Monsieur Normal mit Roller auf Elysee-Kurs

Monsieur Normal mit Roller auf Elysee-Kurs
(dpa)

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Er fährt mit dem Motorroller zur Arbeit und ist stolz darauf, möglichst normal zu leben. François Hollande kultiviert Bescheidenheit, Volksnähe und Sachlichkeit.

Glamour, Eitelkeit und ein Hang zur unsteten Effekthascherei. In der Schlussphase seiner Präsidentschaftskandidatur setzte der 57-jährige Hollande auch inhaltlich auf gegensätzliche Konzepte zum Amtsinhaber: Den gerade erst mühsam von den EU-Staats- und Regierungschefs ausgehandelten Fiskalpakt will der Sozialist neu verhandeln, den von Sarkozy umhegten Reichen des Landes droht er mit einem deutlich höheren Spitzensteuersatz und den zeitweise an Anbiederung grenzenden Kuschelkurs Sarkozys gegenüber Bundeskanzlerin Angela Merkel sah er von vornherein kritisch. Nun kann er sich durch Sarkozys Abkehr vom euphorischen Deutschland-Lob in seinem Kurs bestätigt sehen.

Wenige Tage vor der ersten Wahlrunde verdichtete sich, dass nach fünf Jahren Sarkozy viele Franzosen des immer quirligen, häufig hektischen Mannes im Elysee-Palast müde sind, und ausgerechnet Hollande, dem lange selbst viele seiner Genossen in der sozialistischen Partei einen Top-Posten nicht recht zutrauten, hat beste Chancen, ihn zu beerben. Nach einer Aufholjagd sahen jüngste Umfragen Hollande auch in der ersten Wahlrunde klar vorn. Seit Monaten schon sind sich die Meinungsforscher einig, dass in der Stichwahl am 6. Mai der Absolvent der Elite-Hochschule ENA und langjährige Parteichef Hollande die allerbesten Chancen hat, Präsident zu werden. Eine erstaunliche Entwicklung für einen Mann, der noch nie ein Ministeramt innehatte.

Gemässigt – und zunehmend radikal

Politisch gilt Hollande als gemäßigter Sozialist mit einem starken Empfinden für soziale Gerechtigkeit. Entscheidend für seinen Sieg in der parteiinternen Vorwahl gegen die stärker linkspolitisch eingestellte einstige Arbeitsministerin Martine Aubry war, dass sich auch der globalisierungskritische Abgeordnete Arnaud Montebourg auf seine Seite stellte. Hollande verschärfte seine Wortwahl gegenüber Banken und Globalisierung deutlich und wartete in der heißen Wahlkampfphase mit seinem Plan auf, Einkommen ab einer Million Euro im Jahr mit 75 Prozent zu versteuern. Den Vorwurf Sarkozys, den Sozialneid zu schüren, konterte er mit dem Hinweis, er könne unverdienten und exzessiven Reichtum nicht leiden.

Hollande ist ein bekennender Fan des früheren Präsidenten und sozialistischen Übervaters François Mitterrand: „Ihm habe ich meine politische Geburt zu verdanken“, sagte er einmal über seinen Mentor. Der Abgeordnete aus dem ländlichen Departement Correze wirbt im Wahlkampf mit der Verwirklichung eines „französischen Traums“: Er will die Staatsverschuldung bis 2017 auf Null senken, die Chancen für die kommende Generation verbessern und das Steuersystem reformieren. Punkten kann Hollande auch mit seiner Ankündigung 60.000 neue Lehrerstellen zu schaffen, um die drastischen Stellenkürzungen im Bildungssektor unter Sarkozy aufzufangen. In ihrem Wahlprogramm haben die Sozialisten auch zugesagt, die von Sarkozy nach monatelangen Protesten durchgesetzte Verlängerung der Lebensarbeitszeit zu überprüfen. „Alles ist solide gegenfinanziert“, wehrte Hollande sich gegen den Vorwurf des Schuldenmachers und Populisten.

Merkel kalte Schulter

Dass ihn konservative europäische Regierungschefs wie Angela Merkel ganz offenkundig meiden – von einem organisierten Boykott war gar die Rede – brachte Hollande zeitweise in eine schwierige Lage: Einerseits musste er, der ohne Amtsbonus und die auch von liberalen Franzosen durchaus geschätzten Prunkinsignien der Macht antritt, vermeiden, als Leichtgewicht zu erscheinen, das von den Großen in der Europäischen Union nicht ernstgenommen wird. Andererseits gab ihm die enge Allianz zwischen Merkel und Sarkozy auch Gelegenheit zu einer scharfen Profilierung gegen eine zu rigide Sparpolitik und Vasallentum gegenüber Deutschland. Das zahlte sich in Umfragen aus und Sarkozy selbst erkannte, dass die zeitweise übertrieben wirkende Deutschland-Schmeichelei ihm nicht nützt. Aus den groß angekündigten gemeinsamen Wahlkampf-Auftritten wurde jedenfalls nichts.

Auch Hollande weiß aber um die Bedeutung einer funktionierenden deutsch-französischen Partnerschaft und betont dies stets. Um keinen Preis will er als Anti-Deutsch gelten. Um das zu unterstreichen, greift er zu einem bewährten Mittel der Diplomatie und kündigt bereits an, wohin ihn seine erste Auslandsreise als Präsident führen soll. Nach Berlin, zu Angela Merkel, die ihm noch die kalte Schulter zeigt.