„Es wird immer schlimmer“

„Es wird immer schlimmer“
(AFP)

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Dutzende Migranten versuchen in der französischen Hafenstadt Calais als blinde Passagiere nach Großbritannien zu gelangen. Verschiedene Gruppen liefern sich blutige Schlägereien.

In Calais liegen die Nerven blank, es spielen sich chaotische Szenen ab. Immer mehr Flüchtlinge kommen in der Hoffnung auf eine Überfahrt nach Großbritannien in die nordfranzösische Hafenstadt, Migranten-Gruppen liefern sich wüste Schlägereien, die Polizei setzt Tränengas ein. Und bei vielen Bewohnern von Calais wächst die Wut auf die Flüchtlinge aus Eritrea, Syrien oder Sudan. Für die ausländerfeindliche Front National (FN) ist das ein gefundenes Fressen – Parteichefin Marine Le Pen eilte am Freitag zu einem medienwirksamen Auftritt nach Calais.

In den vergangenen Wochen hat sich die Zahl der Flüchtlinge in Calais stark erhöht: Waren es zum Ende des Sommers noch 1500, so sind es inzwischen mehr als 2.200, wie der Präfekt des Départements Pas-de-Calais, Denis Robin, diese Woche vorrechnete. Ihr Ziel: Der Hafen, von wo aus sie als blinde Passagiere auf Fähren nach Großbritannien gelangen wollen. Auf der anderen Seite des Ärmelkanals erhoffen sich die vor Gewalt und Armut in ihrer Heimat Geflohenen leichteres Asyl und Jobs, viele haben dort Verwandte.

Stöcke

Doch das letzte Hindernis auf ihrer gefährlichen Reise ist schwer zu überwinden. Die Flüchtlinge versuchen, heimlich auf Lastwagen zu gelangen, die in den abgesicherten Hafen fahren. Immer wieder stürmen hunderte Flüchtlinge gleichzeitig auf die vor der Hafeneinfahrt Schlange stehenden Lkw. Die Polizei ist im Hafengebiet im Dauereinsatz – und muss seit Neuestem auch immer wieder in der Stadt selbst eingreifen. Diese Woche gingen bei Schlägereien mehrfach Flüchtlinge aus Äthiopien und Eritrea mit Stöcken aufeinander los.

„Es ist das erste Mal, dass es Schlägereien in Calais selbst gibt und die Polizei dort einschreiten muss“, sagt ein Beamter. Die Flüchtlinge leben meist außerhalb der Stadt, in improvisierten Zeltlagern und unter miserablen Bedingungen. Sie kommen zum Einkaufen in Discounter nach Calais. Anwohner beklagen eine Zunahme von Diebstählen, und Präfekt Robin bestätigt: „Wir haben objektiv eine Zunahme der Kriminalität im Zusammenhang mit den Migranten.“

„Druck“

Innenminister Bernard Cazeneuve schickte diese Woche 100 zusätzliche Polizisten nach Calais. 35 von ihnen sollen durch die Stadt patrouillieren, während die anderen den Hafen sichern, der mit neuen Absperrungen schrittweise zu einer wahren Festung ausgebaut wird. „Die Lage ist höchst angespannt“, sagt ein Aktivist der Bewegung No Border zur Unterstützung der Flüchtlinge. „Es gibt den Druck der Polizei, den Hunger, die schlechten Lebensbedingungen. Die Flüchtlinge sind in einer aussichtslosen Situation.“

Viele Bewohner von Calais aber haben wenig Mitleid mit den Flüchtlingen – sie fühlen sich bedroht. „Man weiß nicht, wozu sie fähig sind“, sagt eine aufgebrachte Frau vor einem Lidl-Supermarkt. „Sie stoßen einen weg, sie klauen Geld.“ In einer Bar in Calais beklagt sich ein Gast, nach der Schließung des umstrittenen Notaufnahmezentrums in Sangatte 2002 hätten sich die Flüchtlinge „überall verteilt“. „Es wird immer schlimmer.“ Und Barbesitzer Laurent Roussel sagt zornig: „Es wird nur herumdiskutiert und nichts passiert. Die Menschen in Calais haben die Nase voll. Aber wirklich die Nase voll.“

„Skandal“

Für Marine Le Pen sind solche Töne eine Steilvorlage. „Die Stadt wird alleine gelassen mit den Problemen der illegalen Einwanderung, das ist ein ungeheuerlicher Skandal“, wettert die rechtsextreme Politikerin bei einem Calais-Besuch. „In Calais herrscht kein Gesetz mehr, es gibt nur noch den Dschungel, das Gesetz des Stärkeren, die Gewalt.“ Das Schicksal der Flüchtlinge scheint in den Hintergrund gedrängt zu werden. Die Behörden haben zwar die Einrichtung einer Tagesstätte für die Flüchtlinge in Calais versprochen. Wann es öffnen soll, ist aber unbekannt.