitiker, Abgeordnete, Gewerkschaften demonstrierten.

Videospiel

Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg versprach „Gott und die Welt“, um die Hochöfen zu erhalten. Er reiste nach Luxemburg, beriet sich mit anderen europäischen Stahlländern, wollte eine europäische Koalition gegen ArcelorMittal schaffen.

Eine Nationalisierung von Florange stand im Raum. Auch der Präsidentschaftskandidat François Hollande reiste nach Florange, kletterte auf das Dach eines Busses und versprach den Erhalt der Hochöfen. In Frankreich entstand der Eindruck, dass Florange geschlossen und Frankreich seine Stahlindustrie verlieren würde.

Selbst in der weit entfernten Normandie fand der Kampf für die Hochöfen Sympathisanten. Hatte man hier doch nicht vergessen, dass in den 90er Jahren Usinor in Caen ein Stahlwerk geschlossen und es Schraube um Schraube nach China verkauft hatte. In Lothringen schaukelte sich der Kampf um Florange so hoch, dass ein Videospiel „Kill Mittal“ auf den Markt kam.

Walzstraßen

Aller Protest half nicht. Lakshmi Mittal und François Hollande fanden die Lösung in der Schließung der Hochöfen und in der Bewahrung der Walzstraßen, dazu mit Investitionen in Höhe von 150 Millionen Euro. Nur hatten die Walzstraßen nie zur Disposition gestanden, und die Investitionen waren längst beschlossen.

Die Gewerkschaften erhielten zur Beruhigung einen „Überwachungsausschuss“ unter der Leitung eines Unterpräfekten. Die Stahlwerker in Florange fühlten sich verraten. Sie errichteten einen Grabstein für die nicht eingelösten Versprechen des Staatspräsidenten François Hollande.

Und heute? Den Walzstraßen in Florange geht es besser denn je. Sie werden aus Deutschland und aus Dünkirchen mit Vorprodukten versorgt, die in den Walz-und Galvanisierungsstraßen zu Hochleistungsstahl gewalzt werden.

Florange liefert heutzutage Spitzenstahl unter der Marke Usibor für die Automobilwirtschaft sowie Stahl für die Verpackungsindustrie. Die 629 Stahlwerker sind alle entweder in den Vorruhestand gegangen oder in die Walzwerke oder andere Fabriken versetzt worden. „Niemand“, so heißt es in einer Übersicht des Konzerns, habe seinen Arbeitsplatz verloren.

Belegschaft aufgestockt

Florange hat aktuell seine Belegschaft aufgestockt. Seit Beginn 2015 sind 120 Stahlwerker mit unbefristeten Arbeitsverträgen eingestellt worden. Mit 200 Millionen Euro Investitionen ist die ursprünglich vereinbarte Summe überschritten worden. Dabei soll es nicht bleiben. Florange steht eine weitere Veränderung bevor.

Zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit soll die Informatik in die Fabrikationshallen einziehen. Die Handhabung der Walzstraßen soll automatisiert, die Produktionsprozesse selber modernisiert werden.
ArcelorMittal plant hier erneut Investitionen in Höhe von 56 Millionen Euro.

Ex-Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg, der Florange einst verstaatlichen wollte, hatte bei seinem Besuch in Florange am vergangenen Donnerstag nur noch wenige Argumente und keines von vor fünf Jahren mehr.

Und auch Staatspräsident François Hollande wird feststellen müssen, dass seine Versprechen, die Hochöfen nicht ausblasen zu lassen, vor fünf Jahren eher einer vergangenen Zeit als der Zukunft entsprachen.