„Zäune lösen das Flüchtlings-Problem nicht“

„Zäune lösen das Flüchtlings-Problem nicht“
(Kerstin Joensson)

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Viele Politiker sehen im Bau von Grenzzäunen eine Lösung für die Flüchtlingskrise. EU-Kommissionschef Juncker zufolge haben Zäune in Europa aber keinen Platz.

In der Debatte über die Bewältigung des Zustroms von Flüchtlingen nach Europa hat sich Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann deutlich gegen Grenzzäune ausgesprochen. „Wer glaubt, Flüchtlingsfragen mit Zäunen zu lösen, ist auf dem falschen Dampfer“, sagte Faymann am Mittwochabend in der ORF-Nachrichtensendung „ZiB2“.

Bei den von Österreich geplanten baulichen Maßnahmen am Grenzübergang zu Slowenien in Spielfeld gehe lediglich um eine bessere Kontrolle. Dadurch komme aber kein einziger Flüchtling weniger. Zuvor hatte die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner angekündigt, entlang eines Teils der Grenze zu Slowenien einen Zaun zu errichten, um den ungeordneten Zugang von Flüchtlingen zu stoppen.

Lösung liegt in Nahost

Das Problem sei nur durch ein Eindämmen des Bürgerkriegs in Syrien und an der EU-Außengrenze mit Aufnahmezentren zu lösen, meinte Faymann. Bis dahin gelte es unter anderem, den Flüchtlingen auf der Balkanroute genügend winterfeste Quartiere zur Verfügung zu stellen. Auf der sogenannten Balkanroute sind weiterhin Tausende Migranten unterwegs in Richtung Westeuropa, vornehmlich nach Deutschland.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker stimmte mit Faymann überein, dass Zäune keine Lösung seien. In einem Telefonat am Mittwochabend unterstrichen die beiden Politiker nach EU-Angaben, „dass Zäune in Europa keinen Platz haben“. Zuvor hatte Juncker vor einer „humanitären Katastrophe“ im nahenden Winter gewarnt. Den EU-Staaten warf er schwere Versäumnisse vor, weil sie ihre Zusagen nicht einhielten und viel zu langsam handelten.

„Juncker hat las letzte Wort“

Der EU-Kommissionschef bekräftigte am Mittwoch unoch einmal, dass eine Zusammenarbeit mit Ankara in der Flüchtlingskrise unumgänglich sei. Die EU-Kommission steht seit Wochen in der Kritik, weil die Veröffentlichung eines jährlich erstellten Fortschrittsberichts über die Entwicklung des Beitrittskandidaten Türkei bisher nicht erfolgt ist. Ein Kommissionssprecher sagte dazu, die Veröffentlichung sei nicht „verschoben“ worden. Juncker entscheide „über den angemessenen Zeitpunkt“ dafür.

Die EU-Kommission verhandelt mit der Regierung in Ankara derzeit über einen Aktionsplan, der eine enge Zusammenarbeit in der Flüchtlingskrise vorsieht. Ziel des vom EU-Gipfel am 15. Oktober gebilligten Vorgehens ist es, mit türkischer Hilfe die massenhafte Ankunft von Menschen in der EU zu verhindern. Dazu sollen mit Ankara unter anderem verschärfte Grenzkontrollen und die Rücknahme von Flüchtlingen vereinbart werden, die bereits in die EU gelangt sind. Juncker hatte am Dienstag im Europaparlament gesagt, er kenne und teile auch viele Aussagen, „dass es Zweifel gibt, Bedenken gibt, dass es vieles zu hinterfragen gibt“. Es bringe „aber im Moment nichts“, der Türkei zu sagen, es gebe „ungelöste Fragen in puncto Menschenrechte, in puncto Pressefreiheit und so weiter und so fort“. Diese „Missstände“ würde in den Gesprächen mit der türkischen Seite angesprochen. Doch „ob es passt oder nicht passt, ob es gefällt oder nicht gefällt, wir müssen mit der Türkei in gemeinsamer Anstrengung zusammenarbeiten“.

Immer mehr wollen nach Deutschland

Der Zustrom von Flüchtlingen an der österreichisch-deutschen Grenze hielt auch in der Nacht zu Donnerstag unvermindert an. Alleine in Wegscheid und dem Grenzübergang Achleiten-Passau seien knapp 5000 Migranten angekommen, sagte ein Sprecher der Bundespolizei in Passau in der Nacht zu Donnerstag. Vor allem in den frühen Abendstunden hatte die Zahl der Busse, die die Flüchtlinge aus Österreich an die Grenze transportierten, noch einmal zugenommen.

Auf ihrer Flucht nach Europa sind am Mittwoch erneut mehrere Menschen in der Ägäis ertrunken: Vor den Inseln Lesbos, Samos und Agathonisi kamen sieben Menschen ums Leben, darunter auch vier Kinder. Mindestens sechs Menschen würden noch vermisst, teilte die Küstenwache am Mittwochabend mit.

Griechenland hat versprochen, bis zum Jahresende Aufnahmelager für 30 000 Menschen bereitzustellen und rund 20 000 Migranten in Wohnungen unterzubringen. Der zuständige stellvertretende Migrationsminister Ioannis Mouzalas wollte am Mittwoch nicht sagen, wo diese Lager errichtet werden sollen. „Wir suchen zusammen mit dem Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen nach geeigneten Orten“, sagte Mouzalas im Fernsehen.

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