Ukrainer gedenken der Maidan-Toten

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Tausende Ukrainer haben am Freitag in Kiew der fast hundert Toten gedacht, die bei den proeuropäischen Massenprotesten vor einem Jahr erschossen worden waren.

Trauer für die vor einem Jahr auf dem Maidan in Kiew getöteten Demonstranten. Viele verharrten weinend und sich bekreuzigend vor den Fotos der Toten, welche die „himmlischen Hundert“ genannt werden. Höhepunkt war am Abend eine zentrale Gedenkfeier auf dem Maidan-Platz, an der auch Präsident Petro Poroschenko teilnahm. Rotes Licht beleuchtete am Abend die Straße, in der die Demonstranten von Sicherheitskräften erschossen worden waren. Auf riesigen Leinwänden wurden Bilder von einigen der Opfer gezeigt. Nach einer Schweigeminute stimmten die Menschen auf dem Maidan gemeinsam die Nationalhymne an, das Staatsorchester spielte Mozarts Requiem.

„Sie standen Seite an Seite, Leute unterschiedlichster Herkunft und Religion“, sagte Poroschenko. „Diese Revolution war die erste und – was noch wichtiger ist – der erste erfolgreiche Kampf im Krieg für die Unabhängigkeit“, erklärte er weiter. Russland warf er vor, weiterhin Panzer und Grad-Raketen in die Ostukraine zu schicken, um das Nachbarland unter seinem Einfluss zu halten.

Trauer und Wut

Den ganzen Tag schon hatten die Menschen in Kiew um die Toten getrauert. Sie legten Blumen nieder, nahmen an einer Andacht auf dem Maidan teil und sangen vor einem Denkmal patriotische Lieder.

In die Trauer mischte sich Wut darüber, dass auch ein Jahr nach der Gewalteskalation die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen worden sind. Die tödlichen Schüsse sollen Sicherheitskräfte des damaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch abgefeuert haben, aber auch gewaltbereite Demonstranten selbst gerieten in den Verdacht. Nur zwei einfache Bereitschaftspolizisten sind angeklagt und warten auf ihren Prozess. „Ein Jahr ist vorüber, und noch immer ist niemand bestraft“, sagte Jaroslaw Selenko, ein 57-jähriger Geschäftsmann. „Und die Beweise verschwinden oder werden zerstört.“

Vorwürfe an Russland

Die Familien der Getöteten konzentrierten sich bei einer Pressekonferenz auf das Gedenken. „Das Herz meines Vaters schmerzte für die Ukraine“, sagte Wolodimir Bondarschuk. „Für uns ist es wichtig, dass sein Opfer nicht vergebens war.“ Im Gespräch mit den Angehörigen warf Poroschenko Moskau vor, direkt in die Gewalt verwickelt gewesen zu sein. Dem Geheimdienst lägen Aussagen von Polizisten vor, wonach Putin-Berater Wladislaw Surkow den Einsatz von „Gruppen von Heckenschützen“ organisiert haben soll, hieß es dazu ein einer Erklärung des Präsidialamts. Die Ermittler seien zudem im Besitz von Aufzeichnungen von Gesprächen zwischen Janukowitsch und russischen Sicherheitsvertretern, in denen über „Vorbereitungen der Schießereien“ gesprochen werde.

Der Sprecher des russischen Außenministeriums, Alexander Lukaschewitsch, bezeichnete die Vorwürfe als „völliges Delirium“. Die Gewalteskalation nach den monatelangen Protesten hatte schließlich zum Sturz Janukowitschs geführt. Doch der Machtwechsel in Kiew brachte dem Land keine Ruhe, in den Kämpfen zwischen Regierungstruppen und prorussischen Separatisten im Osten wurden inzwischen mehr als 5000 Menschen getötet. Die Annexion der Krim-Halbinsel wenige Wochen nach Janukowitschs Flucht sowie die Kämpfe in der Ostukraine behindern bis heute auch die Aufarbeitung der Maidan-Ausschreitungen. Immer noch steht nicht fest, wieviele Menschen vermisst werden.

Am Sonntag gedenkt Präsident Poroschenko in Kiew mit ausländischen Gästen der Maidan-Proteste. Aus Deutschland reist Bundespräsident Joachim Gauck an, um „ein Zeichen der Solidarität mit der ukrainischen Demokratiebewegung zu setzen“, wie das Bundespräsidialamt in Berlin mitteilte.