„Eine kleine Bombe reicht“

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Über sechs Wochen ist es jetzt her, dass die ersten Drohnen unbekannter Herkunft über französischen Atomkraftwerken gesichtet wurden. Schlimme Befürchtungen machen sich nun breit.

Rund 20 mysteriöse Überflüge wurden seither in ganz Frankreich gezählt – doch die Hintermänner konnten immer noch nicht gefasst werden. Zuletzt wurde am Dienstagabend der Atomkomplex von Marcoule im Süden des Landes überflogen. Auch das AKW Cattenom, nahe der Luxemburger Grenze, wurde bereits zweimal von Drohnen überflogen, zuletzt in Nacht zum 11. November.

Die Behörden scheinen hilflos – und bei manchen Bürgern weicht der anfängliche Glaube an eine Kampagne von Atomkraftgegner schlimmeren Befürchtungen. Die Dachorganisation der französischen Atom-Informations-Komitees (ANCCLI), denen lokale Abgeordnete, Wissenschaftler und Verbände angehören, ist inzwischen „beunruhigt“.

„Mangel an Informationen“

Ihr Präsident Jean-Claude Delalonde wirft der Regierung einen „Mangel an Informationen“ vor: „Man sagt uns: ‚Eine Drohne kann die Kuppel eines Atomkraftwerks nicht in die Luft jagen.‘ Aber in einer Atomanlage gibt es Teile wie die Abklingbecken“, die nicht im gleichen Maße wie die Reaktoren geschützt seien. Mit einer „kleinen Bombe“, abgeworfen von einer Drohne, könnten dort „immense Schäden“ angerichtet werden. Nicht nur der der Atomkraft gegenüber eher neutrale Verband ANCCLI, der vor allem auf Information und Transparenz beim Thema Atom bedacht ist, macht sich solche Sorgen.

Schon seit den ersten Drohnenflügen Anfang Oktober warnt auch die Umweltschutzorganisation Greenpeace vor dem Risiko der Lager- und Abklingbecken, die es an jedem der 19 französischen Atomkraftwerke mit ihren zusammen 58 Reaktoren gibt – und die nicht durch einen Betonmantel wie die Atomreaktoren, sondern nur durch Blechwände geschützt sind.

Ausnahme Abklingbecken

Sogar der Chef der französischen Atomaufsicht ASN, Pierre-Franck Chevet, räumte vergangene Woche ein: „Die (Atom-)Kraftwerke halten sehr viel größeren Objekten als Drohnen stand, mit Ausnahme der Abklingbecken für benutzte Brennstäbe“. Schon 2013 hatte die ASN den Stromkonzern und Akw-Betreiber EdF aufgefordert, seine Sicherheitsmaßnahmen bei der Zwischenlagerung von Brennstäben zu verstärken.

Als besonders problematisch gelten die riesigen Kühlbecken der Wiederaufarbeitungsanlage La Hague im Nordwesten, die laut Medienberichten am Freitag vergangener Woche von einer Drohne überflogen wurde. Die Gebäude für die gebrauchten Brennstäbe, die aus ganz Frankreich und aus anderen Ländern dorthin zur Aufarbeitung gebracht werden, wären wie „Lagerschuppen“, kritisiert der parteilos-konservative Vorsitzende des dortigen ANCCLI-Informationskomitees, Michel Laurent.

Forderung nach Betonstahl-Mantel

Der frühere Mitarbeiter des Atomkonzerns Areva fordert einen Betonstahl-Mantel für die Becken. Sogar erklärte Atomkraftbefürworter sind inzwischen wegen der Drohnenflüge alarmiert. So verwies Nuklearexperte Bruno Comby kürzlich im Sender BFMTV auf eine andere Achillesferse der französischen AKW: die Transformatoren. Die Drohnen würden meist nachts und somit wohl mit Infrarotkameras fliegen, was darauf hindeuten könnte, dass sie die Wärme abstrahlenden und ungeschützten Transformatoren im Visier hätten. Wenn gleichzeitig mehrere dieser Transformatoren außer Gefecht gesetzt würden, gebe es einen Strom-Blackout in Frankreich und womöglich ganz Europa, warnte er.

Auch wenn die meisten Sicherheitsexperten die Vorbereitung eines Terroranschlags für eher unwahrscheinlich halten, so sind die Drohnen für manche doch nicht völlig harmlos. Da die Überflüge fast immer nachts stattfinden, „ist das mit Sicherheit kein Hobby-Flieger“, urteilte kürzlich Drohnenexpertin Elizabeth Quintana vom Forschungsinstitut für Sicherheitsfragen RUSI in Großbritannien. „Das ist offensichtlich jemand, der entweder ausspionieren will oder nichts Gutes im Schilde führt.“

Die französischen Sicherheitsbehörden hüllen sich nun schon seit längerer Zeit in Schweigen, wenn es um die Drohnenflüge geht. Sie konnten bisher keines der dubiosen Fluggeräte sicherstellen. Und drei festgenommene junge Leute mussten Anfang November wieder freigelassen werden – der Polizei waren in der Nähe eines Atomkraftwerkes lediglich „Modellbau-Liebhaber“ ins Netz gegangen.