Warnung vor Spaltung Europas

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Über den Gräbern von Verdun haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande vor einer neuen Zersplitterung Europas gewarnt.

„Die Kräfte der Spaltung, der Abriegelung, der Abschottung sind wieder am Werk“, warnte Hollande am Sonntag bei einer gemeinsamen Gedenkzeremonie für die Opfer der Kämpfe zwischen deutschen und französischen Truppen vor 100 Jahren, die als „Hölle von Verdun“ bekannt sind.

Adenauer-de Gaulle-Preis für Stadt Verdun

100 Jahre nach der Schlacht von Verdun haben die Regierungen Deutschlands und Frankreichs die Stadt für ihre Verdienste um die Versöhnung beider Länder ausgezeichnet. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande überreichten dem Bürgermeister am Sonntag den Adenauer-de Gaulle-Preis. Damit werde Verdun erstmals nicht für seine Leidensgeschichte, sondern für seine „Botschaft der Hoffnung“ ausgezeichnet, sagte Hollande.

„Verdun ist nicht in einem Kult der Toten erstarrt, sondern hat ständig nach vorne geblickt, um seine Friedens-Mission zu erfüllen“, betonte der Präsident. Merkel und Hollande gedachten am Sonntag gemeinsam der mehr als 300.000 Toten der Schlacht von Verdun im Jahr 1916.

„Rein nationalstaatliches Denken und Handeln würde uns zurückwerfen“, betonte Merkel, „das gilt für die Bewältigung der europäischen Staatsschuldenkrise oder für den Umgang mit den vielen Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, wie auch für alle großen Herausforderungen unserer Zeit.“

„Uns trennen keine Gräben mehr“

Bei der Stadt im Nordosten Frankreichs waren 1916 mehr als 300.000 deutsche und französische Soldaten gestorben. Über zehn Monate lieferten sich die Truppen der beiden Länder mörderische Kämpfe, die letztlich aber den Frontverlauf im Ersten Weltkrieg nicht veränderten.

Die einstigen Kriegsgegner beschworen bei der symbolträchtigen Veranstaltung mit rund 4.000 deutschen und französischen Jugendlichen am Beinhaus von Douaumont ihre Freundschaft. „Verdun steht für die Grausamkeit und Sinnlosigkeit des Krieges schlechthin“, sagte Merkel. Zugleich sei es aber auch ein Symbol der Sehnsucht nach Frieden und der deutsch-französischen Aussöhnung: „Uns trennen keine Gräben mehr.“

Nach den Worten Merkels wird den Toten der Schlacht dann ein ehrendes Andenken bewahrt, „wenn wir uns die Lehren, die Europa aus den Katastrophen des 20. Jahrhunderts gezogen hat, immer wieder bewusst machen.“ Dazu zähle die Fähigkeit und Bereitschaft, zu erkennen, wie lebensnotwendig es sei, sich „nicht abzuschotten, sondern offen füreinander zu sein“.

Gemeinsame Denkkultur

Hollande sagte: „Sie denunzieren Europa als Ursache des Übels und vergessen dabei, dass Europa aus dem Unglück geboren wurde.“ Der Staatschef beschwor das Friedensprojekt Europa. „Wir wissen ganz genau, dass die Zeit, um es zu zerstören, unendlich viel kürzer wäre als die lange Zeit, die nötig war, um es zu bauen.“

Die Europäische Union bleibe eine Referenz für viele Völker, „die von Frieden träumen“. Die EU-Staaten hatten in den vergangenen Monaten heftig um den Umgang mit der Flüchtlingskrise gestritten, in zahlreichen Ländern konnten Rechtspopulisten Zugewinne verzeichnen.

Merkel und Hollande entzündeten eine ewige Flamme im Beinhaus von Douaumont, wo die Überreste von 130.000 gefallenen Soldaten liegen. Eine neue Inschrift weist nun darauf hin, dass es sich um französische und deutsche Soldaten handelt – ein weiterer Schritt hin zu einer gemeinsamen Gedenkkultur. Auch die von den Politikern eingeweihte, komplett überarbeitete Gedenkstätte von Verdun stellt nun die Erinnerungen beider Seiten dar. Zuvor hatten die beiden bei strömendem Regen auf dem deutschen Soldatenfriedhof Consenvoye innegehalten und die Stadt Verdun besucht.

Der gemeinsame Auftritt Merkels und Hollandes erinnerte auch an das historische Händehalten ihrer Vorgänger Helmut Kohl und François Mitterrand. Über den Gräbern von Verdun hatten die beiden Politiker damit 1984 ein Zeichen deutsch-französischer Versöhnung gesetzt. „Dieses Bild hat sich tief in das Gedächtnis unserer Nationen eingebrannt“, betonte Merkel.

Mehr zu diesem Thema: am Montag in der Print – und E-Paper-Ausgabe des Tageblatt.